"Mut hat eine starke moralische, soziale Komponente"
Prof. Dr. Andreas König erforscht Führungskräfte und deren Entscheidungen. Außerdem ist er Teil eines Teams, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Führungskräfte von morgen auszubilden. Ein Gespräch über die Rolle von Mut in Wissenschaft und Wirtschaft. Interview: Nicola Jacobi
Herr König, Sie haben viel geforscht zu Entscheiderinnen und Entscheidern, ihren Persönlichkeitseigenschaften und ihrer Sprache. Waren Sie da auch mit dem Thema Mut konfrontiert?
Prof. Dr. Andreas König: In unserer Forschung haben wir es bisher eher nur gestreift, aber das Thema interessiert mich grundsätzlich sehr, auch wenn ich kein Experte bin. In der Tat beschäftigt sich eine umfassende Literatur mit „courage“ in Organisationen. Mut spielt sicher eine große Rolle im Bereich business ethics, auch in der Management- und Leadershipforschung wird darüber diskutiert. Dabei wird Mut auf verschiedenste Weisen definiert. Bei Plato und Aristoteles steht der Begriff im Zusammenhang mit kriegerischen Handlungen, neuere Ansätze aus Psychologie, Ethik oder auch den Wirtschaftswissenschaften beschäftigen sich mit Mut in bestimmten Bereichen, zum Beispiel mit „workplace courage“. In einem sehr guten Literaturüberblick zu diesem Thema in der Mut-Forschung habe ich folgenden Definitionsvorschlag gefunden: „a work domain-relevant act done for a worthy cause despite significant risks perceivable in the moment to the actor“, auf Deutsch etwa: „eine für das Arbeitsumfeld relevante, moralisch-normativ motivierte Tat, die ein Akteur trotz signifikanter und für ihn oder sie zu diesem Zeitpunkt erkennbarer Risiken ausführt.“ (James R. Detert, Evan A. Bruno: „Workplace Courage: Review, Synthesis, and Future Agenda for a Complex Construct“, Academy of Management Annals, 2017, Vol. 11, No. 2, 593–639).
Was eine Führungsposition so anspruchsvoll macht, ist, dass das eigentliche Risiko kein rein ökonomisches ist, sondern dass Entscheiderinnen und Entscheider einen enormen sozialen Druck aushalten müssen.
Prof. Dr. Andreas König, Universität Passau
Stimmen Sie dieser Definition zu?
König: Sie klingt doch recht sinnvoll: Mut ist auch für mich mehr als monetäres Risiko, hat eine starke moralische, soziale Komponente. Ich empfinde Mut als etwas von tiefgehenden Werten Getriebenes. Unternehmerin oder Unternehmer zu sein und bestimmte Risiken einzugehen, ist für mich per se noch nicht mutig. Erst dann, wenn man soziale, normative Dimension unternehmerischen Handelns und vor allem auch soziale Risiken für die entscheidende Person mitdenkt, würde ich von Mut sprechen. Bedeutsam sind also vor allem die Motive, die hinter einer Entscheidung stehen. Whistleblower wie Edward Snowden sind für mich mutige Menschen. Auch jemand, der bei Mobbing oder Bullying nicht wegsieht, sondern aktiv wird, obwohl er mit negativen Konsequenzen für sich selbst rechnen muss, ist in meinen Augen mutig. Auch würde ich persönlich beispielsweise eine junge Bäuerin als mutig beschreiben, die den Betrieb ihres Vaters übernimmt und gegen seinen Willen und den der Familie etwa auf ökologische Landwirtschaft umstellt. Junge Menschen, auch Entrepreneurs, die sich engagiert mit insbesondere auch sozial machtvollen Akteuren im Kontext der Klimakrise oder der Digitalisierung streiten, sind mutig. Gleichwohl: Mut hat viele Dimensionen.
DFG Graduiertenkolleg "Digital Platform Ecosystems (DPE)" - jetzt bewerben
Prof. Dr. König ist stellvertretender Sprecher des neuen DFG-Graduiertenkollegs "Digital Platform Ecosystems" an der Universität Passau, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Führungskräfte von morgen für den nationalen und internationalen akademischen und nicht-akademischen Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Das interdisziplinäre Graduiertenkolleg vereint die Bereiche Wirtschaftsinformatik, Management- und Organisationsforschung, Marketing und Volkswirtschaftslehre und ergänzt diese mit einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive. Bewerben Sie sich bis 28. Februar 2022 um eine Stelle als (Post-)Doktorand*in.
Haben oder brauchen mutige Entscheiderinnen oder Entscheider besondere persönliche Eigenschaften?
König: Mut gilt bei vielen in gewissem Maße als Teil der charismatischen, transformatorischen Leader-Rolle des Visionärs. Als charismatisch wahrgenommene Führungskräfte – das sind häufig auch die, die einen sogenannten Celebrity-Status in der Gesellschaft erlangen – sind Menschen, die etwas entgegen aller Wahrscheinlichkeit, gegen Vorbehalte und Widerstände realisieren. Steve Jobs zum Beispiel würden einige bestimmt als mutig beschreiben. Unabhängig davon, ob er das war oder nicht: Was eine Führungsposition so anspruchsvoll macht, ist, dass das eigentliche Risiko kein rein ökonomisches ist, sondern dass Entscheiderinnen und Entscheider einen enormen sozialen Druck aushalten müssen. Diese soziale Dimension spielt, wie die Forschung auch in meinem Bereich zeigt, heute eine größere Rolle als noch vor einigen Jahren. Führungskräfte stehen, auch durch die sozialen Medien, sehr viel stärker in der Öffentlichkeit.
Prof. Dr. Andreas König
Wie reagieren etablierte Organisationen und deren Führungskräfte auf digitale Transformation?
Wie reagieren etablierte Organisationen und deren Führungskräfte auf digitale Transformation?
Prof. Dr. Andreas König ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Strategisches Management, Innovation und Entrepreneurship sowie Sprecher des DFG-Graduiertenkolleg 2720: "Digital Platform Ecosystems (DPE)" an der Universität Passau. Seine Forschungsergebnisse werden in weltweit führenden wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht, darunter das Administrative Science Quarterly, der Academy of Management Review und Research Policy.
Gibt es bestimmte Situationen, die von Führungskräften Mut verlangen?
König: Der Kontext ist entscheidend. Ob etwas mutig ist oder nicht, kommt auf die Gesellschaft an, die einen umgibt; in einem autoritären Regime ist die Situation völlig anders als in einer Demokratie. Es spielt auch eine Rolle, ob sich ein Unternehmen beispielsweise in Krisenzeiten oder in einer Übergangssituation, etwa einer Firmenübergabe, befindet. Dann ist möglicherweise eine weitreichende Neuausrichtung des Betriebes notwendig – trotz vieler Risiken und möglicher Ablehnung. In ruhigeren Phasen müssen solche Ganz-oder-gar-nicht-Entscheidungen seltener getroffen werden.
Spielt Mut eine Rolle für den Erfolg eines Unternehmens?
König: Erfolgreich sein heißt nicht mehr nur wirtschaftlich gut dastehen. Es geht auch um Anerkennung, um soziales und nachhaltiges Engagement, um Mitarbeiter*innenzufriedenheit und vieles mehr. Wie wichtig das für eine Firma, eine Marke, eine Organisation ist, zeigt sich daran, wie viel Wert bei der Selbstdarstellung auf diese Aspekte gelegt wird. In bestimmten Situationen ist dann sicherlich auch Mut gefragt, wenn die bisherige Unternehmensstrategie auf dem Prüfstand steht. Oder wenn es um interne Konflikte und Themen wie Bullying geht. Mut ist für mich Teil einer exzellenten Organisation, sei es nun ein Unternehmen, eine Universität oder aber ein mittelständischer Betrieb. Aus meiner Arbeit mit Top-Führungskräften nehme ich immer mehr mit, dass gerade auch die digitale Transformation Mut voraussetzt: Wir stellen derzeit zentrale Weichen in grundlegenden Fragen wie Privatheit, Freiheit, Sicherheit, Eigentum, Hierarchie usw. Es wird Kreativität und Mut in Unternehmen und Gesellschaft erfordern, unsere demokratischen Werte in die digitalisierte und sich global-machtpolitisch fundamental verschiebende Zukunft zu tragen und dort weiter auszugestalten.
Gegen eine Laufbahn als Musiker entschieden: Prof. Dr. Andreas König bei einem Konzert in der Hofkapelle von Schloss Neuburg. Foto: Studio Weichselbaumer
Sind Sie mutig?
König: Insgesamt habe ich – wie vielleicht auch andere männliche Mitglieder meiner Generation hier im wohlhabenden und freien Westen Deutschlands – das große Glück gehabt, nie wirklich mutig gewesen sein zu müssen. So wie z. B. ein guter Bekannter, der auf der anderen Seite der Mauer als Schlagzeuger einer Punk-Band in der DDR im Grunde immer mit Bautzen rechnen musste, oder Frauen, die mutig gegenüber männlicher Gewalt aufstehen. Vielleicht habe ich auch wenig Mut gezeigt: Zum Beispiel habe ich mich für die Wissenschaft und gegen eine Laufbahn als Musiker entschieden, weil mir die Unsicherheit als freiberuflicher Künstler zu groß war. Allerdings müssen meiner Meinung nach auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in gewisser Weise mutig sein, Dinge immer wieder hinterfragen, auch gegen Widerstände, immer wieder neue Wege gehen – und sie dürfen keine Angst davor haben zu scheitern und wieder von vorne beginnen zu müssen. Das Scheitern und das Eingestehen von Irrtum gehört zur Wissenschaft dazu, daraus entsteht Neues. Wir Wissenschaftler*innen werden sicher noch mutiger werden müssen in den kommenden Jahren, in denen die Wissenschaft vielleicht noch mehr als schon jetzt die Menschen in ihren Gewohnheiten herausfordern wird und in Bedrängnis gerät, vor allem auch durch ihre Erkenntnisse im ökologischen und ökonomischen Bereich.
Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 6/2021 des Transfermagazins „TRIOLOG. Wissenschaft – Wirtschaft – Gesellschaft in Ostbayern“ mit dem Schwerpunkt Krise und Chance. Der Hochschulverbund Transfer und Innovation Ostbayern (TRIO) ist ein Projekt der sechs ostbayerischen Hochschulen, an dem auch die Universität Passau beteiligt ist. Das Projekt wird aus dem Programm "Innovative Hochschule" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert und hat eine Laufzeit von fünf Jahren. TRIO sieht sich als Impulsgeber für Innovationen in Ostbayern. Ziel von TRIO ist es, Wissens- und Technologietransfer auszubauen und aktiv zu gestalten und den Austausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in der Region zu verstärken.