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Zeichen von Selbstbewusstsein der Wissenschaft

Offene Gespräche über ein schwieriges Thema: An der Universität Passau haben Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft, Politik und Medien gemeinsam mit dem Publikum den Umgang mit anonymen Vorwürfen und Hinweisen analysiert. 

Anonyme Anschuldigungen können in der Wissenschaft Existenzen zerstören. Aber ohne anonyme Hinweise bliebe manch wissenschaftliches Fehlverhalten unentdeckt. Es war das Ziel der Tagung „Absender unbekannt. Verfahren der Wissenschaft zum Umgang mit anonymen Anschuldigungen“, die am 20. und 21. Februar an der Universität Passau stattfand, offen über dieses schwierige Thema zu sprechen, Probleme zu strukturieren und kontrovers zu diskutieren.

Prof. Dr. Carola Jungwirth, Präsidentin der Universität Passau und Vizepräsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, fasste zusammen: „Wir haben gesehen, dass es ganz unterschiedliche Sichtweisen auf die Geschehnisse in den Wissenschaftsinstitutionen gibt.“ Ihr Fazit: „Die Tagung hat uns gezeigt, dass wir jetzt Leitlinien entwickeln und deutschlandweit implementieren müssen: Wie ist Schritt für Schritt in einem Fall der Vorwürfe ohne Absender umzugehen? Wie ist eine Schuldfrage zu ermitteln?“ Eine Teilnehmerin beschrieb die Tagung als „Zeichen von Selbstvertrauen der Wissenschaft, bestehende Missstände aufzuarbeiten und zu beheben“.

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Hochkarätige Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft, Politik und Medien loteten das weite Feld der anonymen Anschuldigungen aus – von Angriffen in Form von Cybermobbing bis hin zu berechtigten Hinweisen, die im Schutz der Anonymität vorgetragen werden. Die Tagung gliederte sich in drei größere Bereiche: die rechtlichen Rahmenbedingungen, das Führungsverhalten und die Rolle der Öffentlichkeit.

„Die Redlichen unter ihnen, es sind die meisten, haben Schutz verdient, und zwar gerade die, die als Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler vielfach ihre Existenz auf Spiel setzen.“

Prof. Dr. Stephan Rixen, DFG-Gremium Ombudsman für die Wissenschaft, über anonyme Hinweisgeberinnen und -geber 

Prof. Dr. Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands (DHV), sagte: „Wir beobachten im DHV mit Sorge, dass die Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens, aber auch die Fälle unberechtigter anonymer Anschuldigungen zunehmen.“ Prof. Dr. Stephan Rixen, Sprecher des Gremiums „Ombudsmann der Wissenschaft“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), belegte diese Aussage mit Zahlen. Im vergangenen Jahr lagen die gemeldeten Fälle bei 155 – mehr als in den Jahren davor. Allerdings waren lediglich 15 davon auf anonyme Hinweise zurückzuführen. Prof. Dr. Rixen sprach sich für einen klaren Schutz dieser anonymen Hinweisgeberinnen und -geber aus: „Die Redlichen unter ihnen, es sind die meisten, haben Schutz verdient, und zwar gerade die, die als Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler vielfach ihre Existenz auf Spiel setzen.“

Im Publikum saß mit Cornelia van Scherpenberg eine Vertreterin des Netzwerks N2 Network of Networks von Doktorandinnen und Doktoranden, die ein Positionspapier zum Thema Machtmissbrauch verfasst hatten:

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Rechtliche Rahmenbedingungen

Prof. Dr. Kempen vom DHV rief die rechtsstaatlichen Grundsätze in Erinnerung. Dazu zählten die Unschuldsvermutung, das Recht der Betroffenen auf Gehör, sowie ein schnelles und zügiges Verfahren. Er sprach sich für einen umsichtigen Umgang mit den anonymen Hinweisgeberinnen und -gebern aus. Ihnen müsse klargemacht werden, dass es eine Phase im Verfahren gebe, in dem die Anonymität nicht mehr gewährleistet werden könne. Prof. Dr. Max-Emanuel Geis, Direktor der Forschungsstelle für Wissenschafts- und Hochschulrecht der FAU Erlangen-Nürnberg, und Prof. Dr. Klaus Herrmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, stiegen noch tiefer in die rechtlichen Fragen ein.

Per Skype zugeschaltet war der Soziologe Prof. Dr. Kenneth Westhues von der University of Waterloo, der die Grenzen der institutionellen Verfahren aufzeigte: Sobald es um strafrechtliche Belange ginge, sei dies ein Fall für die Ermittlungsbehörden und nicht mehr für die Hochschulen.

Beziehungskonstellationen

Das Thema Verhalten der Führungskräfte war der Beweggrund, weshalb der FDP-Bundestagsabgeordnete und frühere Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger nach Passau kam. Er benannte als tiefer liegendes Problem die Frage der Führungs- und Arbeitskultur in der Wissenschaft. Für besonders gefährdet hielt er jene, die mit vielfältigen Diskriminierungen zu kämpfen hätten. Seine These fasste er wie folgt zusammen:

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Prof. Dr. Isabell Welpe, Organisationsforscherin an der TU München, beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit dem Gender Bias, mit Verzerrungseffekten also, die durch geschlechtsspezifische Stereotype und Vorurteile entstehen. Diese seien in der Forschung gut dokumentiert und lieferten auch die Antwort auf folgende Frage:

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Was dagegen hilft? Auch darauf hatte Prof. Dr. Welpe eine Antwort:

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Medien und Öffentlichkeit

Zu Gast an der Universität Passau war Sonja Volkmann-Schluck, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Presserats:

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In ihrem Vortrag betonte sie, wie wichtig anonyme Hinweise im Journalismus sind: „Denken Sie an MeToo oder auch an die Missbrauchsvorwürfe in der katholischen Kirche. Ohne anonyme Hinweisgeber wären diese Skandale nie aufgedeckt worden.“ Sie zeigte aber auch auf, wo der Pressekodex Journalistinnen und Journalisten Grenzen setzt – etwa bei der Frage, ob die Identität der oder des Beschuldigten in der Berichterstattung preisgegeben wird.

Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri, Inhaberin des Lehrstuhls für Wissenschaftskommunikation, vertrat die These, dass die Fälle anonymer Anschuldigungen nicht zugenommen hätten, sondern stärker in die Öffentlichkeit getragen würden. Sie stellte in ihrem Vortrag dar, weshalb sich wissenschaftliche Institutionen im Umgang mit Berichterstattung über solche Fälle so schwertun. Im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen hätten Hochschulen und auch einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kaum Erfahrung mit Krisenkommunikation.

Mein Beispiel zeigt, dass es gut ist, an die Öffentlichkeit zu gehen. Es hat auch gezeigt, dass sich Leute getraut haben, ebenfalls ihre Meinung zu äußern und zu sagen: Das geht gar nicht.

Prof. Dr. Susanne Schroeter, Universität Frankfurt am Main

Prof. Dr. Susanne Schroeter, Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam der Universität Frankfurt am Main, sprach sich im Falle von Cybermobbing dafür aus, früh an die Öffentlichkeit zu treten. Sie hatte eine Konferenz organisiert zum Thema „Das islamische Kopftuch – Symbol der Würde oder der Unterdrückung“ und sah sich einer Online-Kampagne ausgesetzt, die ihre Entlassung forderte. Sie meldete dies der Universitätsleitung - Präsidentin Birgitta Wolff stellte sich sofort hinter sie -, veröffentlichte die Anschuldigungen auf ihrer Facebook-Seite und informierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. „Mein Beispiel zeigt, dass es gut ist, an die Öffentlichkeit zu gehen. Es hat auch gezeigt, dass sich Leute getraut haben, ebenfalls ihre Meinung zu äußern und zu sagen: Das geht gar nicht.“

Dr. Hannah Bethke, Feuilletonkorrespondentin für Berlin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, lieferte ihre Sicht als Medienvertreterin auf die Wissenschaft und endete in einem flammenden Appell, die Wissenschaft möge sich mehr auf ihren Kern konzentrieren: "Ich wünsche mir eine differenzierte, inhaltliche Debatte über den wissenschaftlichen Gegenstand." Und weiter: "Die Wissenschaft hat allen Grund, selbstbewusst zu sein."

Kooperationspartner und geplante Publikation

Die Wissenschaftliche Tagung war eine Kooperation der Universität Passau mit dem Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Deutschen Hochschulverband (DHV), der Forschungsstelle für Wissenschafts- und Hochschulrecht der FAU Erlangen-Nürnberg und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK).

Zu den Ergebnissen der Tagung ist eine Publikation geplant: Angedacht ist, die Vorträge der  Referentinnen und Referenten im Rahmen eines Themenheftes der "Beiträge zur Hochschulforschung" des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) zu veröffentlichen. 

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