Um angehende Lehrkräfte auf Unterricht sowie ihre Rolle als Lehrkraft im digitalen Zeitalter vorzubereiten, braucht es den Blick aus verschiedenen Disziplinen. Das SKILL-Lehrprojekt "Information and Media Literacy" hat in den vergangenen dreieinhalb Jahren Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen Fachbereichen zusammengebracht, um für angehende Lehrkräfte Lehrformate zu gestalten. Entstanden sind nicht nur innovative und interdisziplinäre Seminar-Formate, an denen mehr als 100 Studierende teilgenommen haben, sondern vor allem neue Ideen für den Unterricht und eine Vielzahl an studentischen Projektarbeiten.
Die Medienpädagogin Jessica Knauer hat diese Arbeiten mit einer Ausstellung gewürdigt. Wir zeigen online eine Auswahl von A wie Analoges Lernspiel bis Z wie Zugezogene und lassen Studierende und Dozierende zu Wort kommen.
Analoges Lernspiel: Katharina Kölb hat gemeinsam mit Anna-Maria Vogl ein analoges Escaping-Szenario entwickelt, das kritisches Denken im digitalen Zeitalter schulen soll.
„Wie lassen sich andere Perspektiven spielerisch einnehmen? Das war unsere Ausgangsfrage. Daraus haben wir eine Art Escaping-Spiel entwickelt. Es gibt verschiedene Rätsel, die die Spielerinnen und Spieler nur lösen können, wenn sie ihre Erkenntnisse und Erfahrungen austauschen und einbringen. Es geht darum, Wörter zu dekodieren, Sudoku zu lösen, ein Wandelkonzept zu suchen. Am besten funktioniert das Spiel, wenn verschiedene Charaktere gut zusammenarbeiten. Gedacht ist das Spiel für Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Klassen.“
Black Power Movement als Plakat: Graphic Recording heißt eine Methode, die Inhalte in Bilder übersetzt. Das funktioniert offline und online gut. Die Studentin Carla Seitz hat dieses Prinzip auf den Geschichtsunterricht angewandt und die Schwarze Bürgerrechtsbewegung auf ein Plakat gebannt.
„Ich lerne am besten, wenn ich etwas komplett vor mir sehe. Also habe ich versucht, die Geschichte der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA in Bilder zu fassen und zu kombinieren. Ich habe das Plakat bereits im Unterricht getestet und Teile davon in Gruppen aufbereiten lassen. Beim Erstellen des Plakats habe ich mir selbst inhaltlich sehr viel angeeignet. Es hat mir außerdem geholfen, Zusammenhänge zu erkennen. Es ist eine gute Methode, die Lernerfolg im Unterricht garantiert.“
Europa als Konstrukt: Die Studentinnen Sarah Helmbrecht, Eva Merkl und Claudia Fenniger haben die Grenzen Europas hinterfragt und Kommilitoninnen, Professoren sowie eine wissenschaftliche Mitarbeiterin gebeten, ihre eigenen, kulturellen Grenzen zu setzen. Aus den Ergebnissen haben sie eine interaktive Powerpoint mit Audiospur gestaltet, die im Unterricht zum Einsatz kommen kann.
„Wir haben fünf Personen befragt und fünf unterschiedliche Standpunkte erhalten. Das Projekt ließe sich beliebig fortsetzen, in Deutschland, in Bayern, selbst in der näheren Umgebung. Wo ziehen wir unsere Grenzen? Seit wir an dem Projekt gearbeitet haben, hinterfragen wir selber sehr viel mehr. Ziel wäre es, auch unsere künftigen Schülerinnen und Schüler dazu zu bringen, solche Konstrukte zu hinterfragen.“
Fake News historisch betrachtet: Die Gruppe um Studentin Juliane Watzl wollte wissen, seit wann es eigentlich Fake News gibt und hat daraus ein Legevideo produziert.
„Das Phänomen ist sehr viel älter, als wir dachten. Das Legevideo startet im Jahr 1274 vor Christus im alten Ägypten bei Pharao Ramses, der die Nachricht von seinem Sieg verbreitete, obwohl er eigentlich verloren hatte. Mit unserem Legevideo wollen wir Schülerinnen und Schüler darauf vorbereiten, die Quellen hinter den Informationen zu prüfen. Wir haben auch Tipps eingebaut, wie sich Fakten checken lassen. Wir wollen die Schülerinnen und Schüler dafür sensibilisieren, tiefgründig zu recherchieren.“
Grenzen der Gleichheit: Studentin Annika Becker hat sich im Rahmen des Seminars "Negroes with Guns" mit dem Thema Equality – Gleichheit –auseinandergesetzt und eine Unterrichtssequenz multimedial aufbereitet. Auch die Rückmeldungen von Schülerinnen und Schülern hat sie einfließen lassen.
„Ich diskutierte mit Schülerinnen und Schülern einer 12. Klasse das Konzept des American Dream. Wie ist dieser wohl zu erreichen? Wie sieht es aus mit Social Mobility in den USA und in Deutschland? Es kamen ganz unterschiedliche Reaktionen. Interessant fand ich, dass viele Schülerinnen und Schüler nicht finden, dass das Konzept Equality beim Wählen in Deutschland umgesetzt ist, weil die Unter-18-Jährigen nicht wählen dürfen.“
Identität im Netz: Die Studentinnen Verena Lehmann, Verena Ofner, Marissa Püschner und Vladimíra Sulírová haben ein Legevideo produziert, mit dem sie Kommilitoninnen und Kommilitonen zum Nachdenken über die eigene Identität und das "digitale Ich" bringen möchten.
„Was bedeutet Identität im Netz? Wie stelle ich mich dort dar? Selbst in unserer kleinen Gruppe haben wir hier ganz unterschiedliche Herangehensweisen: Manche sind auf Instagram, andere nicht. Manche haben nur Facebook, ich habe mich bei Facebook komplett abgemeldet. Wir haben aus diesen Fragen, die die eigene Selbstdarstellung im Netz betreffen, ein Legevideo entwickelt, welches kombiniert mit einem analogen Fragebogen Reflexionsprozess anstoßen soll.“
Blick in die Ausstellung: Links im Bild zu sehen ist die Video-Installation zum Thema sexualisierte Gewalt gegen Frauen in Populärkultur, rechts im Bild testen Besucherinnen und Besucher das analoge Escaping-Spiel.
Lern- und Lehrräume im Umbruch: Die Studentinnen Julia Furtner, Camilla König und Elisa Koeppen haben ein Legevideo für die 5. Jahrgangsstufe produziert, in dem sie der Frage nachgehen, wie sich der Unterricht seit dem 19. Jahrhundert verändert hat.
„Uns hat folgende Frage interessiert: Wie verändert sich das Lernen, wenn man nicht mehr nur durch Bücher, sondern unbegrenzt an Informationen kommt? Wir haben aus dieser Frage mit Hilfe von Karteikarten ein Legevideo produziert. Roboter Rob, den wir ebenfalls auf eine Karte gezeichnet haben, führt durch das Video. Gelernt habe ich vieles, denn für mich war es das erste Mal, dass ich ein solches Video produziert habe.“
Rape Culture sichtbar gemacht: Die beiden Erasmus-Studierenden Fiorella Debenedetti und Eugenio Catulo haben ein verstörendes Video produziert, das zeigt, wie sehr wir uns an sexualisierte Gewalt gegen Frauen in der Populär-Kultur gewöhnt haben (siehe Titelbild). Die Arbeit ist in einem Teamteaching-Seminar von Dr. Viola Huang und Dr. Sarah Makeschin entstanden. Amerikanistin Makeschin erklärt die Video-Installation:
„Fiorella und Eugenio wollten die Legitimierung von Rape Culture sichtbar machen. Sie haben Texte bekannter Songs genommen, die wir häufig mitsingen, ohne den Inhalt zu reflektieren. Dabei ist dieser oft ganz schön heftig. In dem Video zeigen sie Frauen, die diese brutalen Texte mitsingen, sowie die dazugehörigen Lyrics. In der Audiospur sind die Lieder zu hören. Noch beklemmender aber wirkt das Video ohne Audiospur, nur mit den Untertiteln zu den Lippenbewegungen der Frauen. Das macht die ganze Brutalität der Texte sichtbar.“
Social Bots und Fake News: Die Studierenden Laura Zwerschina, Bettina Behringer, Simon Heitzer und Sophie Greiler haben ein Erklärvideo zur technischen Seite von Fake News produziert.
„Uns hat vor allem die technische Komponente beim Thema Fake News interessiert: Welche Rolle spielen Social Bots? Wir zeigen in unserem Video, wie Schneeball-Effekte funktionieren und wie Programme in sozialen Netzwerken automatisch Posts zu bestimmten Begriffen abgeben, teilen oder verbreiten, um zu manipulieren. Wir wollen das Video in der gymnasialen Oberstufe einsetzen. Gelernt haben wir neben den auch für uns neuen Inhalten, welcher Aufwand bei der Gestaltung eines Erklärvideos beachtet werden muss.“
Inszenierung auf Instagram versus ...
... Realität vor der Haustüre.
Virtual versus Reality: Die Studentinnen Michaela Fluhrer und Lena Früchtenicht stellen in ihrem Projekt #capturedmoments die Instagram-Inszenierung der Realität gegenüber und thematisieren damit die Grenze zwischen Inszeniertheit und Uninszeniertheit. Die Fotos waren Teil einer Ausstellung im Rahmen des Seminars "Grenzen" in der Passauer St.-Anna-Kapelle.
„Wir haben uns vier Bereiche ausgesucht, die bei Instagram vermehrt präsentiert werden. Dazu gehören für uns: Sport, Essen, Musik und Bildung. Auf unseren Bildern zeigen wir den Ausschnitt, den man auf Instagram hochladen würde, und zum anderen das Bild in seiner Gesamtheit. Dieses enthält auch das Chaos außen herum, das auf dem perfekt inszenierten Bild nicht mehr zu sehen ist. Oder es zeigt, unter welchen Umständen das vermeintliche Sport-Bild wirklich entstanden ist. Junge Erwachsene in unserem Alter verbringen häufig sehr viel Zeit auf Instagram. Uns war es wichtig darzustellen, dass jedes Bild auf seine eigene Art und Weise inszeniert ist und nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit abbildet. Es ist schwierig, die Realität von der Inszenierung zu unterscheiden. Das Ziel war es, die Rezipientinnen und Rezipienten darauf aufmerksam zu machen, nicht alles zu glauben, was in sozialen Netzwerken verbreitet wird.“
Zugezogene: Die Kunstpädagogin Dorothe Knapp und die Mediensemiotikerin Amelie Zimmermann leben als Nicht-Bayerinnen in Bayern und haben im Video Fragen aufgenommen, mit denen sie sich immer wieder konfrontiert sehen. Ihre Video-Installation "Integrierdi!" war ebenfalls Teil der Ausstellung "Grenzen" in der St.-Anna-Kapelle.
„Kann I bairisch? Mecht I bairisch redn? Muaß I bairisch redn? Diese Fragen haben wir uns hier als Zugezogene immer wieder gestellt. Ich komme aus Hessen, Amelie aus Hamburg. Der Dialekt ist meine Grenze. Ich möchte mich ja integrieren, kann hier aber nicht. Ich fände es komisch und anmaßend bairisch zu reden. Zugleich ecke ich mit meiner Art zu reden, hier an: Die Preußen, die reden so arrogant, heißt es. Dabei meine ich das gar nicht so. Unsere Video-Installation hat in der St.-Anna-Kapelle eine ganz eigene Wirkung entfaltet. Einheimische und Gäste sind darüber ins Gespräch gekommen. Die wohl lustigste Reaktion kam per Mail von einer Assistentin in der St.-Anna-Kapelle, die sich die Dauerschleife den ganzen Tag anhören musste: ‚Nein, verdammt! Sie müssen nicht bairisch reden!‘, schrieb sie.“
Das interdisziplinäre Team des SKILL-Lehrprojekts "Information and Media Literacy" (von links): Informatikdidaktiker Andreas Dengel, Amerikanistin Dr. Sarah Makeschin, Medienpädagogin Petra Mayrhofer, Medienpädagogin Jessica Knauer, Kunstpädagogin Dorothe Knapp (vorne sitzend), studentische Mitarbeiterin Michaela Fluhrer und Geschichtsdidaktikerin Dr. Viola Huang.
So geht SKILL weiter
„Information and Media Literacy“ war ein Lehrprojekt im Rahmen von SKILL, dem Passauer Modellprojekt zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung. Das Projekt SKILL wird im Rahmen der gemeinsamen Qualitätsoffensive Lehrerbildung von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
SKILL steht für „Strategien zur Kompetenzentwicklung: Innovative Lehr- und Beratungskonzepte in der Lehrerbildung“. Das Projekt dient der Weiterentwicklung der Lehrerbildung an der Universität Passau.
In SKILL.de (Strategien zur Kompetenzentwicklung: Innovative Lehrformate in der Lehrerbildung, digitally enhanced) wird der Schwerpunkt darauf liegen, dass Lehrkräfte den "digital turn" im Bildungsbereich nicht nur mitgestalten, sondern mit digitalen Mitteln belegbar besseren Unterricht machen.