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Kluge Lösungen für die Energiewende von unten

Ein europaweites Forschungsteam testet im EU-Horizon-Projekt RENergetic, wie sich Energieinseln bestmöglich selbst versorgen können. Ein Team der Universität Passau entwickelt dafür Lösungen aus Sicht der IT und der Rechtswissenschaften.

Prof. Dr.-Ing. Hermann de Meer im Gespräch mit dem RENergetic-Team seines Lehrstuhls. Links im Bild: Projektkoordinator Stepan Gagin; Fotos: Universität Passau

Es ist schon einige Jahre her, da war der Hafen im belgischen Gent so gut wie Niemandsland. Inzwischen entsteht dort die Zukunft: ein neuer Stadtteil mit 400 Wohnungen, den die Europäische Union als eine Art Testlabor verwendet, wie in einer urbanen Umgebung ein nachhaltiges und lebenswertes Viertel geschaffen werden kann.

Die New Docks sind eine von drei Energieinseln in dem EU-Projekt RENergetic, an dem auch ein Team der Universität Passau mitarbeitet, um die Energiewende Wirklichkeit werden zu lassen. Die Forschenden um den Informatiker Prof. Dr.-Ing. Hermann de Meer testen, ob der Bezirk als eigene Energieinsel, also unabhängig von Energiequellen von außen, funktionieren kann. Dafür haben sie mit Hilfe intelligenter Algorithmen ein Energiemanagementsystem entwickelt, das Verbrauch und Erzeugung in vielen Sektoren einbezieht und optimiert: Strom, Wärme und Mobilität.

Ein Teil der IT-Lösung für die New Docks kommt unter anderem aus Passau. Das Herzstück der Passauer Lösung ist ein Server in einem kleinen Raum im IT-Zentrum der Universität. Informatiker Stepan Gagin, der das Arbeitspaket in dem EU-Projekt koordiniert, ist gemeinsam mit seinem Kollegen Armin Stocker dafür zuständig, zu prüfen, ob alles nach Plan läuft.

Hardware-in-the-Loop-Simulation im Energylab

Bei dem Server handelt es sich um das „Energylab“ des Projekts. Er ermöglicht das Testen der Algorithmen und Regelungsstrategien am realen Verhalten der Leistungselektronik mittels einer Hardware-in-the-Loop (HIL)-Simulation, ohne den Betrieb in den Pilotanlagen zu stören. So können die Forschenden Was-wäre-wenn-Studien zu verschiedenen Szenarien durchführen, bevor die Experimente in den Piloten in der Praxis zum Einsatz kommen.

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Doktorand Armin Stocker bei der Präsentation von Projektinhalten.

Die Simulation im Energylab hat Doktorand Stocker entwickelt. Er ist ein echtes Gewächs der Universität Passau: in Niederbayern aufgewachsen hat er sich entschieden in Passau im Bachelor und im Master Informatik zu studieren. Während des Bachelorstudiums fing er als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Informatik mit Schwerpunkt Rechnernetze und Rechnerkommunikation an der Universität Passau an. „Ich habe schon als Kind gerne Computerspiele gespielt und wollte dann auch selber welche programmieren“, erklärt er seinen Antrieb, sich auf Informatik zu konzentrieren.

Im Studium habe ihn fasziniert, wie viele Anwendungsbereiche das Fach habe. Zum Beispiel eben auch die Steuerung von Stromnetzen, ein Thema, auf das sich Lehrstuhlinhaber Prof. Dr.-Ing. de Meer spezialisiert hat und damit bereits seit Jahren eine Nische besetzt, die im Zuge der Energiewende immer stärker in den Fokus rückt. Denn Strom aus dezentralen erneuerbaren Energiequellen ist der zentrale Schlüssel für die Energiewende.

Allerdings hat der Strom aus Wind- oder Sonnenenergie ein Problem: Er unterliegt massiven Schwankungen und stellt damit das Netz vor große Herausforderungen. Eine IT-Lösung für solche Nebenwirkungen hat das Passauer Informatikteam in einem vorhergehenden EU-Projekt entwickelt. Armin Stocker war als studentische Hilfskraft beteiligt und so stellt die Forschung im EU-Projekt RENergetic eine natürliche Fortsetzung dieser Arbeit dar.

Englischsprachiger Master Computer Science an der Universität Passau

Das Angebot im Fachbereich Informatik war es, das Projektkoordinator Stepan Gagin 2018 an die Universität Passau zog. Er kommt ursprünglich aus der russischen Großstadt Jekaterinburg und hatte im Internet nach interessanten internationalen Masterprogrammen in englischer Sprache recherchiert. Da stieß er auf die Kleinstadt Passau, von der er vorher noch nicht gehört hatte. Aber das englischsprachige Angebot der Universität beim Master Informatik überzeugte ihn: „Die Liste der englischen Kurse, die man hier als Master besuchen kann, klang sehr interessant. Ich fing also an, nach Bildern von Passau im Internet zu suchen, und als ich die Bilder der Altstadt sah, war es um mich geschehen.“

Blick von der Veste Oberhaus auf die verschneite Altstadt von Passau.

Stepan Gagin.

Der Informatiker Stepan Gagin ist Koordinator des Passauer Teilprojekts in Renergetic.

Er wagte den Umzug und stellte fest, dass die Bilder nicht zu viel versprachen. „Passau ist eine Kleinstadt, aber sehr studentisch geprägt. Man kommt leicht mit Studierenden und Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch“, erzählt er. Denn man treffe sich nicht nur auf dem Campus, sondern auch in der Stadt. Außerdem organisiere die Universität für internationale Studierende und Forschende viele Veranstaltungen, sowohl wissenschaftliche als auch kulturelle, so dass es jede Menge Gelegenheiten gebe, sich kennenzulernen. Deutsch versteht Gagin inzwischen sehr gut. Schwierigkeiten hat er nur, wenn die Einheimischen ins Bairische wechseln, sagt er und lacht.

Am Lehrstuhl von Prof. Dr.-Ing. de Meer ist das kein Problem, denn mit seinen Kolleginnen und Kollegen unterhält er sich auf Englisch. Bei der Projektkoordination von RENergetic sind seine internationalen Erfahrungen von Vorteil. Es gilt, auf die unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten der Partnerinnen und Partner einzugehen, die in sechs verschiedenen europäischen Ländern beheimatet sind. Einmal im Vierteljahr findet ein Projekttreffen bei einem der Partner vor Ort statt. Gagin hat alle beteiligten Länder mindestens einmal besucht. Das Reisen, der Austausch mit Kolleginnen und Kolleginnen aus anderen Fachkreisen und anderen Kulturen, empfindet der Informatiker als Privileg seiner Tätigkeit.

Balanceakt mit Energiequellen in der Energieinsel

Hinzu kommt die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort. Denn dass diese von Anfang an ins Projekt eingebunden werden, gehört zum Konzept von RENergetic. Dass Gagin in seiner Arbeit nicht nur mit informatischen Problemen konfrontiert ist, sondern den Realitätscheck vor Ort machen kann, war es auch, was ihn besonders reizte.

In seiner Tätigkeit konzentriert sich Gagin auf Prozesse der Optimierung. Der Grund: „Wir hatten zu Projektbeginn mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Zuständigen fürs Energiemanagement über die größten Bedürfnisse diskutiert.“ Fast alle hätten Lösungen für das Energiemanagement genannt, also wie man die Energieflüsse von den verschiedenen Verbrauchern und Erzeugern optimieren kann. Eine Energieinsel hat viele Energieerzeuger wie Wärmepumpen und Heizkessel. Manche davon sind flexibel. Es gilt, eine Balance zu finden zwischen Energieverbrauch und Erzeugung. Beispielsweise müssen die Zeiten optimiert werden, an denen Autos und Speichersysteme geladen werden.

Dafür entwickelt Gagin Lösungen, die er wiederum mit den Bürgerinnen und Bürgern und den Zuständigen fürs Energiemanagement diskutiert. So stößt er auf Fehler in seinen Annahmen, zum Beispiel bei den Wärmepumpen. Der Informatiker war davon ausgegangen, dass diese immer aktiviert werden könnten. Doch im Gespräch mit den Menschen in Gent stellte sich heraus, dass dies nicht der Fall war: „Es gab viele Einschränkungen wie die Außentemperatur, die Verfügbarkeit von internen Wärmequellen. Das hatte ich nicht auf dem Schirm.“

Teambesprechung an der Universität Passau

Kluge Lösungen aus regulatorischer Perspektive

Beteiligt am RENergetic-Projekt sind nicht nur Informatikerinnen und Informatikern, sondern auch Forschende aus den Sozialwissenschaften, etwa aus der Soziologie und Psychologie, sowie aus der Rechtswissenschaft. Im Passauer Team arbeitet Gagin eng mit Alina Anapyanova zusammen, die die rechtlichen Aspekte des Projekts untersucht.

Präsentation von Alina Anapyanova

Alina Anapyanova zog eine interdisziplinäre Promotionsstelle im RENergetic-Projekt nach Passau.

Auch sie hat einen internationalen Werdegang: Zunächst absolvierte sie an der University of Maastricht in den Niederlanden einen Bachelor in „European Law“. Im Anschluss machte sie an der Science Po in Paris einen Master in „International Public Management“. Danach ging sie zunächst an die Hochschule Darmstadt.

Nach Passau zog sie eine interdisziplinäre Promotionsstelle im RENergetic-Projekt. Die Arbeit von Anapyanova ist zwar an der Juristischen Fakultät angesiedelt, wird aber von dem Juristen Prof. Dr. Urs Kramer gemeinsam mit dem Informatiker Prof. Dr.-Ing. Hermann de Meer betreut: „Ich konzentriere mich auf den deutschen Energiemarkt und schaue mir an, wie man hier teilautarke Energiegemeinschaften implementieren und stromnetzfreundlich ausführen kann.“ Inspiration dafür holt sie sich an der Fakultät für Mathematik und Informatik, und zwar aus ihrer Projekttätigkeit im Rahmen von RENergetic.

Auch für Alina Anapyanova war Passau neu, aber der Charme der Kleinstadt und die Arbeitsumgebung hat sie überzeugt: „Ich genieße den engen Austausch mit fachfremden Kolleginnen und Kollegen.“  Auch ihr Fachgebiet sind kluge Lösungen, allerdings im regulatorischen Bereich. Denn für die Energiewende braucht es mehr als Technik, und zwar das Mitwirken der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen. Hier kommt Anapyanovas Arbeit zum Einsatz. Sie erarbeitet gemeinsam mit den Menschen kluge Lösungen für einen regulatorischen Rahmen, der die richtigen Anreize setzt und nicht zu komplex gefasst ist.

Die Forschenden im EU-Horizon-Projekt RENergetic kommen zwar aus unterschiedlichen Disziplinen. Doch sie eint ein gemeinsames Ziel: in Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort neue Lösungen zu entwickeln und zu erproben, um die Energiewende Wirklichkeit werden zu lassen.

Prof. Dr.-Ing. Hermann de Meer

Prof. Dr. Ing. Hermann de Meer

forscht zu intelligenten Stromnetzen

Wie können wir das Stromnetz mit Hilfe von Digitalisierung sicher und stabil gestalten?

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Prof. Dr. Ing. Hermann de Meer ist Inhaber des Lehrstuhls für Informatik mit Schwerpunkt Rechnernetze und Rechnerkommunikation an der Universität Passau und Honorarprofessor am University College London. Zuvor war er unter anderem als Juniorprofessor an der Universität Hamburg und als Gastprofessor an der Columbia University in New York City, USA, tätig. Zu seinen Forschungsinteressen zählen Cloud Computing, Energiesysteme, Netzwerkvirtualisierung, IT-Sicherheit, Smart Grid, Smart City, Industrie 4.0, die Digitalisierung von Energiesystemen, Rechnernetze und Rechnerkommunikation sowie verteilte Systeme.

EU-Projekt Renergetic: IT-Lösung aus Passau für die Energiewende von unten

EU-Projekt Renergetic: IT-Lösung aus Passau für die Energiewende von unten

Wohnviertel im belgischen Gent, Uni-Campus im polnischen Posen, Krankenhaus im italienischen Mailand: Das EU-Projekt RENergetic prüft an diesen drei Standorten, wie Bürgerenergie gelingen kann. Die Universität Passau steuert Expertise zum Thema Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit bei.

Mehr Informationen und Förderhinweis

"Funded by the European Union. Views and opinions expressed are however those of the author(s) only and do not necessarily reflect those of the European Union or Horizon Europe. Neither the European Union nor the granting authority can be held responsible for them."

Dieser Beitrag erschien zunächst auf dem Portal Research in Bavariades Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst. Zum englischen Originalbeitrag

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