Zum Inhalt springen

Den deutsch-französischen Motor wieder ankurbeln

Frankreichs Generalkonsul Alexandre Vulic und der Politologe Prof. Dr. Mathias Jopp diskutierten mit Florence Ertel über die Rolle von Paris und Berlin angesichts der geopolitischen Wende in der EU.

Prof. Dr. Daniel Göler (stehend) bei der Begrüßung der Podiumsgäste am runden Tisch im Senatssaal im Nikolakloster der Universität Passau.

Es gab schon einmal bessere Zeiten in den deutsch-französischen Beziehungen. Zum Beispiel im Jahr 2019, als die beiden EU-Staaten den Aachener Vertrag unterzeichneten, ein Abkommen, das die Verbindungen beider Länder weiter vertiefen sollte, darunter auch im militärischen Bereich. Die Bilder zeigten eine lächelnde Kanzlerin Angela Merkel und einen zufriedenen Präsidenten Emmanuel Macron.

Heute, fünf Jahre und mehrere Krisen später, hat sich die Lage in Europa grundlegend verändert. Das geopolitische Umfeld der Europäischen Union hat sich gewandelt. Die Herausforderung, effektiv auf die dynamischen sicherheitspolitischen Realitäten zu reagieren, sowie der Anspruch der EU, als globale Akteurin zu agieren, führen zu einer geopolitischen Wende in ihrer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. So wäre eine vertiefte deutsch-französische Zusammenarbeit in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine notwendiger denn je, doch das Verhältnis zu Frankreich gilt unter Bundeskanzler Olaf Scholz als abgekühlt. „Ist der deutsch-französische Motor hirntot?“, fragte Moderatorin und Politologin Florence Ertel ihre Gesprächspartner aus Frankreich und Deutschland, Alexandre Vulic, Generalkonsul Frankreichs in München, und den Politikwissenschaftler Mathias Jopp, Senior Advisor International Programmes am Institut für Europäische Politik Berlin und Honorarprofessor an der Universität Passau. Sie waren Gäste einer öffentlichen Podiumsdiskussion in Form eines Round Table, die tatsächlich an einem runden Tisch im Senatssaal im Nikolakloster der Universität Passau stattfand. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Science Hub for Europe gemeinsam mit dem Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Politik, dessen Inhaber Prof. Dr. Daniel Göler die Gäste begrüßte.

Die französische Perspektive

Deutsch-französische Gesprächspartner auf dem Podium (von rechts: Alexandre Vulic, Generalkonsul Frankreichs in München, Florence Ertel, Geschäftsführerin Science Hub for Europe Universität Passau und Prof. Dr. Mathias Jopp, Senior Advisor International Programmes Institut für Europäische Politik Berlin).

Moderatorin Ertel spielte in ihrer Frage auf die Formulierung des französischen Präsidenten an, der 2019 die Nato als hirntot bezeichnet und die Bündnistreue zu den USA angesichts eines dort regierenden Donald Trump in Frage gestellt hatte. Die von Bundeskanzler Scholz kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ausgerufene Zeitenwende in der Außen- und Sicherheitspolitik sei eine Entwicklung, „die aus unserer Sicht sehr begrüßenswert ist“ sagte Generalkonsul Vulic. Er betonte, wie unverzichtbar Deutschland als Partner sei. „Wir brauchen eine neue Phase der Beziehungen, wir müssen über nukleare Abschreckung und auch über die Perspektive einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine sprechen“, so der Generalkonsul. Beim deutschen Europapolitik-Experten Jopp rannte der Franzose damit „offene Türen“ ein. Die Lage Europas sei katastrophal. Im Osten lauere Russlands Präsident Vladimir Putin, und im Westen drohe die Wiederwahl Trumps in den USA. „Sollte Trump wiederkommen, befindet sich Europa in einer Sandwichposition“, sagte Jopp. Es dränge mehr denn je, dass die Europäer ihre eigene Abschreckung entwickelten: „Der Aachener Vertrag muss endlich mit Leben gefüllt werden.“ Es gebe in Europa eine Sehnsucht nach dem deutsch-französischen Führungsduo. Doch von einer „strategischen Partnerschaft“ könne derzeit keine Rede sein, allenfalls von einem „muddling through“, einem Durchwurschteln, kritisierte der Politologe. 

Die Bedeutung der Unterschiede

Eine Teilnehmerin des Runden Tisches betonte hingegen die Bedeutung der Unterschiede: „Die Logik des deutsch-französischen Motors beruht auf unserer Unterschiedlichkeit“, warf sie ein. Dies sei die Voraussetzung, ohne die der Motor nicht in Gang kommen könne. Umso gewichtiger sei es, wenn sich die unterschiedlichen Partner auf einen Standpunkt einigen könnten. Aus ihrer Sicht brauche es eine Ausformulierung, wie ein starker europäischer Pfeiler in der Nato aussehen könne. Sie warb aber auch um Verständnis für die deutsche Öffentlichkeit, die sich mit dem Rollenwechsel vom pazifistischen Staat hin zu einem wehrhaften schwertue. „Wir erleben eine Disruption, die die Menschen erst einmal verkraften müssen“, erklärte sie. Die französische Öffentlichkeit sei da weiter.

Deutsch-französisches Forschungsprojekt zur Geopolitik

Das Organisationsteam vom Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Politik und dem Science Hub for Europe der Universität Passau mit den Gästen (von rechts: Daniel Göler, Audrey MacLean, Kateryna Pivnenko, Jakob Dehner, Florence Ertel, Mathias Jopp und Alexandre Vulic).

Die Diskussionsrunde war Teil einer internationalen Tagung im Rahmen des interdisziplinären deutsch-französischen Forschungsprojekts „La France et L'Allemagne au retour de la géopolitique“, an dem neben Forschenden der Universität Passau auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Angers, Berlin, Bern, Budapest, Grenoble, Metz, Straßburg und Würzburg beteiligt waren. Gefördert wurde das Projekt vom Centre Interdisciplinaire d’Etudes et de Recherches sur L’Allemagne (CIERA). Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen Veränderungen im sicherheitspolitischen Diskurs in Frankreich und Deutschland angesichts der geopolitischen Wende in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU in den Blick. Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf der Wahrnehmung von Geopolitik und welche Übereinstimmungen, Divergenzen oder gar Diskrepanzen es in beiden Ländern bei Entscheidungspersonen und in der Zivilgesellschaft gibt. Anhand konkreter Fallbeispiele – insbesondere im Kontext der Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 – analysieren die Forschenden die Wahrnehmung der Begriffe „Geopolitik“, „Europa als Macht“, „strategische Autonomie“, „strategische Souveränität“ oder „geopolitisches Europa“. Sie arbeiten Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Auffassung aktueller geopolitischer Herausforderungen in beiden Ländern heraus, um herauszufinden, inwieweit sich in diesen Bereichen gemeinsame Positionen auf EU-Ebene ergeben können. 

La France et L'Allemagne au retour de la géopolitique

La France et L'Allemagne au retour de la géopolitique

Die Veränderungen der sicherheitspolitischen Diskurse in Deutschland und Frankreich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine stehen im Zentrum eines interdisziplinären und internationalen Forschungsprojektes, an dem neben den Universitäten in Paris und Metz auch die Universität Passau beteiligt ist.

Professor Daniel Göler

Prof. Dr. Daniel Göler

forscht zur Europäischen Integration

Wohin entwickelt sich die Europäische Union?

Wohin entwickelt sich die Europäische Union?

Prof. Dr. Daniel Göler hat an der Universität Passau den Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Politik inne. Im Zentrum seiner Forschungs­arbeit stehen sämtliche Belange der Europäischen Integration. Internationale Wissenschafts­vernetzung ist dabei selbstverständlich. Zugleich bietet der Lehrstuhl der breiten Bevölkerung Zugang zu europa­politischen Themen, in Form von öffentlichen Veranstaltungen und der Passauer Jean-Monnet-Papiere.

Bluesky

Beim Anzeigen des Videos wird Ihre IP-Adresse an einen externen Server (Vimeo.com) gesendet.

Video anzeigen