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Wissen generieren und verantwortlich damit umgehen

Wo Wissenschaft betrieben wird, wo gelehrt und gelernt wird, geht es immer auch um die Fragen: Was passiert mit den Ergebnissen? Wohin führt das Wissen? Welche Aufgabe, welche Verantwortung haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler? Welche die Forschungseinrichtungen? Das Thema Ethik in der Wissenschaft beschäftigt auch die Universität Passau.Von Nicola Jacobi

Foto: Symbolbild Colourbox

„Forschungs- und Wissenschaftsethik steht immer in einem Spannungsfeld zwischen Freiheit der Wissenschaft und der Verantwortung für die Folgen der Entdeckungen“, sagt Prof. Dr. Karoline Reinhardt, seit 2022 Professorin für Angewandte Ethik an der Universität Passau. „Diese beiden Seiten sind für mich jedoch nicht losgelöst zu denken. Aus der Freiheit erwächst die Verantwortung und nur weil wir in der Lage sind, die Verantwortung zu übernehmen, lässt sich diese Freiheit begründen.“

Prof. Dr. Karoline Reinhardt

forscht zu Migrationsethik, Algorithmenethik und politischer Gerechtigkeit

Welche ethischen Fragen werden durch gesellschaftlichen und technologischen Wandel aufgeworfen?

Welche ethischen Fragen werden durch gesellschaftlichen und technologischen Wandel aufgeworfen?

Prof. Dr. Karoline Reinhardt ist seit dem Wintersemester 2022/23 Juniorprofessorin für Angewandte Ethik an der Universität Passau. Davor war sie unter anderem als PostDoctoral Fellow am Ethics & Philosophy Lab des DFG Exzellenzclusters „Machine Learning: New Perspectives for Science“ an der Universität Tübingen tätig und Visiting Scholar an der Tulane University in New Orleans. Sie ist Mitglied der Jungen Akademie der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und war von 2020-2022 Sprecherin des Akademie-Kollegs. Im September 2024 erhielt sie den Kant-Nachwuchspreis der Kant-Gesellschaft und der Fondazione Silvestro Marcucci.

Ethische Fragen sind daher inzwischen Teil des Forschungsprozesses. Institutionen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina haben Empfehlungen dazu erarbeitet. „Forschung ist eine wesentliche Grundlage für den Fortschritt. Voraussetzung hierfür ist die Freiheit der Forschung, die durch das Grundgesetz besonders geschützt ist. Mit freier Forschung gehen jedoch auch Risiken einher. Diese resultieren vor allem aus der Gefahr, dass nützliche Forschungsergebnisse missbraucht werden können (sog. Dual-Use-Problematik). Diese Risiken sind durch rechtliche Regelungen nur begrenzt erfassbar“, heißt es in der Zusammenfassung der gemeinsamen Veröffentlichung zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung von DFG und Leopoldina zu „Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung“. Sie wurde auf der Grundlage des Kodex „Hinweise und Regeln der Max-Planck-Gesellschaft zum verantwortlichen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken“ vom 19.3.2010 die Arbeitsgruppe „Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung“ erarbeitet.

Je komplexer Forschungsprozesse werden, desto wichtiger ist, dass aus mehreren Perspektiven darauf geschaut wird, wie diese Prozesse angelegt sind.

Prof. Dr. Karoline Reinhardt, Professorin für Angewandte Ethik an der Universität Passau

In dem Papier appellieren DFG und Leopoldina an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sich nicht mit der Einhaltung der gesetzlichen Regelungen zu begnügen. „Denn Forscher haben aufgrund ihres Wissens, ihrer Erfahrung und ihrer Freiheit eine besondere ethische Verantwortung, die über die rechtliche Verpflichtung hinausgeht. Darüber hinaus sollen Forschungsinstitutionen die Rahmenbedingungen für ethisch verantwortbare Forschung schaffen“, so der Aufruf.

Es findet ein ständiger Lernprozess statt, sagt auch Ethikerin Reinhardt. „Man denke beispielsweise daran, dass inzwischen Probandinnen und Probanden eine Einwilligung zu einer Studie geben müssen und nicht die Wissenschaft über allem steht. Je komplexer Forschungsprozesse werden, desto wichtiger ist, dass dann aus mehreren Perspektiven darauf geschaut wird, wie diese Prozesse angelegt sind. Das ist ein wichtiger Aspekt verantwortlichen Forschens.“

Anfragen an den Ethikrat steigen

Dass das Thema äußerst aktuell und immer dringlicher wird, auch an der Universität Passau, zeigt die steigende Zahl an Anfragen an die Kommission für Ethik in der Forschung. Dabei geht das Spektrum der Fragen, zu denen die Kommission seit dem 1. Oktober 2019 berät, weit über die sicherheitsrelevanten Aspekte von Forschung hinaus. „Die Ethikkommission hat zwei Tätigkeitsfelder“, erklärt die Vorsitzende Prof. Dr. Susanne Mayr. Die Beratung zu sicherheitsrelevanten Aspekten der Forschung, die insbesondere dann vorliegen, wenn sich das Forschungsvorhaben auf Gegenstände und Technologien bezieht, die in einem Zusammenhang mit der Entwicklung von Waffen stehen oder im Hinblick auf den Forschungsgegenstand ein unmittelbares Missbrauchsrisiko besteht, sei das eine, spiele aber bisher eine untergeordnete Rolle. „An der Universität Passau haben uns dazu bisher keine Anträge erreicht“, so Mayr. „Viel häufiger beraten wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an unserer Hochschule zu ethischen Aspekten der Forschung, d.h. wenn mit einem Forschungsvorhaben, möglicherweise, Risiken für Menschenwürde, Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Tiere, Umwelt oder ein friedliches Zusammenleben verbunden sind.“ 

Prof. Dr. Susanne Mayr

Prof. Dr. Susanne Mayr

forscht zu Psychologie und Mensch-Maschine-Interaktion

Wie verändert sich der Mensch durch das Online-Sein?

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Prof. Dr. Susanne Mayr ist seit 2015 Inhaberin des Lehrstuhls für Psychologie mit Schwerpunkt Mensch-Maschine-Interaktion an der Sozial- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Passau.

Ein Thema, das immer wieder auftaucht, ist Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Auch Professorin Reinhardt, die ebenfalls Mitglied in der Passauer Ethikkommission ist, treibt dieses Thema um: „Digitale Technologien und deren Einsatz können zum Teil tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen verursachen. Dabei haben sie oft keinerlei demokratische Rückbindung. Das ist für mich ein großes Problem.“ Sie sieht die Rolle ihres Fachgebiets darin, erstens aufzuzeigen, welche normativen Werte Entscheidungen und Technologien implizit zugrunde liegen, ohne dass dies hinterfragt wurde. Dann zu prüfen, ob sie in Spannung zu anderen Grundprinzipien stehen, die uns wichtig sind, wie etwa Demokratie, Menschenwürde und Freiheit. Und drittens aus dieser Diagnose abzuleiten, was wir tun sollen. „Menschen haben ein großes Interesse daran, richtig und gut zu handeln“, stellt sie fest. „Gerade bei neuen Technologien ist das Problembewusstsein da.“

Universität ist Vieles

Wissen zu generieren und verantwortlich damit umzugehen, ist eine wichtige Aufgabe der Universität. Eine weitere ist es, Wissen zur Verfügung zu stellen, zu erklären, zu beurteilen und Erkenntnisse auf verständliche Weise in die Gesellschaft zu tragen. Die Universität müsse „poröser“ werden, meint Reinhardt, durchlässiger in beide Richtungen und neben der Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse auch auf aktuelle Problemlagen reagieren. Aber es sei wichtig, sich nicht allein davon treiben zu lassen, sondern an der Grundlagenforschung festzuhalten. „Es muss nicht unbedingt immer alles auf direkte Verwertbarkeit und Umsetzbarkeit zielen“, so Reinhardt. „Ich denke, dass gerade in diesem breiteren Blick und Fundament die Ressource für kreative Lösungen liegen kann.“

Ein Mann trägt eine symbolische Waage über seinem Kopf.

Foto: Symbolbild Colourbox

Universität ist natürlich auch eine Lehreinrichtung. Sie hat, so Reinhardt, aber nicht nur die Aufgabe Wissen zu vermitteln, sondern auch jungen Menschen den Raum zu geben, sich zu entwickeln, sich auszuprobieren, sich auszutauschen, sich zu bilden und zu reifen. Universität ist mehr als nur Prüfungsleistungen, Klausuren und das Abhaken von ECTS-Punkten. Diesen Freiraum sieht Reinhardt derzeit – und besonders nach der Corona-Jahren – zu wenig genutzt. „Es herrscht manchmal ein wenig Ratlosigkeit unter den Studierenden, was Universität eigentlich ist. Ich fände es schön zu sehen, dass sie die Freiheit, die Studieren bietet, wieder mehr nutzen können. Denn das bereitet Vieles vor, wie Multiperspektivität, Interdisziplinarität und interkulturelle Sensibilität.“ Dabei gehe es vor allem um die Art und Weise, wie Studierende an Problemlagen herangeführt werden, wie junge Forschende befähigt werden, kritische Reflexionsprozesse anzustellen und eine Sensibilität für ethische Fragen zu entwickeln, so Reinhardt. Nur so könne der eigentliche Bildungsauftrag erfüllt werden, die Studierenden zu kritischen, verantwortungsvollen Menschen zu machen, die sich auf andere Meinungen und Perspektiven einlassen.

Dieser Beitrag stammt aus dem Campus Magazin (01/2024) 

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