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„Auf Deutschland liegt bleischwer eine ausufernde Bürokratie“

Prof. Dr. Carolin Häussler ist Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), die das Jahresgutachten 2023 an Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger übergeben hat. Im Interview mahnt sie zu einer Zeitenwende, auch in der Forschungs- und Innovationspolitik.

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Prof. Dr. Carolin Häussler ist Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation, Technologiemanagement und Entrepreneurship an der Universität Passau und Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin. Diese leistet wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor (Pressemitteilung dazu). Im Video-Interview erklärt Prof. Dr. Häussler die Themen des aktuellen Gutachtens im Allgemeinen sowie die Empfehlungen in einem der diesjährigen Schwerpunktthemen zu Technologiemärkten im Besonderen. Wir dokumentieren das Interview in gekürzter Fassung.

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Mit welchen Themen beschäftigt sich die EFI-Kommission im Gutachten 2023?

Traditionell kommentieren wir zunächst die aktuelle Forschungs- und Innovationspolitik – und gerade hier hat die Regierung einige neue Strategien entwickelt: die Zukunftsstrategie, die Digitalstrategie und auch die Start-up-Strategie. Und dann wählen wir Themen aus, bei denen wir glauben, dass diese derzeit und zukünftig wichtig für Deutschland sein werden. Im Gutachten 2023 sind dies aus unserer Sicht: Innovation in einer alternden Gesellschaft – dabei geht es sowohl um Innovation von älteren Mitmenschen, als auch um die Frage, wie Innovationen älteren Menschen das Leben angenehmer machen. New Space – hier geht es darum, wie wir das All, also Weltraumtechnologien, im Alltag nutzen. Und schließlich Technologiemärkte, die uns helfen, Ideen besser für Innovationen zu nutzen.

Wie steht es um den Innovationsstandort Deutschland?

Nicht so gut, wie wir uns das wünschen würden. Der Innovationsstandort Deutschland schwächelt. Das sieht man daran, dass wir bei Schlüsseltechnologien nicht mehr vorne mitspielen – vor allem nicht mehr bei digitalen Schlüsseltechnologien. Ein weiteres Indiz: Unser Vorzeigeunternehmen BioNTech hat sich entschieden, seine Krebsforschung nach Großbritannien zu verlagern mit der Begründung, dass dort forschungsfreundlichere Rahmenbedingungen herrschen. Auf Deutschland liegt bleischwer eine ausufernde Bürokratie, die uns immer weniger Bewegungsfreiheit gibt, insbesondere Innovation hemmt und uns gerade im Technologiewettbewerb nicht mehr mitspringen lässt. So entsteht weniger Innovation und wenn es innovative Lösungen gibt, dann kommen diese bei uns nicht schnell genug in die Anwendung. Hinzu kommt, dass die für Forschung so wichtige Datenerhebung und -nutzung durch die schleppende Digitalisierung sowie komplexe Datenschutzvorgaben massiv ausgebremst wird. Während andere schon längst losspringen, warten wir noch auf Freigaben im Hinblick, was wir dürfen und was nicht - und wenn, wie wir es dürfen. Das senkt auch die Bereitschaft, Technologiesprünge zu nutzen und zu experimentieren, was wiederum enorm wichtig für neue Ideen und Innovation wäre.  

Aber am stärksten kann der Innovationsstandort durch eine Aufbruchstimmung gestärkt werden!  Hier bedarf es auch einer Zeitenwende, quasi einer forschungs- und innovationspolitischen Zeitenwende, um die ganz entscheidende Transformationsphase im Hinblick auf Dekarbonisierung, Klimawandel und Digitalisierung für einen Innovationsschub im Land zu nutzen, der uns hoffentlich wieder vorne mitspringen lässt.

Wie kann der Innovationsstandort gestärkt werden? 

Entbürokratisieren, vereinfachen und harmonisieren, zudem klare Regeln für die Nutzung von Daten schaffen. Leider wird eine umfassende und innovationsförderliche Datenökonomie schon seit Jahren durch die bestehenden Datenschutzregelungen torpediert. Hier gibt es zu viele Auslegungs- und Interpretationsspielräume und damit ein zu hohes Maß an Unsicherheit. Hier brauchen wir dringend Klärung. Die EFI-Kommission empfiehlt der Bundesregierung, die geplante nationale Datenstrategie zu nutzen, um hier Sicherheit zu geben. Ganz zentral ist dabei eine harmonisierte Auslegung der Datenschutzregelungen über alle Bundesländer hinweg. Der derzeitige Flickenteppich verursacht hohe Kosten und verhindert im schlimmsten Falle Innovationen. Aber am stärksten kann der Innovationsstandort durch eine Aufbruchstimmung gestärkt werden!  Hier bedarf es auch einer Zeitenwende, quasi einer forschungs- und innovationspolitischen Zeitenwende, um die ganz entscheidende Transformationsphase im Hinblick auf Dekarbonisierung, Klimawandel und Digitalisierung für einen Innovationsschub im Land zu nutzen, der uns hoffentlich wieder vorne mitspringen lässt.

Apropos Zeitenwende – was bedeutet das für die Forschungs- und Innovationspolitik?

Wir brauchen eine missionsorientierte und agile Forschungs- und Innovationspolitik, die ein klares Signal an Wirtschaft und Gesellschaft sendet. Die von der Bundesregierung vorgelegte Zukunftsstrategie Forschung und Innovation geht hier aus Sicht der EFI-Kommission in die richtige Richtung. Denn sie benennt eine Reihe an Missionen, wie zum Beispiel die Mission „Klimaschutz und Bewahrung der Artenvielfalt“, die soziale und technologische Innovationen auslösen soll. Die Strategie muss mit Hilfe einer agilen, ressortübergreifenden Governance-Struktur umgesetzt werden, die auch in der Lage ist, eine Aufbruchstimmung in der Breite der Gesellschaft zu entfachen.

Welche Rolle spielen Technologiemärkte im Innovationsprozess?

Beim Thema Technologiemärkte geht es darum, wie wir Ideen und Erfindungen besser für Innovation nutzen und schneller in die Anwendung bringen können. Nehmen wir an, ein Unternehmen hat eine Technologie entwickelt, verfügt aber nicht über die erforderlichen Kompetenzen und Ressourcen, um diese Technologie am Markt bestmöglich einführen zu können. Wenn wir es schaffen, dieses Unternehmen mit einem anderen zusammenzubringen, das die beste Marktkompetenz hat, dann können wir Innovationspotenziale realisieren. Genau dieses Matchmaking erfolgt auf Technologiemärkten, also Märkten, auf denen technologisches Wissen in Form von Rechten zum Schutz geistigen Eigentums, wie beispielsweise Patente und Lizenzen, gehandelt wird. Technologiemärkte begünstigen eine effizientere Arbeitsteilung im Innovationsprozess. Doch die Beteiligung deutscher Unternehmen liegt im internationalen Vergleich deutlich zurück. In den USA, aber auch in europäischen Ländern wie Frankreich und Schweden, ist die Bereitschaft Technologie zu handeln, deutlich ausgeprägter. Das mag nach wie vor an einer gewissen Zurückhaltung liegen, Innovationsprozesse offen zu gestalten. Es kann aber auch an der eher mittelständischen Struktur unserer Wirtschaft liegen, in der gerade kleinere und mittlere Unternehmen den durch Technologiehandel entstehenden Aufwand von der Suche nach geeigneten Partnern bis zum Vertragsabschluss scheuen und vor etwaigen Unsicherheiten zurückschrecken.

Was rät die EFI-Kommission der Bundesregierung im Hinblick auf Technologiemärkte?

Wir müssen die Hürden für Technologiehandel senken und mehr Transparenz schaffen. Einer unserer Vorschläge ist, die Datenbanken des Deutschen Patent- und Markenamts und des Europäischen Patentamts beispielsweise mit Hilfe von Verfahren der künstlichen Intelligenz auszubauen, um so relevante patentgeschützte Technologie und Handelspartner besser matchen zu können. Zudem schlagen wir vor, die Patentdatenbanken mit weiteren Datenbanken zu verknüpfen und auch finanzielle Anreize zu setzen, damit Informationen zu Eigentumsübertragungen und Lizenzbereitschaft breit und schnell zur Verfügung stehen. Speziell kleine und mittlere Unternehmen müssen auf Technologiemärkten gestärkt werden, etwa über die Ausarbeitung von Standardverträgen, die es ihnen leicht macht, Rechte zur Technologienutzung zu übertragen oder einzukaufen. Auch Förderprogramme wie „WIPANO – Wissens- und Technologietransfer durch Patente und Normen“ sollten fortgeführt und ausgeweitet werden. Gleiches gilt für Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Auch sie müssen Technologietransfer und Patentverwertung weiter professionalisieren sowie unternehmerischer und wettbewerblicher ausrichten. All diese Maßnahmen können dazu beitragen, dass wir Ideen für Innovationen besser nutzen können. Und damit auch den Erfindergeist der Deutschen wieder stärker entfachen können.


Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) leistet wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt regelmäßig ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor.

Prof. Dr. Carolin Häussler

Prof. Dr. Carolin Häussler

forscht zu Zusammenarbeit und Innovation

Wie können wir die Innovationskraft fluider Organisationen nutzen und stärken?

Wie können wir die Innovationskraft fluider Organisationen nutzen und stärken?

Prof. Dr. Carolin Häussler ist seit 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation, Technologiemanagement und Entrepreneurship und DFG-Vertrauensdozentin an der Universität Passau. Sie ist außerdem Projektleiterin im DFG-Graduiertenkolleg 2720: "Digital Platform Ecosystems (DPE)" an der Universität Passau. Sie ist Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung. Mit dem International Center for Economics and Business Studies lockt sie Forscherinnen und Forscher aus aller Welt nach Passau.

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