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Mit der Kraft von Startup-Innovation gegen Krieg und Krise

Draußen im ukrainischen Lviv heulen die Sirenen, drinnen sitzt Oleksandr Rudyak in einer Online-Besprechung zu seiner Masterarbeit mit Professor Andreas König. Und beide haben eine Idee, basierend auf einem neuen Ansatz des Unternehmers Gregor Gimmy.

Ein Passauer Student schreibt seine Master-Arbeit über digitale Plattformen und gründet selber eine. Allein das wäre eine Nachricht wert an einer Universität, die sich zum Ziel gesetzt hat, zu einer Universität der Gründerinnen und Gründer zu werden.

Doch Oleksandr Rudyaks Geschichte sticht zusätzlich hervor. Startup Impact Garage heißt die Plattform, an der er mit einer Handvoll weiterer Gründungsbegeisterten arbeitet. Garage trifft es in diesem Fall nicht ganz – eher Keller oder Bunker. Denn als sie die Plattform gründen, sitzt Oleksandr in seiner kleinen Wohnung im west-ukrainischen Lviv und muss oft wegen Fliegeralarm in den Keller, oder er verzieht sich in das fensterlose Badezimmer: die russischen Truppen sind in sein Heimatland einmarschiert und nehmen auch Lviv unter Beschuss.

Bis Mitte Februar war Oleksandr, genannt Alex, ein ganz normaler Student und Hiwi am Lehrstuhl für Strategisches Management an der Universität Passau. Er stand kurz vor seinem Abschluss im Master Business Administration. Dem 26-Jährigen fehlte nur noch die Masterarbeit. Das Thema war auch schon klar: Er wollte das „Venture Client Modell“ analysieren – ein neuer, von dem Entrepreneur Gregor Gimmy in seiner Zeit als Manager beim Automobilhersteller BMW entwickelter, strategischer Ansatz für etablierte Unternehmen, schnell und mit geringem Risiko von Tech-Startups zu profitieren.

Doch dann häuften sich die besorgniserregenden Nachrichten aus Alex‘ Heimat. Aus Angst um seine Familie beschloss er, nach Lviv zurückzukehren. Am 18. Februar ging sein Flug.

Am 24. Februar griff Russland die Ukraine an.

Zwei Tage später hatte Alex ein Zoom-Treffen mit seinem Betreuer Andreas König, dem Inhaber des Lehrstuhls für Strategisches Management, Innovation und Entrepreneurship an der Uni Passau.

Oleksandr Rudyak und sein Betreuer Prof. Dr. Andreas König.

„Ich wollte besprechen, wie ich mit der Masterarbeit weiter verfahren soll. Aufgrund des Kriegs fiel es mir schwer, mich darauf zu konzentrieren. Außerdem wollte ich mehr für meine Heimat tun, aber ich war unschlüssig, wie“, erzählt Alex, der wieder in einem Zoom-Fenster sitzt. Im Fenster daneben ist Betreuer Andreas König zugeschaltet: „Wir sagten uns: ,Lasst uns mit Gregor eine Venture Client Platform Unit für die Unterstützung der Ukraine gründen.’“

Von „Startups against Corona” zu „Startups against War”

Alex fand die Idee toll. Die entsprechenden Erfahrungen und Kontakte hatte er. Im Rahmen seines Studiums hatte er in München fast ein Jahr lang Praktikum gemacht – bei Gregor Gimmy, der die Idee der Startup Garage inzwischen in den BMW-Spin-off 27Pilots ausgegliedert hat. Gimmy hatte in der Corona-Pandemie die Initiative „Startups against Corona“ ins Leben gerufen – eine Venture Client Unit für den Kampf gegen Corona. Warum nicht diese Idee übertragen im Sinne von „Startups against War“ oder „Startups for Ukraine“? Gimmy war sofort überzeugt und holte wiederum weitere Gründungserfahrene ins Boot, vor allem Martin Fink und Sylvia Paersch aus seinem Team und David Zapol, einen befreundeten Entrepreneur in Silicon Valley. Innerhalb einer Woche stand die erste Webpräsenz.

Screenshot der Webseite "Startup Impact Garage"

Screenshot der neuen Webpräsenz der Startup Impact Garage.

Alex sagt: „Wenn ich die Nachrichten verfolge, bin ich überwältigt von der Hilfsbereitschaft. Alle auf der Welt wollen uns helfen, uns unterstützen. Doch das Problem ist häufig: Kommt die Hilfe auch dort an, wo sie gebraucht wird?“

Probleme hat die Ukraine derzeit viele. In Lviv heult mehrmals täglich und nachts der Fliegeralarm. Abgesehen von einem Luftangriff auf den Flughafen mit schweren Explosionen und Raketeneinschlägen am Stadtrand ist die Metropole nahe der polnischen Grenze von heftigeren Kämpfen bislang verschont geblieben. Doch die humanitäre Krise hat ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Seit Kriegsbeginn hat Lviv 200.000 Menschen aufgenommen, die aus den umkämpften Gebieten flohen. In der Stadt herrscht Knappheit – bei Lebensmitteln, Medikamenten und Wohnungen. Die Preise für Neuvermietungen seien explodiert. Besonders schlimmer sind die Probleme in den Kriegsgebieten.

„Natürlich können Tech-Startups nicht für alles eine Lösung bieten. Decken, Lebensmittel – das können andere besser. Aber für technische Probleme, und auch im Bereich Software, sind Startups oft schneller mit innovativen Lösungen bei der Hand als etablierte Spieler. Und der humanitäre Sektor ist zwar Experte für die derzeit vorhandenen Probleme, hat aber technologische Startups häufig nicht auf dem Schirm“, sagt Innovationsforscher König.

Venture Clienting für den humanitären Sektor

Die Idee der Startup Impact Garage folgt dem Venture Clienting Ansatz. Der Gedanke dahinter: Etablierte Organisationen generieren mit Startups am besten Wert, indem sie zu deren Kunden werden und dadurch schnell und effektiv deren Technologien wertschöpfend nutzen können - Corporate Venture Clients statt Corporate Venture Capital. „Startups lösen Probleme der etablierten Unternehmen auf besonders innovative und agile Art und Weise. Eine Venture Client Plattform hat zum Ziel, Startups und ihre Lösungen mit etablierten Unternehmen und ihren Problemen zusammenzubringen“, erklärt Gregor Gimmy die Herangehensweise.

Die Startup Impact Garage überträgt diesen Ansatz auf den humanitären Sektor: Sie bringt also Expertinnen und Experten für Innovationen mit etablierten Organisationen zusammen, um die Lösung humanitärer Probleme durch neue Technologien zu unterstützen. Das Motto: Mit der Kraft von Startups gegen Krieg und Krise.

Beispiel Medikamentenknappheit. Vielleicht liegt eine Ursache in der Logistik? Das ist ein Thema für Startups. Alex weiß, dass sich irgendwo auf der Welt ein Startup findet, das sich auf solche Fragen spezialisiert hat. Ein Algorithmus durchwühlt bestehende Datenbanken mit mehreren Tausend Startups. Die ausgeworfene Trefferliste filtert das Team mit Hilfe der eigenen Erfahrung. Der beste Treffer wird an die anfragende Organisation vermittelt. Es werden nicht nur Kontakte getauscht, das Team um Alex begleitet und koordiniert die ersten Schritte zur Zusammenarbeit, zur Lösung.

Wir kombinieren Algorithmen mit einer menschlichen Komponente. Und: Wenn wir nur ein Krankenhaus mit einem passenden Startup zusammenbringen können, dann waren wir bereits erfolgreich.“

Prof. Dr. Andreas König, Universität Passau

Wissenschaftlichen Input erhält das Projekt aus Passau, neben Andreas König sind weitere Expertinnen und Experten aus dem Management-Bereich der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät eingebunden, vor allem Prof. Dr. Carolin Häussler, Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation, Innovation und Entrepreneurship, sowie von extern Prof. Dr. Albrecht Enders vom International Institute for Management and Development (IMD) in Lausanne. Derzeit führt das Team Gespräche mit internationalen Hilfsorganisationen. Auf ukrainischer Seite laufen Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen und politischen Entscheidungspersonen.

Beide, Alex und sein betreuender Professor, sind überwältigt von Dynamik und Wachstum, den das Projekt angenommen hat. Andreas König: „Das Schöne an unserem Modell: Wir kombinieren Algorithmen mit einer menschlichen Komponente. Und: Wenn wir nur ein Krankenhaus mit einem passenden Startup zusammenbringen können, dann waren wir bereits erfolgreich.“

Prof. Dr. Andreas König

Prof. Dr. Andreas König

forscht zu organisationalem Wandel und Kommunikation von Führungskräften

Wie reagieren etablierte Organisationen und deren Führungskräfte auf digitale Transformation?

Wie reagieren etablierte Organisationen und deren Führungskräfte auf digitale Transformation?

Prof. Dr. Andreas König ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Strategisches Management, Innovation und Entrepreneurship sowie Sprecher des DFG-Graduiertenkolleg 2720: "Digital Platform Ecosystems (DPE)" an der Universität Passau. Seine Forschungsergebnisse werden in weltweit führenden wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht, darunter das Administrative Science Quarterly, der Academy of Management Review und Research Policy.

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