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"Die Aufholjagd muss jetzt beginnen"

Prof. Dr. Carolin Häussler ist Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), die das Jahresgutachten 2024 an Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger übergeben hat. Dringenden Handlungsbedarf sieht sie im Bereich künstlicher Intelligenz. Mit Video-Interview

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Prof. Dr. Carolin Häussler ist Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation, Technologiemanagement und Entrepreneurship an der Universität Passau. Seit fünf Jahren gehört sie zu den Innovationsweisen der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin. Diese leistet wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Im Video-Interview erklärt Prof. Dr. Häussler die Themen des aktuellen Gutachtens im Allgemeinen sowie die Empfehlungen in einem der diesjährigen Schwerpunktthemen zu künstlicher Intelligenz im Besonderen. 

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Mit welchen Themen beschäftigt sich die EFI-Kommission im Gutachten 2024?

Im ersten Teil des Gutachtens kommentieren wir zunächst aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen der Forschungs- und Innovationspolitik – und gerade hier haben wir insbesondere die weitreichenden Transformationen von Wirtschaft und Gesellschaft in den Blick genommen. Und im zweiten Teil wählen wir Themen aus, bei denen wir glauben, dass diese derzeit und zukünftig wichtig für DE sein werden – im Gutachten 2024 sind dies aus unserer Sicht: Neue Technologien für eine nachhaltige Landwirtschaft: ein sehr aktuelles und brisantes Thema, wie gerade auch die Bauernproteste zeigen. Wir haben smarte digitale Technologien sowie die grüne Gentechnik in den Blick genommen. Internationale Mobilität im Wissenschafts- und Innovationssystem: Hier haben wir uns damit befasst, ob es Deutschland gelingt, leistungsstarke Fachkräfte anzuziehen und zu halten.  Soziale Innovationen,denen erhebliche Bedeutung zukommt, denn die großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimawandel, demografische Alterung und Digitalisierung werden nicht allein durch technologische Veränderungen bewältigt werden können. Künstliche Intelligenz- und zwar mit Blick auf die Frage, wo wir in Deutschland und Europa bei dieser Schlüsseltechnologie stehen und was zu tun ist.

Stichwort Transformationen - was sind die derzeitigen Herausforderungen in der Forschungs- und Innovationspolitik?

Ein Herkulesprojekt für die Bundesregierung ist der grundlegende Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft – ich nenne hier beispielhaft die Energiewende, Mobilitätswende, und die Digitalisierung. Klar ist - und andere Länder bringen sich schon in Stellung -  dass diejenigen Volkswirtschaften, die sich hier erfolgreich positionieren, umfassende wirtschaftliche Potenziale realisieren können. Warum? Weil sie wertvolles Know-how aufbauen und über innovative Produkte und Geschäftsmodelle verfügen, die dann global nachgefragt werden. Investitionen in die Transformationen werden sich somit auszahlen - nicht nur im Blick auf Nachhaltigkeit, sondern auch wirtschaftlich. Aber aktuell ist Deutschland noch ein Stück davon entfernt, sich als Erfolgsmodell zu positionieren. Die heutigen Entscheidungen – auch politisch – definieren, wo Deutschland morgen stehen wird. Dafür brauchen wir eine transformative Forschungs- und Innovationspolitik.

Die Suche nach innovativen Lösungen muss der Wirtschaft überlassen werden. Wir brauchen Lösungen, die im marktlichen Kontext erarbeitet und gefunden werden. Die Politik kann maximal Richtungsänderungen anstoßen.

Wie sieht so eine transformative Forschungs- und Innovationspolitik aus? 

Es braucht einen klaren leitenden Kompass, so dass auch notwendige kurzfristig angelegte Maßnahmen auf die langfristigen Ziele einzahlen. Ich gebe Ihnen zwei Beispiele. So sollten die Mittel aus dem Sondervermögen Bundeswehr auch für Forschung im Bereich Cybersicherheit und künstliche Intelligenz eingesetzt werden. Die Schnittmenge zwischen militärischer und ziviler Forschung ist hier vergleichsweise hoch, der Bezug zur digitalen Transformation unmittelbar gegeben. Weiteres Beispiel: die politische Unterstützung von Investitionen als Mittel der Sicherung technologischer Souveränität, wie etwa bei dem US-amerikanischen Halbleiterunternehmen in Magdeburg. Unabhängig von der Bewertung dieser Art von Industriepolitik sollte diese stets so gestaltet sein, dass selbsttragende Strukturen vor Ort entstehen, die auch im Falle eines Rückzugs des Investors aus Deutschland weiter betrieben werden können. Dazu sollten staatliche Fördermittel primär in Infrastrukturen und in den Kompetenzaufbau investiert werden.

Der mit Transformation einhergehende Wandel sollte nicht ausschließlich finanziell begleitet werden; wir brauchen dringend Deregulierung und Entbürokratisierung, um die Wirtschaft wieder bewegungsfähig zu machen. Und wenn etwas reguliert wird, dann brauchen wir klare, unkomplizierte Regeln. Nur so können Unsicherheiten aus den Märkten genommen werden und Optionen eröffnet werden – beides Voraussetzungen für privatwirtschaftliche Investitions- und Innovationsentscheidungen, ohne die es nicht funktioniert!

Denn, und das ist mein dritter Punkt: Die Suche nach innovativen Lösungen muss der Wirtschaft überlassen werden. Wir brauchen Lösungen, die im marktlichen Kontext erarbeitet und gefunden werden. Die Politik kann maximal Richtungsänderungen anstoßen. Der Vorteil einer solchen Politik ist, dass marktwirtschaftlich getriebene Innovations- und Suchaktivitäten angeregt werden. Sie steht damit im Gegensatz zu einer Gebots- und Verbotspolitik, bei der politisch vorgeschriebene Lösungen implementiert werden müssen. Zuletzt das wichtigste: Ein hohes Bildungs- und Ausbildungsniveau, auch um das Potential von Fachkräften langfristig zu sichern.

Transformation kostet, die Nerven der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft sind strapaziert - was raten Sie?

Wir können den Schalter nicht einfach umlegen – die Transformationskosten sind enorm hoch. Klimaschonende Technologien sowie die CO2-Bepreisung belasten einkommensschwache Haushalte mehr als andere. Die Transformationen werden auch dazu führen, dass einige alte Geschäftsmodelle obsolet werden. Doch es werden auch neue Geschäftsmodelle entstehen. Es braucht einen sozialen Ausgleich, um diese Übergänge zu schaffen. Wichtig ist für die Politik, dass ein solcher Ausgleich bei Maßnahmen zum transformativen Wandel von vornherein mitgedacht wird. Ein Beispiel dafür, wie es nicht laufen sollte, ist das Gebäudeenergiegesetz. Abgesehen davon, dass dieses Gesetz vor dem Hintergrund des steigenden CO2-Preises eine ineffiziente Doppelregulierung darstellt, zeigt sich hier, wie schnell die Nichtberücksichtigung sozialer Aspekte die gesellschaftliche Transformationsbereitschaft nachdrücklich beschädigen kann. Eine fundierte Abschätzung der Zahlungsmöglichkeiten der privaten Haushalte in Kombination mit sozial gestaffelten Kompensationen hätte hier gesellschaftliche Spannungen abmildern können.

Wo steht Deutschland in der künstlichen Intelligenz? 

China und die USA dominieren im Bereich der künstlichen Intelligenz die Technologieentwicklung, während Deutschland und die EU zurückfallen. Das sehen wir in einem internationalen Ländervergleich. Auch bei der Entwicklung von großen Sprachmodellen und multimodalen Modellen, also Modellen, die Informationen aus Bildern, Videos und Text verarbeiten können, sind Deutschland und die EU nicht führend. Das ist hochproblematisch, da diese Modelle die Grundlagen für vielfältige KI-Anwendungen sind und somit die Gefahr besteht, an technologischer Souveränität einzubüßen. 

Wir von der EFI-Kommission sehen für Deutschland und die EU durchaus noch Möglichkeiten, eine bedeutende Rolle zu spielen. Dazu bedarf es aber eines starken und europäisch vernetzten Ökosystems im Bereich der künstlichen Intelligenz.

Warum ist das gerade bei der künstlichen Intelligenz so problematisch? 

Bei künstlicher Intelligenz handelt es sich um eine Schlüsseltechnologie, die die technologische und ökonomische Entwicklung in den kommenden Jahren entscheidend prägen wird. KI kann in vielen Technologiebereichen und Branchen, wie etwa in der Produktionstechnik oder in der pharmazeutischen Industrie, Innovations- und Wachstumspotenziale eröffnen. Aber dafür muss sie auch in der Breite der Wirtschaft zum Einsatz kommen. Und da sehen wir in unserer Studie, dass das derzeit noch nicht der Fall ist.

Können sich Deutschland und die EU im Bereich der künstlichen Intelligenz überhaupt noch in Stellung bringen?

Wir haben ja leider keine großen Konzerne, die einfach mal ein paar Milliarden in ein KI-Modell investieren. Doch wir von der EFI-Kommission sehen für Deutschland und die EU durchaus noch Möglichkeiten, eine bedeutende Rolle zu spielen. Dazu bedarf es aber eines starken und europäisch vernetzten Ökosystems im Bereich der künstlichen Intelligenz. Damit meinen wir ein Netzwerk, das auf exzellenter Grundlagenforschung, einer leistungs- und wettbewerbsfähigen Dateninfrastruktur und Fachkräften aufbaut, die über KI-Kompetenzen verfügen. Insbesondere Open Source birgt ein hohes Potenzial, um die technologische Souveränität Deutschlands und Europas zu stärken. So könnten KI-Grundlagenmodelle entwickelt werden, die Transparenz gewähren und im Einklang mit europäischen Werten stehen. Allerdings mangelt es in Deutschland erheblich an Rechenkapazität, die aber Voraussetzung für das Trainieren und die Anwendung von KI-Modellen ist. Das kürzlich angekündigte Milliardeninvestment von Microsoft in Deutschland zum Aufbau von Rechenkapazität weist auf den Bedarf und das wirtschaftliche Potenzial hin. Aber wir müssen auf der Hut sein - unsere Wirtschaft läuft Gefahr, noch mehr im Bereich der Digitalisierung in die Abhängigkeitsspirale zu gelangen. Kurzum: Die Aufholjagd muss jetzt beginnen und künstliche Intelligenz in der Breite der Wirtschaft zum Einsatz kommen - ohne Abhängigkeiten von einigen wenigen außereuropäischen Anbietern, dafür mit einem starken vernetzten Ökosystem. Wenn uns das gelingt, dann bin ich sehr zuversichtlich, dass Deutschland und Europa vorne mitspielen können.
 


Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) leistet wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt regelmäßig ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor.

Prof. Dr. Carolin Häussler

Prof. Dr. Carolin Häussler

forscht zu Zusammenarbeit und Innovation

Wie können wir die Innovationskraft fluider Organisationen nutzen und stärken?

Wie können wir die Innovationskraft fluider Organisationen nutzen und stärken?

Prof. Dr. Carolin Häussler ist seit 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation, Technologiemanagement und Entrepreneurship und DFG-Vertrauensdozentin an der Universität Passau. Sie ist außerdem Projektleiterin im DFG-Graduiertenkolleg 2720: "Digital Platform Ecosystems (DPE)" an der Universität Passau. Sie ist Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung. Mit dem International Center for Economics and Business Studies lockt sie Forscherinnen und Forscher aus aller Welt nach Passau.

Bluesky

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