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„Auch gut gemachte Wissenschaftskommunikation ist kein Journalismus“

Wie kann die Wissenschaft in Zeiten von Krisen und zunehmender Desinformation gut kommunizieren? Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri und Prof. Dr. Ralf Hohlfeld im Gespräch über problematische Rollenverständnisse von Kommunikatorinnen und Kommunikatoren und die Frage, ob es eine Ethik für die Wissenschaftskommunikation braucht. Interview: Kathrin Haimerl

Ist das, was ich hier mache, Journalismus?

Prof. Dr. Ralf Hohlfeld: Nein, das ist für mich Forschungskommunikation. Es könnte journalistische Akzente bekommen, wenn Sie uns kritische Fragen stellen, auch mit dem Ziel, uns in gewisser Weise herauszufordern. Aber es muss ja nicht unbedingt Journalismus sein, wenn man Menschen interviewt.

Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri: Dem stimme ich zu. Ich würde sagen, es handelt sich um strategische Kommunikation der Universität, die ihre Berechtigung hat und die informieren kann. Aber auch gut gemachte Wissenschaftskommunikation ist kein Journalismus und muss deutlich abgegrenzt werden, sowohl in Bezug auf den Absender als auch auf kritische Berichterstattung oder das Aufdecken von Skandalen.

Auch Journalismus ist nicht immer kritisch. Eine Aufgabe ist es zu informieren. Ist das nicht eine Überschneidung zwischen Journalismus und Wissenschaftskommunikation?

Prof. Dr. Schmid-Petri: Ein großer Unterschied besteht darin, dass der Qualitätsjournalismus unabhängig ist. Das trifft auf die Kommunikation der Universität nicht zu. Sie verfolgt ganz bestimmte Ziele und Zwecke. Das ist ja auch vollkommen legitim, das kann ebenfalls sehr informativ sein, aber sie ist eben nicht unabhängig.

Prof. Dr. Hohlfeld: Deshalb kann es auch keine Überschneidung mit dem Journalismus geben, selbst wenn Wissenschaftskommunikation hehren Zielen dient, sie ebenfalls informieren will. Aber sie informiert natürlich, weil im Hintergrund jemand ein Interesse daran hat, dass informiert wird. In unserem Studiengang „Journalistik und Strategische Kommunikation“ sensibilisieren wir die Studierenden genau dafür. Zwar macht es bei der konkreten Medienproduktion oft keinen Unterschied, ob man eine Übung mit dem gemeinwohlorientierten Aspekt des Journalismus verbindet, oder ob das eine Produktion für ein Unternehmen ist. Aber wir machen die Studierenden darauf aufmerksam, dass sie sich bewusst sein müssen, dass sie in unterschiedlichen Rollen unterwegs sind. Einmal ist es diese Art des gemeinwohlorientieren Kommunizierens und Informierens. Im anderen Fall steckt ein Auftraggeber, eine Auftraggeberin dahinter.

Prof. Dr. Schmid-Petri: Wichtig ist, dass man das offenlegt und den Rezipientinnen und Rezipienten nicht vorgaukelt, es handele sich um ein journalistisches Produkt. Stattdessen sollte transparent sein, wer der Absender ist, so dass man als Rezipientin oder Rezipient eine Möglichkeit hat, sich zu überlegen, ob der Kommunikator bestimmte Ziele mit seiner Kommunikation verfolgt.

Liliann Fischer, die bei Ihnen, Frau Schmid-Petri, zu den Rollen von Wissenschaftskommunikatorinnen und -kommunikatoren promoviert, stellt einen Wandel im Selbstverständnis fest, wonach viele auch kritisch hinschauen wollen, fast im Sinne eines journalistischen Verständnisses. Aber können Kommunikatorinnen und Kommunikatoren an Universitäten und Hochschulen überhaupt einen kritischen Blick haben?

Prof. Dr. Schmid-Petri: Ich halte das tatsächlich für ein Problem, dass in der Hochschulkommunikation diese Rollen und die Normativitäten, die damit verbunden sind, meines Erachtens zu wenig reflektiert werden. Das klingt jetzt negativer, als es gemeint ist. Wissenschaftskommunikation hat ihren Wert und liefert einen sehr wichtigen Beitrag zum Journalismus. Man kann sich natürlich bemühen, möglichst differenziert über die Forschung an der eigenen Uni zu berichten. Aber man betrachtet natürlich nicht den Forschungsstand in anderen Häusern.

Prof. Dr. Hohlfeld: Ich kann den Gedanken der Kommunikatorinnen und Kommunikatoren durchaus nachvollziehen – im Sinne von: Wissenschaft sucht nach Wahrheit, Journalismus auch, insofern sind wir Geschwister im Geiste. Trotzdem ist da eine Trennscheibe, und zwar der fundamentale Unterschied, dass die Forschungskommunikation an der Universität nicht unabhängig ist. Wie stark das verunglücken kann, haben wir in der Corona-Pandemie an dem Fall der Universität Hamburg gesehen, die zu den Thesen eines Physikprofessors, die sich deutlich vom vorherrschenden Stand der Wissenschaft abheben, eine Pressemitteilung verschickte. Da hätte die Pressestelle stärker nachfragen müssen.

Aber ist das wirklich die Aufgabe von uns Kommunikatorinnen und Kommunikatoren? Ich kann mich ja nicht über die Expertise der Forschenden stellen.

Prof. Dr. Hohlfeld: Ich würde mir wünschen, dass das auf jeden Fall maximal geprüft wird. Natürlich müssen die Kommunikatorinnen und Kommunikatoren uns vertrauen, dass wir nach bestem Wissen und Gewissen forschen, auch nach ethischen Prinzipien, aber letztlich ist es die Entscheidung der Pressestelle, ob etwas veröffentlicht wird oder nicht.

Prof. Dr. Schmid-Petri: Der Fall der Universität Hamburg ist recht offensichtlich. Aber es gibt andere Beispiele, in denen es nicht so eindeutig ist. Von einer Kommunikationsabteilung würde ich nicht erwarten, dass sie in der Lage ist, den Sachstand für jedes Fach zu prüfen, gerade an großen Universitäten. Auch in der Fachcommunity im Bereich Wissenschaftskommunikation wird der Hamburger Fall kontrovers diskutiert. Einige sehen darin ein Versagen der Kommunikationsabteilung. Andere, und zu denen würde ich mich zählen, sehen es eher als Versagen des Wissenschaftlers. Er war es ja, der sich nicht an die ethisch-wissenschaftlichen Prinzipien gehalten hat. Kommunikationsabteilungen können jedoch gewisse Qualitätskriterien definieren, zum Beispiel dass zu Studien nur Pressemitteilungen rausgegeben werden, wenn sie auch ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen haben.

Prof. Dr. Hohlfeld: In ruhigen Zeiten stimme ich zu. Aber was ist, wenn wir uns in einer akuten Krise befinden? Diese Pre-Print-Veröffentlichungen, wie es ja auch bei dem Hamburger Thesenpapier der Fall war, spielten während der Pandemie eine große Rolle. Es war wichtig, das Wissen aus den Studien der Virologen, der Mikrobiologen, die gerade fertig wurden, schnell zur Verfügung zu stellen. Da hätten wir sehr viel Zeit verloren, wenn wir gewartet hätten, bis diese durch den Peer-Review-Prozess sind. Das heißt, in Krisenzeiten müssen die Kommunikationsverantwortlichen möglicherweise eine stärkere Rolle einnehmen.

 Aus meiner Sicht ungeklärt ist die Frage, wer idealerweise kommunizieren sollte. Ist es wirklich sinnvoll, wenn jeder Wissenschaftler oder jede Wissenschaftlerin jedes einzelne Ergebnis öffentlich kommuniziert? 

Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri

Braucht es eine Ethik der Wissenschaftskommunikation?

Prof. Dr. Schmid-Petri: Es braucht natürlich Leitplanken und die gibt es ja schon. Zum Beispiel die Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR des Siggener Kreises, die angelehnt sind an journalistische Kriterien. Aus meiner Sicht ungeklärt ist die Frage, wer idealerweise kommunizieren sollte. Ist es wirklich sinnvoll, wenn jeder Wissenschaftler oder jede Wissenschaftlerin jedes einzelne Ergebnis öffentlich kommuniziert? Das sehe ich eher kritisch, denn jemand muss mit dieser Fülle an kleinteiligen Informationen auch umgehen können. Laien können das kaum einordnen. Ich fände es sinnvoll, den aggregierten Forschungsstand zu kommunizieren, was natürlich der Journalismus manchmal auch leistet. Diese Frage könnte Teil einer solchen Ethik sein: Wie schaffen wir es als Disziplin oder als Fachcommunity, auf einer übergeordneten Ebene gut zu kommunizieren?

In Zeiten von generativen Sprachmodellen wie ChatGPT ist eher mit einer Zunahme der Menge an Informationen zu rechnen, auch mit Desinformation, die noch schwerer erkennbar sein wird. Welche Aufgabe fällt der Wissenschaftskommunikation zu, welche dem Journalismus?

Prof. Dr. Hohlfeld: Ich glaube, der Journalismus wird sehr stark herausgefordert, kann sich aber auch nochmals neu erfinden, weil er vom Gatekeeper zum Gateadviser wird, also Menschen hilft, Desinformation besser herauszufinden, sie zu erkennen und sie zu entzaubern. Auch für die strategische Kommunikation sehe ich Chancen. Denn aus meiner Sicht hat sie, auch wenn sie interessensgeleitet ist, einen gewissen Wahrheitsanspruch. Das zumindest zeigen mir viele Gespräche mit PR-Verantwortlichen, die gewillt sind, sich sehr klar von Desinformation und Falschmeldungen abzugrenzen.

Prof. Dr. Schmid-Petri: Gerade während der Corona-Pandemie hat man erkannt, welchen Wert der Journalismus hat. Viele haben sich dann doch wieder besonnen auf die journalistischen Quellen wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Man wusste, dass die Information hochwertig ist, dass sie recherchiert ist, dass sie, soweit es der Stand zuließ, zumindest wahr ist. Da hat sich schon gezeigt, dass der klassische Journalismus insbesondere in Krisenzeiten eine sehr, sehr wichtige gesellschaftliche Funktion einnimmt.

Ich hatte den Eindruck, dass es zu Beginn der Pandemie auch eine Hochphase der Wissenschaftskommunikation gab. Neue wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden fast in Echtzeit kommuniziert und das Publikum wurde befähigt, mit neuen Begrifflichkeiten umzugehen. Bald schlug das aber um in Angriffe auf die sich äußernden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Was kann man tun, damit die Stimmung nicht so kippt?

Prof. Dr. Schmid-Petri: Es gibt dafür ja leider kein Patentrezept. Aber es gibt Prinzipien, wie man am besten mit Hate Speech umgeht und wie man sich wehren kann. Ein wichtiges Kriterium ist sicherlich Transparenz, das eigene Vorgehen, die eigene Leistung erklären, die eigenen Arbeitsprinzipien offenlegen. Sowohl Wissenschaft als auch Journalismus sollten das tun. Studien zeigen, dass man dadurch das Vertrauen erhöht, aber auch mehr Verständnis schafft für die dahinter liegenden Vorgänge und eben für die damit verbundenen Probleme. Zum Beispiel, dass es in der Wissenschaft Unsicherheiten gibt, dass das aber kein Fehler ist, kein Versagen, sondern dass das zum wissenschaftlichen Arbeitsprozess dazugehört.

Es ist unsere Aufgabe als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, diese unterschiedlichen Logiken zu überbrücken und immer wieder zu kommunizieren, dass unser Wissen komplexer ist, als es in der Gesellschaft benötigt wird. 

Prof. Dr. Ralf Hohlfeld

Prof. Dr. Ralf Hohlfeld: Mit Transparenz und Reflexivität können Wissenschaft und Journalismus dem Populismus den Stecker ziehen. Wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen klarmachen, dass wir schrittweise vorgehen, dass wir Hypothesen entwickeln, diese prüfen und dass wir davon ausgehen, dass diese Hypothesen zunächst einmal scheitern, dass wir versuchen, besser zu scheitern. Für uns in der Wissenschaft ist das selbstverständlich. Aber es ist unser Denkfehler, dass wir glauben, alle würden in unserer Logik ticken. Es ist unsere Aufgabe als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, diese unterschiedlichen Logiken zu überbrücken und immer wieder zu kommunizieren, dass unser Wissen komplexer ist, als es in der Gesellschaft benötigt wird. Und hier können auch die Kommunikatorinnen und Kommunikatoren an den Hochschulen unterstützen, etwa wenn sich jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu heiklen Themen äußern und in den sozialen Netzwerken angefeindet werden.

In Vorbereitung auf das Gespräch habe ich ChatGPT gebeten, mir Vorschläge für Interviewfragen zu generieren. Vieles davon war brauchbar, aber eher belanglos. Eine Frage hat mir aber gefallen: Wie können Kommunikatorinnen und Kommunikatoren mit Journalistinnen und Journalisten zusammenarbeiten, um wissenschaftliche Erkenntnisse klar und verständlich zu kommunizieren?

Prof. Dr. Hohlfeld: Man sollte – in dem Bewusstsein, dass man unterschiedliche Rollen hat – reflektieren, dass man inhaltlich an einer gemeinsamen Sache sitzt. Dass man zwar zwei Seiten einer Medaille darstellt, dass aber beide Systeme aufeinander angewiesen sind und dass es eine Menge an Schnittstellen gibt, die man in Krisenzeiten gut gemeinsam bearbeiten kann.

Prof. Dr. Schmid-Petri: Die Wissenschaftskommunikation kann es leisten, Beiträge zu einzelnen Ausschnitten, Projekten und Forschungsergebnissen zu liefern, die idealerweise gut recherchiert sind und Qualitätskriterien genügen. Die Aufgabe des Journalismus ist es dann, diese Informationen zu bündeln, zu bewerten, einzuordnen und ein Stück weit zu aggregieren. So könnte, wenn man sich die Arbeitsbereiche beider Systeme anschaut, eine gute Zusammenarbeit funktionieren.

Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri und Prof. Dr. Ralf Hohlfeld haben im September 2023 die Jahrestagung der Fachgruppen Wissenschaftskommunikation und Journalistik der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) an der Universität Passau ausgerichtet. Im Mittelpunkt standen dabei Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für Journalismus und Wissenschaftskommunikation.

Dieser Beitrag stammt aus dem Campus Magazin (01/2024) 

Prof. Dr. Ralf Hohlfeld steht in schwarzem T-Shirt auf einem Gang der Universität.

Prof. Dr. Ralf Hohlfeld

forscht zu redaktioneller Konvergenz und Desinformation im Internet

Welche Herausforderungen für die Herstellung von Öffentlichkeit entstehen durch die Digitalisierung?

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Prof. Dr. Ralf Hohlfeld ist seit September 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Passau. Er hat den Bachelorstudiengang „Journalistik und Strategische Kommunikation“ gegründet und von 2017 bis 2021 geleitet. Zudem ist er Sprecher der Kollegialen Leitung des Passau Centre for Digitalisation in Society (CeDiS). Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der empirischen Journalismusforschung, des Medienwandels und der Desinformation in der digitalen Gesellschaft.

Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri, Inhaberin des Lehrstuhls für Wissenschaftskommunikation an der Universität Passau.

Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri

forscht zu öffentlichen Debatten - online wie offline

Wie werden Themen der Digitalisierung öffentlich diskutiert und welche Folgen hat das für politische Prozesse?

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Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri ist Inhaberin des Lehrstuhls für Wissenschaftskommunikation an der Universität Passau und leitet die Fraunhofer-Forschungsgruppe „Wissenschaftskommunikation“, die in dem Fraunhofer-Cluster of Excellence „Integrated Energy Systems“ CINES angesiedelt ist. Außerdem ist sie Projektleiterin im DFG-Graduiertenkolleg 2720. Sie analysiert öffentliche Diskussionen zu politischen Themen wie beispielsweise zu Digitalisierung oder zum Klimawandel.

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