TaCT-FoRSED heißt ein neuer, europaweiter Forschungsverbund, der im Februar 2025 startet und den die Europäische Union im Rahmen ihres Programms Horizon Europe über einen Zeitraum von drei Jahren fördert. Ausgesprochen klingt das Akronym nach Taskforce und das passt auch, denn die Forschenden widmen sich einem drängenden Thema: der Frage, wie sich Demokratien wirksam gegen Verschwörungserzählungen wappnen können.
Der Politologe Prof. Dr. Oliver Hidalgo (rechts) und der Pädagoge Dr. Hannes Birnkammerer koordinieren den neuen europaweiten Verbund.
Die Universität Passau hat mit Prof. Dr. Oliver Hidalgo und Dr. Hannes Birnkammerer die Koordination des Verbunds inne. Hidalgo ist Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Theorie, der Pädagoge Birnkammerer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Lehrkräftebildung und Fachdidaktik (ZLF). TaCT-FoRSED steht als Akronym für „Tackling Conspiracy Theories by Fostering Resilience and Political Self-Efficacy in Democracies”, zu Deutsch etwa “Gegen Verschwörungstheorien durch Förderung von Resilienz und politischer Selbstwirksamkeit in Demokratien vorgehen“. Im Interview verraten die Forscher mehr über ihr Vorhaben.
In Ihrem neuen Forschungsverbund wollen Sie ergründen, weshalb eine gefestigte Verschwörungsmentalität Demokratien gefährdet. Allerdings argumentieren Verschwörungsgläubige, dass sie die Demokratie verteidigen würden. Was steckt dahinter?
Oliver Hidalgo: Ein prekärer Demokratiebegriff. Verschwörungstheoretikerinnen und
-theoretiker halten sich für die Guten, weil sie einer Verschwörung auf der Spur sind. Sie fühlen sich als diejenigen, die die verblendete Masse aufwecken, die die korrupten Eliten durchschauen, deswegen sind Verschwörungserzählungen auch immer ganz nah an populistischen Narrativen dran. Da geht es ja auch angeblich darum, die Demokratie zu retten. Aber wenn man hinter diese Vorstellung von Demokratie blickt, dann ist das eben keine inklusive Demokratie, keine, in der man es mit legitimen Gegnern zu tun hat, sondern es ist eine Freund-Feind-Dichotomie, ein Schwarz-Weiß-Denken, eine Demokratie des Ausschlusses. Es findet kein konstruktiver, gemeinsamer Dialog zur Lösung von tatsächlich existenten Problemen statt. Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker mögen sich als die großen Retterinnen und Retter der Demokratie aufspielen, in Wahrheit aber sind sie ihre Totengräber.
Warum ist es so schwierig, mit Fakten dagegen zu halten?
Hidalgo: Weil es bei Verschwörungstheorien um Identitätsbildung geht, um eine Gruppe, die all diese vermeintlichen Zusammenhänge und konspirativen Absprachen durchschaut im Gegensatz zu der Gruppe, die das alles entweder zu verantworten hat oder zu ,blöd‘ ist, die Zusammenhänge zu verstehen. Das heißt, für Verschwörungsgläubige ist es nicht das Ziel, durch Diskussion, durch wissenschaftlichen Austausch von Argumenten an einer Sache, einem Problem zu arbeiten, sondern einzig, auf der aus ihrer Sicht ,richtigen‘ Seite zu stehen. Und deshalb kann ich mit sachlichen Argumenten auch nicht gegen eine Verschwörungsmentalität ankommen.
Das sogenannte Debunking, also der Versuch, den Mythos zu entlarven, bringt nichts?
Hidalgo: Dass es nichts bringt, wäre zu viel gesagt. Es kommt immer ein bisschen darauf an, in welchem Stadium sich eine Person befindet. Es gibt Menschen mit einer gewissen Affinität zu Verschwörungsmythen, die sich aber mit überzeugenden Fakten und Argumenten noch abholen lassen. Doch jene, die manifest an Verschwörungsmythen glauben, lassen sich davon nicht erschüttern, sondern integrieren solche ,Fakten‘ in die eigene Erzählung, frei nach dem Motto: alles, was scheinbar gegen die Verschwörung spricht, ist in Wahrheit ein Teil der Verschwörung.
Wir sind der Überzeugung, dass Demokratie zwar einerseits besonders anfällig für Verschwörungsmythen ist, sie aber andererseits auch Mittel und Wege bereitstellt, um sich selbst zu heilen.
Prof. Dr. Oliver Hidalgo, Universität Passau
Wie sieht denn so ein durchschnittlich manifester Verschwörungsgläubiger aus?
Hidalgo: Den gibt es im Grunde nicht, auch weil wir diesbezüglich keinen Stereotypen aufsitzen sollten. Es sind mitnichten die Bildungsfernen oder die sozial Deprivierten, die auf Verschwörungstheorien hereinfallen, sondern eher die, die mehr lesen oder in der sozialen Hierarchie nicht selten höher stehen als andere und eben daraus ihr angeblich überlegenes Wissen ableiten. Unter dem Strich gibt es also keine bestimmte Gruppe, der man es sofort ansehen würde, dass sie empfänglich für Verschwörungsnarrative ist. Doch es gibt Persönlichkeitsmerkmale, die Verschwörungsgläubige häufig miteinander teilen und die sich in allen gesellschaftlichen Schichten finden, wie zum Beispiel Narzissmus verbunden mit einer Neigung zum Autoritären. Man erhebt sich letztendlich über andere, man denkt, ich bin wissend, ich verstehe das besser als die anderen, die sind dumm und kapieren das nicht. Häufig sind es auch besonders misstrauische Menschen, die sich im Grunde nicht so schnell mit einfachen Antworten zufriedengeben. Es ist erstaunlich, dass sie dann ihre gesamte Kraft und ihr intellektuelles Potential aufwenden, um die herrschenden wissenschaftlichen Meinungen zu widerlegen, gegenüber den Verschwörungstheorien selbst aber höchst unkritisch sind. Eine solche Haltung lässt sich indes nicht kontern, indem ich der Person zu verstehen gebe, dass sie selbst zu dumm sei und nur die richtigen Fakten brauche. Hier muss ich stattdessen ganz woanders ansetzen.
Und wo?
Hidalgo: Das ist genau der Kern unseres Forschungsprojektes, den wir in einem europaweiten Verbund ergründen wollen. Wir sind der Überzeugung, dass die Demokratie zwar einerseits besonders anfällig für Verschwörungsmythen ist, sie aber andererseits auch Mittel und Wege bereitstellt, um sich selbst zu heilen. Das heißt, ihre Schwächen sind zugleich ihre Stärken, und Demokratie zu praktizieren heißt zugleich, Resilienz gegen das zu entwickeln, was sie gefährdet. Denn Demokratie besteht immer aus Vielfalt und Alternativen sowie aus der Möglichkeit, die Dinge auch anders denken zu dürfen. Demokratie ist Austausch, die Konkurrenz verschiedener Perspektiven. Aber Demokratie setzt eben voraus, dass ich einen Umgang lerne mit dieser Vielfalt, mit dieser Pluralität, und auch mit der Ambiguität, der Mehr- und Doppeldeutigkeit, die daraus folgt.
Was ist die Rolle der Universität Passau?
Hidalgo: Die Universität Passau koordiniert den Forschungsverbund aus wissenschaftlichen und politischen Einrichtungen in acht europäischen Ländern, darunter Spanien, Frankreich, England, Schottland, Österreich, Tschechien und der Slowakei. Mir selbst obliegt die wissenschaftliche Gesamtleitung des Projekts, weshalb in Passau die verschiedenen Fäden der neun Arbeitspakete, in die das Projekt aufgeteilt ist, zusammenlaufen. Die Demokratietheorie, die ich vertrete, bildet dabei gleichermaßen die Klammer, die die verschiedenen beteiligten Disziplinen, darunter Expertinnen und Experten aus den Bereichen der Psychologie, der Soziologie und der Geschichtswissenschaft, verbindet. Wir überführen die Erkenntnisse aus den verschiedenen Arbeitspaketen und den unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen in Materialien und Maßnahmen, die wir in Schulen und in der Erwachsenenbildung Verschwörungstheorien entgegensetzen können. Außerdem entwickeln wir Politikempfehlungen, was jetzt zu tun ist, um europaweit Verschwörungstheorien wirksam bekämpfen zu können.
Gerade wenn es darum geht, eine demokratische Haltung zu entwickeln, diese Offenheit gegenüber liberalen Demokratien, dieses Aushalten von vielfältigen Perspektiven, da ist Schule ein guter Ort, das einzuüben.
Dr. Hannes Birnkammerer, Universität Passau
Herr Birnkammerer, Sie leiten das Projekt aus pädagogischer Perspektive. Wofür sind Sie zuständig?
Birnkammerer: Mein Blick richtet sich in die Schulen. Gerade wenn es darum geht, eine demokratische Haltung zu entwickeln, diese Offenheit gegenüber liberalen Demokratien, dieses Aushalten von vielfältigen Perspektiven, da ist Schule ein guter Ort, das einzuüben. Wir haben ja auch den Auftrag, in den Schulen Demokratiebildung zu gewährleisten. Da gibt es verschiedene Ansätze, aktuell etwa die Verfassungsviertelstunde, um Schülerinnen und Schüler den Kern der Demokratie näherzubringen. Aber so etwas auf eine Viertelstunde zu begrenzen, ist natürlich schwierig. Da kommt man gerade ins Diskutieren, wenn die Mathematikstunde beginnt.
Welche Ansätze verfolgen Sie in dem Forschungsprojekt?
Birnkammerer: In unserem Teilprojekt versuchen wir, gemeinsam mit Lehrkräften frei zugängliche Bildungsmaterialien zu entwickeln, die auf das Thema Resilienz und Selbstwirksamkeit abzielen. Die Idee ist, die Erkenntnisse, die wir über den Projektverlauf hinweg gewinnen, wie etwa aus den Aussteigerstudien, in diesen Materialien zu reflektieren, um dann Prebunking zu ermöglichen, also der Wirkung von Verschwörungstheorien vorzubeugen. Wir versuchen, die Schülerinnen und Schüler zu sensibilisieren, damit sie ein kritisches Misstrauen gegenüber Ansätzen von Verschwörungserzählungen entwickeln und dass sie sich auch dessen bewusst werden, welchen Wert es hat, in einer liberalen, offenen Demokratie zu leben.
Wie kann das gelingen?
Birnkammerer: Mein Forschungsinteresse liegt im Game-Based-Learning. Deshalb verspreche ich mir viel von spielbasierten Formaten. Diese haben einen großen Vorteil. Das nennt sich in der Fachliteratur Graceful Failure. Da kann auch mal was misslingen, ohne dass etwas Schlimmes passiert. Das kennen wir aus Planspielen oder Simulationen, wie etwa dem Flugsimulator. Vielfältige Spielformen bieten eine große Spannbreite an didaktischen Potenzialen, beispielsweise können Rollenspiele genutzt werden, um Perspektivenübernahme zu üben – hier geht also mehr, als klassisches „Mensch ärgere dich nicht“. Ich möchte dieses spielbasierte Lernen nutzen, um den Schülerinnen und Schülern eben genau eine solche Selbstwirksamkeitserfahrung zu vermitteln, also dass sie spielerisch lernen, was es ausmacht, in einer Demokratie zu leben.
Schauen Sie sich auch die Rolle von sozialen Netzwerken an?
Hidalgo: Das ist ein zentraler Punkt in unserem Projekt. Verschwörungstheorien sind eigentlich ein altes Phänomen, aber durch die Digitalisierung ist dieses in ganz neue Dimensionen vorgestoßen. Die Geschwindigkeit, die Reichweite, die solche Verschwörungsnarrative haben, die lokal früher sehr begrenzt waren, ist dadurch ins Unermessliche gestiegen. Was uns aber auch wichtig ist: Wir wollen hier nicht mit Verboten arbeiten, denn diese könnten der Verschwörung wieder mehr Futter geben. Wir setzen darauf, dass die Demokratie ihre eigenen Heilungskräfte entwickelt.
Prof. Dr. Oliver Hidalgo
Was sind die Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken der Demokratie?
Was sind die Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken der Demokratie?
Prof. Dr. Oliver Hidalgo ist Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Theorie an der Universität Passau. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Demokratietheorie, der Politischen Ideengeschichte sowie im Verhältnis von Politik und Religion. Er ist Sprecher des AK „Politik und Religion“ der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft und u.a. in der ECPR-Standing Group Democratic Innovations sowie im AK „Demokratieforschung“ (DVPW) aktiv.
Mehr Informationen und Medienberichte
- Uni Passau koordiniert internationales Projekt: Wie man sich gegen Verschwörungstheorien wappnet - Passauer Neue Presse (5.12.2024)
- Beschreibung zum Verbundvorhaben
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