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Frühe Diabetes-Diagnose mittels Facebook

In einer Studie zeigt ein Ökonomen-Team der Universität Passau, wie sich Anzeigen auf Facebook einsetzen lassen, um in Indonesien Risikopatientinnen und -patienten für Diabetes ausfindig zu machen. Sie liefern außerdem den Beleg, dass Warnungen vor den Folgen besser wirken als andere Informationen.

Die Gliederpuppe mit den schwarzen Kreuzen am Körper warnt vor den Folgen von Diabetes, jener schleichenden Krankheit, die Augen, Herz und Leber schädigen kann. Sie ist Teil einer Anzeigenserie, die die Nachwuchsökonomin Manuela Fritz via Facebook gezielt an Nutzerinnen und Nutzer in der indonesischen Großstadt Jakarta und der Region um Yogyakarta ausspielen ließ.

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Fritz forscht am Lehrstuhl für Development Economics an der Universität Passau zu gesundheitsökonomischen Aspekten in Südostasien. Mit dem Facebook-Experiment wollte sie herausfinden, ob sich das Netzwerk eignet, um mögliche Patientinnen und -patienten zu erreichen, die sich ihres Risikos bislang nicht bewusst waren. Das ist der Fall, zeigt die Studie, bei der Fritz als maßgebliche Autorin fungierte. Es handelt sich sogar um einen besonders kostengünstigen und effizienten Kanal: "Auf Basis der Studie können wir sagen, dass wir einen Fall, der normalerweise nicht diagnostiziert würde, für nur 9 Dollar entdecken können", erklärt Fritz. "Die Tatsache, dass sich mit solch geringen Mitteln in so kurzer Zeit so viele Menschen erreichen lassen, macht dieses Medium insbesondere für Länder mit begrenzten Gesundheitsbudgets attraktiv", sagt Prof. Dr. Michael Grimm, Inhaber des Lehrstuhls für Development Economics, der die Arbeit betreute und als Co-Autor beteiligt war.

In Südostasien ist Diabetes zur Volkskrankheit geworden. Dem Center for Disease Control and Prevention zufolge ist es in Indonesien die dritthäufigste Todesursache. Zudem ist die Zahl der nicht diagnostizierten Fälle sehr hoch. Besonders betroffen sind Menschen, die in der indonesischen Großstadt Jakarta oder in der Region in und um Yogyakarta leben. Die Ökonomin Fritz richtete ihre Facebook-Ads deshalb gezielt an die dortigen Nutzerinnen und Nutzer über 35 Jahren. Weitere Einschränkungen nahm sie nicht vor, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Facebook ist in Indonesien besonders beliebt, etwa 72 Prozent der Indonesierinnen und Indonesier nutzen das Netzwerk.

Kampagne "Wo Zucker ist, ist Diabetes"

Die Kampagne mit dem Titel „Ada Gula, Ada Diabetes“ lief von Mitte März bis Anfang April 2022. Damit Gestaltung und Wortwahl das indonesische Publikum ansprach, arbeiteten die Forschenden mit dem indonesischen Web-Designer Benedictus Praditya zusammen. Der Titel ist eine Abwandlung eines indonesischen Sprichworts und bedeutet zu Deutsch etwa, zu viel Zucker kann Diabetes zur Folge haben. Die Anzeigen leiteten zu einer Webseite mit Informationen zur Krankheit und einem Online-Selbsttest für Diabetes, die das Passauer Team für die Forschungsarbeit aufgesetzt hatte. Manuela Fritz testete fünf verschiedene Anzeigen mit jeweils unterschiedlichen Motiven und Texten. Zwei davon warnten vor den Folgen in recht drastischer und schockierender Weise, während die anderen über verschiedene Bezüge auf die Krankheit aufmerksam machten, wie etwa die Häufigkeit der Krankheit in bestimmten Regionen, über die Religion oder die Familie.

Die Bildsprache ist insgesamt zurückhaltend, auch jener Motive, die vor den Folgen warnen. Im Vergleich zu Warnhinweisen auf Zigarettenschachteln sehen sie regelrecht harmlos aus. Das hat seinen Grund, denn zu drastische Darstellungen würde Facebook nicht zulassen und zensieren. Dennoch konnten die Forschenden eine klare Tendenz mit Blick auf die Wirkung der verschiedenen Anzeigen feststellen.

Die Ergebnisse im Überblick:

  • Die Kampagne erzielte innerhalb von nur drei Wochen 758.977 Impressionen, erreichte 286.776 Nutzerinnen und Nutzer, von denen 5.274 auf den Link zur Webseite klickten. Davon wiederum füllten 1.469 den Diabetes-Selbsttest komplett aus.
  • Mit Blick auf die Wirkung der Anzeigen waren jene, die vor den gesundheitlichen Folgen warnten, am erfolgreichsten. Nutzerinnen und Nutzer, die die eingangs erwähnte Anzeige sahen, folgten mit einer um 23 Prozent erhöhten Wahrscheinlichkeit dem Link zur Webseite. Dieser Effekt war bei Frauen noch stärker als bei Männern.
  • Nutzerinnen ließen sich auch insgesamt stärker durch die Kampagne aktivieren. Zwar war ihr Anteil unter der Gesamtzahl der Erreichten auf Facebook geringer. Doch sie füllten mit einer um 25 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit den Diabetes-Selbsttest aus. Die ältere Generation ab 65 Jahren klickte besonders oft auf die Anzeigen, führte dann jedoch häufiger als jüngere Altersgruppen den Diabetes-Selbsttest nicht zu Ende.
  • 53 Nutzerinnen und Nutzer erklärten sich dazu bereit, an einer Folge-Befragung durch die Forschenden teilzunehmen. Mit dieser wurde untersucht, ob die Teilnehmenden infolge des Selbsttests eine professionelle ärztliche Untersuchung vereinbart hätten. Etwa ein Drittel bejahte die Frage.

Nachwuchsökonomin Manuela Fritz und Prof. Dr. Michael Grimm.

Studie im Rahmen des EU-Horizon-Projekts Suni-Sea

„Die Zahlen unserer Befragung deuten darauf hin, dass die Kampagne nicht nur Personen anspricht, die bereits für Diabetes sensibilisiert sind, sondern dass es uns gelingt, einen erheblichen Anteil zu erreichen, die sich ihres Risikos nicht bewusst sind“, sagt Manuela Fritz. Die Studie, die bereits als Working Paper erschienen ist, fand im Rahmen des EU-Horizont 2020 Projekts SUNI-SEA statt, an dem auch der Lehrstuhl für Development Economics beteiligt ist. Dieses Projekt nimmt existierende Präventionsprogramme gegen Volkskrankheiten wie Diabetes in Südostasien unter die Lupe und untersucht, wie sich besonders wirkungsvolle Maßnahmen stärken und ausweiten lassen. An der Studie wirkten neben den Forschenden der Universität Passau noch die Informatiker Ingmar Weber, Alexander von Humboldt-Professor für Künstliche Intelligenz an der Universität des Saarlandes, und Elad Yom-Tov von Microsoft Research in Herzliya und dem Israel Institute of Technology, in Haifa mit. 

Für Manuela Fritz ist die Studie Teil ihrer Dissertation, die sie im Rahmen einer Doppelpromotion an der Universität Passau und an der Universität Groningen in den Niederlanden absolviert. In zwei weiteren Aufsätzen ihrer Dissertation befasst sich Fritz, die in Passau den Master Development Studies absolviert hat, ebenfalls mit gesundheitsökonomischen Aspekten in Südostasien. Unter anderem untersucht sie die Folgen des Klimawandels für Patientinnen und Patienten mit Diabetes und Herzkreislauferkrankungen. In ihrer Forschung stützt sie sich auf mikroökonomische und -ökonometrische Methoden und nutzt etwa Versicherungsdaten, Daten sozialer Netzwerke, Geodaten, Klimasimulationen und Gesundheitssimulationsmodelle. Fritz plant, ihre Forschung in einer Post-Doc-Stelle an der Universität Groningen in den Niederlanden im Rahmen des SUNI-SEA-Projekts fortzusetzen.

Text: Kathrin Haimerl

Dieser Beitrag erschien zunächst auf dem Portal Research in Bavaria (Englisch)

Prof. Dr. Michael Grimm, Inhaber des Lehrstuhls für Development Economics

Prof. Dr. Michael Grimm

forscht unter anderem zum technologischen Wandel in Entwicklungsländern

Welche Maßnahmen ermöglichen Entwicklungsländern Teilhabe an größeren internationalen Marktprozessen?

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Prof. Dr. Michael Grimm ist Inhaber des Lehrstuhls für Development Economics an der Universität Passau und Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät sowie Projektleiter im DFG-Graduiertenkolleg 2720. Darüber hinaus ist er Vorsitzender des Entwicklungsökonomischen Ausschusses des Vereins für Socialpolitik. Zuvor arbeitete der Ökonom unter anderem als  Professor für Applied Development Economics an der Erasmus Universität Rotterdam, als Gastprofessor an der Paris School of Economics sowie als Berater bei der Weltbank in Washington D.C., USA.

EU-Projekt SUNI-SEA: Kampf gegen "stille Killer" in Südostasien

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Bluthochdruck und Diabetes haben sich auch in Südostasien zu Volkskrankheiten entwickelt. Ein Team der Universität Passau beteiligt sich an dem EU-Projekt SUNI-SEA, das effektive Prävention massiv ausweiten will.

Für dieses Projekt wurden im Rahmen der Finanzhilfevereinbarung Nr. 825026 Fördermittel aus dem Programm der Europäischen Union für Forschung und Innovation „Horizont 2020" bereitgestellt.

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