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Demokratiefördergesetz: "Modell für andere Länder in der EU"

Prof. Dr. Lars Rensmann von der Universität Passau hat den Bundestag als Sachverständiger in der öffentlichen Anhörung im Familienausschuss beraten. Aus seiner Sicht kommt das Gesetz gerade zur richtigen Zeit. 

Die größte extremistische Bedrohung für die Demokratie in Deutschland ist laut aktuellem Verfassungsschutzbericht der Rechtsextremismus. Doch die Gefahren lauern dem Politologen Prof. Dr. Lars Rensmann von der Universität Passau zufolge verstärkt auch woanders, nämlich in der Mitte der Gesellschaft:  „Aus der vergleichenden Politikwissenschaft und der jüngeren Demokratiekrisenforschung wissen wir, dass Demokratien nicht in erster Linie durch autoritäre Akteure bedroht sind oder gar ,sterben‘, sondern insbesondere durch die Schwäche demokratischer Institutionen, Akteure, Parteien - und vor allem die Schwäche oder die Abwesenheit einer selbstbewussten demokratischen Zivilgesellschaft.“

Unter anderem letztere zu stärken ist das Ziel des Demokratiefördergesetzes, das das Bundeskabinett im vergangenen Dezember auf den Weg gebracht hat. Derzeit findet die Beratung in den Ausschüssen statt. Digital zugeschaltet bei der öffentlichen Anhörung im fachlich zuständigen Familienausschuss am 27. März war der Politologe Prof. Dr. Rensmann, Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Vergleichende Regierungslehre. Das Urteil des Experten fiel positiv aus: „Mit der aktiven Förderung der Prävention, Beratung und Bildung gegenüber Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, des Hasses, der Verrohung und zunehmenden Demokratieskepsis oder Demokratieverachtung kann das Gesetz ein Modell darstellen für andere Länder in der EU.“

„Mit der aktiven Förderung der Prävention, Beratung und Bildung gegenüber Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, des Hasses, der Verrohung und zunehmenden Demokratieskepsis oder Demokratieverachtung kann das Gesetz ein Modell darstellen für andere Länder in der EU.“

Prof. Dr. Lars Rensmann, Universität Passau

Das Gesetz sei vor allem notwendig, um die zivilgesellschaftliche, nicht-staatliche Infrastruktur von überregionalen Präventionsarbeitsstellen, Bildungsinitiativen und Beratungsstellen zu verstetigen. Viele wichtige, von unabhängiger Seite positiv evaluierte Projekte zur Bekämpfung von Demokratiefeindschaft, Rechtsextremismus, Islamismus, Antisemitismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit kämpften Jahr für Jahr um ihr Überleben oder stünden vor dem Aus. „Nur ehrenamtlich kann diese Bildungs- und Präventionsarbeit heute nicht funktionieren, sie ist auf aktive Förderung und verstetigte Strukturen angewiesen.“ Der Staat stehe hier in der Verantwortung, eine demokratische, vielfältige und tolerante politische Kultur mehr zu fördern als bisher, sei aber selbst als Akteur damit auch überfordert und müsse unabhängige Dritte unterstützen.

Umstrittene Extremismusklausel

Die jüngst in der Diskussion wieder ins Spiel gebrachte Extremismusklausel für potenzielle zivilgesellschaftliche Zuwendungsempfängerinnen und -empfänger könnte das Gesetz laut Prof. Dr. Rensmann indes als Ganzes gefährden. Denn eine solche Klausel sei juristisch äußerst umstritten und dürfte verfassungsrechtlich kaum Bestand haben, wenn sie von Bürgerinnen und Bürgern eingefordert werde, die keine Staatsbeamte oder staatshoheitliche Aufgaben übernehmen. Aus Sicht von Prof. Dr. Rensmann reicht der Gesetzesentwurf aus, um "jegliche Form von Extremismus" von der Förderung auszuschließen. Eine Extremismusklausel hatte es vor mehr als zehn Jahren schon einmal gegeben. 2019 lehnten alle demokratischen Fraktionen im Bundestag, einschließlich der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD, die Wiedereinführung einer solchen Klausel ab – mit dem Verweis, dass es kontraproduktiv sei, Vertreterinnen und Vertreter aus der Zivilgesellschaft unter Generalverdacht zu stellen. „Die Erfahrung hat gezeigt: Eine Extremismusklausel hilft überhaupt nicht. Wichtig ist vielmehr eine kenntnisreiche Bewertung der jeweiligen Projekte und ihrer Zielsetzungen – etwa durch unabhängige Sachverständigengremien“, erklärte Prof. Dr. Rensmann.

Unabhängiger Sachverstand

Solche Sachverständigengremien und -beiräte, gerade auch unter Beteiligung der Wissenschaft und möglichst heterogen besetzt, empfahl Prof. Dr. Rensmann allerdings für die Umsetzung derMaßnahmen zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung, Extremismusprävention und politischen Bildung. Dies betreffe insbesondere die Präzisierung der Förderrichtlinien und Förderentscheidungen für Träger aus der Zivilgesellschaft, deren Arbeit verstetigt werden und in einem sichereren Rahmen stattfinden soll. Diese Entscheidung sollten die Ministerien nicht allein treffen.

Herausforderung Demokratiekrise

In Zeiten einer internationalen Demokratiekrise, die auch Deutschland nicht unberührt lasse und den Zusammenhalt des demokratischen Gemeinwesens gefährde, bedürfe es eines bundesgesetzlich geregelten Rahmens zur Unterstützung aktiver Maßnahmen und zivilgesellschaftlicher Akteure, welche die freiheitliche Demokratie fördern und verteidigen. Dies umfasse heute auch die notwendige Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Tendenzen aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft: „Es gibt derzeit sowohl einen Krieg gegen die Demokratie –basierend auf mannigfacher Desinformation, Hassrede, Verschwörungsideologien, Antisemitismus, Ideologien der Ungleichwertigkeit und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die durch Akteure unterschiedlicher politischer Coleur Verbreitung finden – als auch einen tiefergreifenden Prozess der Krise demokratischer Legitimität, die durch die Akteure dieses Krieges gegen die Demokratie vorangetrieben wird.“ Akteure, die auf den radikalen Bruch mit der Demokratie zielen, nutzten diese Legitimitätskrise und stellten sich in Zeiten sozial-medialer Desinformation, der Coronakrise und des Kriegs gegen die Ukraine zunehmend als eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar.

Über das Demokratiefördergesetz

Mit dem Demokratiefördergesetz soll der Bund den gesetzlichen Auftrag zur Förderung von Demokratie und zur Extremismusprävention erhalten. Ziel sei „die verlässliche und bedarfsorientierte Förderung von Projekten zur Stärkung von Demokratie und gesellschaftlicher Vielfalt“, heißt es in einer Pressemitteilung des Familienministeriums.  Auch Extremismusprävention und der Ausbau von Angeboten für politische Bildung seien vorgesehen. Zivilgesellschaftliche Projekte und Initiativen sollen mit dem neuen Gesetz für ihre Arbeit mehr Planungssicherheit erhalten. Derzeit fördert der Bund Demokratieprojekte auf freiwilliger Basis.

Zur Person

Prof. Dr. Lars Rensmann hat seit dem Sommersemester 2022 den Lehrstuhl für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Vergleichende Regierungslehrean der Universität Passau inne. Er beschäftigt sich in seiner Forschung mit neuen und alten Gefahren für Demokratien, unter anderem mit Antisemitismus, Populismus und Rechtsradikalismus. Aktuell leitet er in Nordrhein-Westfalen eine "Dunkelfeldstudie", um die Verbreitung von antisemitischen Vorurteilen und Ressentiments in der Gesellschaft zu beleuchten. Vor seiner Zeit in Passau war er Professor für Europäische Politik und Gesellschaft an der Universität Groningen, Associate Professor für politische Wissenschaft an der John Cabot University in Rom und DAAD Assistant Professor of Political Science an der University of Michigan.

Prof. Dr. Lars Rensmann

forscht zu Demokratiekrisen, Rechtspopulismus, Autoritarismus und Autokratisierung im globalen Vergleich

Welche neuen und alten Gefahren ergeben sich für die Demokratie im digitalen Zeitalter?

Welche neuen und alten Gefahren ergeben sich für die Demokratie im digitalen Zeitalter?

Prof. Dr. Lars Rensmann ist seit dem Sommersemester 2022 Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Vergleichende Regierungslehre. Davor war er Professor für Europäische Politik und Gesellschaft an der Universität Groningen, Associate Professor für politische Wissenschaft an der John Cabot University in Rom und DAAD Assistant Professor of Political Science an der University of Michigan. In seiner Forschung beschäftigt sich Prof. Dr. Rensmann u.a. global vergleichend mit Demokratiekrisen, Autoritarismus, Antisemitismus, Populismus und Rechtsradikalismus. Aktuell leitet er in Nordrhein-Westfalen eine "Dunkelfeldstudie", um die Verbreitung von antisemitischen Vorurteilen und Ressentiments in der Gesellschaft zu beleuchten.

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