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„Zum Schutz dieses besonderen Ökosystems beitragen“

Geographie-Studentin Liesa Cosman war Teil eines Teams, das im Rahmen des internationalen DAAD-Projekts BioCult in Äthiopien Feldforschung zur Vegetation tropischer Wälder betrieben hat. Ein Erfahrungsbericht.

Zu zehnt sitzen wir dicht gedrängt auf den beiden Bänken hinten im Jeep. Das Fahrzeug ruckelt, wir schlängeln uns immer weiter nach oben, bis sich die Landschaft um uns herum leicht verändert. Staub und Steine weichen Bäumen und Sträuchern. „Das gehört auch schon zu Tara Gedam“, sagt Botaniker Solomon Girmay von der Universität Bahir Dar. Wir verdrehen unsere Köpfe, und werfen einen ersten Blick auf den Wald, in dem wir die kommenden drei Wochen jeden Tag verbringen werden.

Aufgrund der hohen Anzahl an endemischen Arten sind Vegetationsuntersuchungen in äthiopischen Wäldern besonders wichtig und können zur Erhaltung der Artenvielfalt beitragen

Solomon Girmay, Botaniker an der Universität Bahir Dar

Olea europaea - hier ein Indikator für einen ungestörten Wald.

Olea europaea. Hier ein Indikator für ungestörte Waldflächen

Wir, das sind etwa ein Dutzend Studierende aus Deutschland und Österreich und fast nochmal so viele von der Universität in Bahir Dar, der Hauptstadt der äthiopischen Provinz Amhara und der sechstgrößten Stadt Äthiopiens. Wir haben uns im Rahmen des internationalen, vom DAAD geförderten Forschungsnetzwerks BioCult im März 2023 bei einer Exkursion in Äthiopien zusammengefunden. In dem Projekt untersuchen Forschende aus Kenia, Äthiopien, Deutschland und Österreich, unterstützt von Studierenden, die Artenvielfalt, Ökosystemfunktionen und die kulturelle Bedeutung von insgesamt drei Waldgebieten, zwei davon in Kenia und eines in Äthiopien.

Mit Maßbändern und Seilen stecken wir in den kommenden Wochen insgesamt 30 runde Untersuchungsflächen mit einem Radius von 15 Metern ab, sogenannte Plots. Wir bestimmen die vorkommenden Arten, zählen die Individuen – der Begriff für einen einzelnen Baum - und notieren die Störfaktoren, wie Beweidung, Fußpfade oder Holzeinschlag. „Aufgrund der hohen Anzahl an endemischen Arten sind Vegetationsuntersuchungen in äthiopischen Wäldern besonders wichtig und können zur Erhaltung der Artenvielfalt beitragen“, erklärt unser Botaniker Solomon Girmay. Zusätzlich vermessen wir den Brusthöhendurchmesser sowie die Höhe der größeren Bäume.

Kühe als Anzeichen einer "Störung" im Plot.

Manchmal müssen wir nicht lange suchen, um Störungen im Plot zu identifizieren.

Die Leitung hat Prof. Dr. Christine Schmitt, Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie mit Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Forschung an der Universität Passau. Neben mir sind noch vier weitere Studierende aus Passau mitgereist. Zwei davon studieren ebenfalls im Master Geographie, Andreas Biedermann und Zora Sabisch. Gemeinsam unterstützen wir unsere Professorin bei der Vegetationsuntersuchung. Joeta Ndwiga und Debarati Ganguly sind Masterstudentinnen im Studiengang Development Studies und arbeiten vor Ort im sozialwissenschaftlichen Arbeitspaket. Durch standardisierte Befragungen mit der rund um den Kirchenwald lebenden Gemeinschaft, erforschen sie die sozialen und kulturellen Interessen an Tara Gedam und die aktuelle Bereitschaft zum Schutz dieses Walds.

Vermessung der Wälder zur Bestimmung des Kohlenstoffbestands

Tara Gedam ist, wie beinahe alle verbliebenen afromontanen Wälder des nördlichen und zentralen äthiopischen Hochlands, ein Kirchenwald und steht somit unter dem Schutz der äthiopisch orthodoxen Tewahedo Kirche. Als uns an unserem ersten Tag Mönche durch den Wald führen, sehen wir das inzwischen von Landwirtschaft geprägte, karge Umland, das viele Waldflächen verdrängt hat.  Uns wird nochmal bewusst, wie wichtig der Schutz der letzten verbliebenen Waldflächen ist.

Stereospermum kunthianum und der Blick von der Spitze Tara Gedams auf das von Landwirtschaft geprägte Umland.

Bald schon lerne ich, dass für deutsche Genauigkeit in der Feldarbeit keine Zeit ist. Nicht jeder Baum wird mühsam mit dem Klinometer vermessen, einem Neigungsmesser, mit dem sich indirekt die Höhe von Bäumen ermitteln lässt. Oftmals reicht ein etwa Fünf-Meter langer Stock, den wir über unseren Kopf halten, und manchmal genügt auch der Vergleich mit den umliegenden Bäumen. Die Daten zum Umfang und der Höhe braucht das Forschungsteam zur Bestimmung der Biomasse. Damit wiederum kann es den Kohlenstoffbestand des Waldes schätzen. Dieser ist vor dem Hintergrund der globalen Erwärmung ein wichtiges Argument bei der Diskussion um den Schutz von Waldflächen.

Dass die tropischen afrikanischen Bergwälder mehr Kohlenstoff speichern als gedacht, hatte ein internationales Forschungsteam nachgewiesen, an dem auch Prof. Dr. Schmitt beteiligt war. Unsere Aufgabe ist es nun, den Ist-Zustand des ausgewählten Waldgebiets sowie dessen Schutzmechanismen zu dokumentieren, die aktuell vom gesellschaftlichen Wandel beeinflusst sind. Unter anderem mit Hilfe dieser Daten entwickelt das Forschungsteam im Projekt BioCult Wege für einen langfristigen Waldschutz, der die Bedürfnisse lokaler Interessensgruppen miteinbezieht.

Prof. Dr. Schmitt hatte uns bereits gewarnt, dass diese Pläne vor Ort selten ganz exakt angewandt werden können. So sind wir zwar nicht völlig erstaunt, aber doch ein wenig enttäuscht, als wir im Wald feststellen müssen, dass einige unserer Forschungsfragen nicht funktionieren. Schon bei dem ersten Waldrundgang sehen wir, dass beinahe die gesamte Fläche von Störungen, wie Holzeinschlag und Beweidung, geprägt ist.

Auch die Positionierung der Plots stellt uns anfänglich vor einige Probleme. Gemeinsam mit anderen Arbeitsgruppen ausgewählte „Waldrand-Plots“ liegen für uns zu weit außerhalb. An anderen Stellen sind die Hänge zu steil und machen eine Erhebung unmöglich. Wir müssen also die ursprünglich angedachte Plot-Verteilung etwas anpassen. Dafür macht sich unsere Professorin mit einem GPS-Gerät auf die Suche nach neuen Standorten und schafft es durch eine leichte Verschiebung der ursprünglich angedachten Koordinaten ein zufriedenstellendes, neues Plot-Schema zu erstellen.

Ursprüngliche Plot Verteilung.

Die ursprüngliche Plot-Verteilung. Grafik: Andreas Biedermann, Geographie Student.

Die finale, angepasste Plot-Verteilung.

Die angepasste, finale Plot-Verteilung. Grafik: Andreas Biedermann, Geographie Student.

Anfangs schaffen wir nur zwei Plots am Tag, müssen uns aneinander und an die Methoden der Vermessung gewöhnen. Nach und nach gewinnt unsere Erhebung an Routine, wir nehmen unsere angestammten Plätze ein: Karabeh, Student am College of Agriculture and Environmental Sciences der Universität Bahir Dar, vermisst den Brusthöhendurchmesser und bestimmt gemeinsam mit seinem Kommilitonen Bahiru die Art. Mein Passauer Kommilitone Andreas misst die Höhe und ich notiere die Daten. Die anfangs aufregende Feldarbeit wird allmählich zu unserem Alltag. Für uns Studierende aus Passau bleibt das Umfeld ein Besonderes: Während wir arbeiten, hören wir Vogelgesänge, die für uns fremd sind, und sehen ab und zu in der Ferne kleine Affen in den Baumkronen.

Ein letzter Blick vom Straßenrand auf Tara Gedam.

Als der letzte Erhebungstag vorbei ist, packen wir unsere Ausrüstung ein. Innerhalb von drei Wochen haben wir 1.897 Bäume vermessen und deren Umfeld dokumentiert. Zusammen mit den Erhebungen der Sträucher und Sämlinge beläuft sich unsere Datentabelle auf 9.767 Individuen. Wir drehen uns nochmals um und werfen einen letzten Blick auf „unseren“ Wald. Mit den Daten im Gepäck geht es für uns wieder zurück nach Hause und wir hoffen, damit etwas zum Schutz dieses besonderen Ökosystems beitragen zu können.

Liesa Cosman reiste im März 2023 für vier Wochen im Rahmen des BioCult Projekts nach Äthiopien.

Geographie-Studentin Liesa Cosman war im März 2023 Teil der Erhebung im Rahmen des BioCult Projekts und schreibt ihre Masterarbeit am Lehrstuhl von Prof. Dr. Christine Schmitt über den Kohlenstoffbestand von Tara Gedam. Zudem arbeitet sie als studentische Hilfskraft in der Stabsstelle für Forschungsstrategie und Wissenschaftskommunikation. Das Bild oben entstand im Norden Äthiopiens auf knapp 4.000 Metern Höhe in der afroalpinen Zone der Simien Mountains.

Das Bild unten entstand im Juni an der Universität Passau, als sechs Kooperationspartnerinnen und -partner aus Kenia und Äthiopien im Rahmen des Biocult-Projekts zu Besuch waren. Es handelte sich dabei um: Marianne Maghenda, Taita Taveta University; Halimu Shauri, Pwani University; Solomon Addisu, Bahir Dar University; Maria Fungomeli, National Museums of Kenya, Coastal Conservation Unit; Joeta Ndwiga, Studentin an der Universität Passau; Maarifa Mwakumanya, Pwani University; Habtamu Assaye, Bahir Dar University (von links nach rechts). Gemeinsam mit den Forschenden der Universität Passau nahm das Team an der Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Tropenökologie (gtoe) teil, die in České Budějovice stattfand. Das Projekt Biocult war mit dem Symposium "Biodiversity and people: the role of culture and tradition in biodiversity conservation" vertreten. Foto: Lena Wilde, Welcome Center.

Besuch in Passau.
Prof. Dr. Christine Schmitt im Portrait vor dem Panorama des Inns und der Stadt Passau.

Prof. Dr. Christine Schmitt

forscht zu Vegetationsgeographie und Mensch-Umwelt-Beziehungen

Wie kann ich Schutz und Nutzung von natürlichen Ressourcen und Biodiversität vereinbaren?

Wie kann ich Schutz und Nutzung von natürlichen Ressourcen und Biodiversität vereinbaren?

Prof. Dr. Christine Schmitt ist seit April 2021 Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie mit Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Forschung an der Universität Passau. Sie ist im Beirat der Gesellschaft für Tropenökologie (gtö) und des BayWISS-Kollegs Life Sciences und Grüne Technologien aktiv und hat Erfahrung in der Politikberatung auf internationaler Ebene.

Projekt BioCult: Passauer Forscherin untersucht Artenvielfalt und Biomasse in Wäldern Kenias und Äthiopiens

Projekt BioCult: Passauer Forscherin untersucht Artenvielfalt und Biomasse in Wäldern Kenias und Äthiopiens

Tropische Wälder beherbergen eine immens hohe Artenvielfalt und sind oftmals von großer kultureller Bedeutung für die Menschen vor Ort. Jedoch sind viele dieser Wälder von Übernutzung und der Umwandlung in Agrarflächen bedroht.

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