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Tempolimit: Gut für Gesundheit und Klima

Mit Hilfe internationaler Forschungsarbeiten in Kombination mit deutschen Daten geben wir einen Überblick über die möglichen Effekte eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen. Die Ergebnisse legen nahe, dass ein großer Teil der Bevölkerung von einem Tempolimit profitieren würde – nicht nur durch erhöhte Verkehrssicherheit. Von Ökonomen aus Passau und Berlin

Prof. Dr. Stefan Bauernschuster, Inhaber des Lehrstuhls für Public Economics an der Universität Passau, hat gemeinsam mit Prof. Dr. Christian Traxler, Professor für Ökonomie an der Hertie School in Berlin, in einem Beitrag für die Fachzeitschrift „Perspektiven  der Wirtschaftspolitik“ anhand vorhandener Literatur und Daten untersucht, welche Auswirkungen ein Tempolimit hätte. 

Prof. Dr. Stefan Bauernschuster

forscht zu empirischer Evaluation politischer Maßnahmen

Wie beeinflussen politische Maßnahmen Entscheidungen von Individuen und Familien?

Wie beeinflussen politische Maßnahmen Entscheidungen von Individuen und Familien?

Prof. Dr. Stefan Bauernschuster ist seit 2013 Inhaber des Lehrstuhls für Public Economics an der Universität Passau sowie Projektleiter im DFG-Graduiertenkolleg 2720. Er ist Forschungsprofessor am ifo Institut München, Research Fellow des CESifo Netzwerks, Research Fellow des IZA Bonn und Mitglied des Ausschusses für Sozialpolitik beim Verein für Socialpolitik.

Deutsche Autobahnen stechen im internationalen Vergleich keineswegs als besonders sicher heraus. Keine andere Unfallursache führt zu so vielen tödlichen Unfällen wie unangepasste Geschwindigkeit; dabei sind mehr als 70 Prozent aller auf Autobahnen Getöteten jünger als 50 Jahre. Ein Tempolimit würde nicht nur die Anzahl der auf Autobahnen Getöteten und Verletzten reduzieren, sondern hätte darüber hinaus noch weitere Gesundheitseffekte, von denen Millionen Menschen profitieren könnten.

Studien aus den USA legen sogar nahe, dass die Gesundheitseffekte eines Tempolimits durch einen Emissionsrückgang ähnlich stark sein könnten wie jene durch die erhöhte Verkehrssicherheit.

Bei hohen Geschwindigkeiten nehmen Emissionen von Schadstoffen wie Feinstaub, Stickstoffoxide oder Kohlenstoffmonoxid überproportional zu. In einer Reihe empirischer Arbeiten wurde nachgewiesen, dass Luftverschmutzung durch den Pkw-Verkehr (auch in Deutschland und auch in jüngster Zeit) zu Krankenhauseinweisungen insbesondere von Kindern und ältere Menschen führt. Studien aus den USA legen sogar nahe, dass die Gesundheitseffekte eines Tempolimits durch einen Emissionsrückgang ähnlich stark sein könnten wie jene durch die erhöhte Verkehrssicherheit. Tatsächlich könnte ein beachtlicher Teil der Bevölkerung von einem Emissionsrückgang durch ein Tempolimit profitieren: In kleinräumigen geographischen Raster-Daten des RWI-Essen ist zu erkennen, dass in Deutschland 14,9 Millionen Menschen im Umkreis von nicht mehr als zwei Kilometern zum nächsten Autobahnabschnitt ohne Tempolimit wohnen.

Abbildung: Bevölkerung nach Distanz zu Autobahnabschnitt ohne Tempolimit

Die linke Grafik zeigt Autobahn-Streckenabschnitte ohne Tempolimit (schwarz) sowie ein Fünf-Kilometer-Band um diese Streckenabschnitte (türkis) auf Basis von Open Street Map. Die rechte Grafik zeigt die Bevölkerung (in Millionen), die in einer Distanz von 2 bis 10 Kilometern zu einem Autobahnabschnitt ohne Tempolimit lebt. Quelle: Open Street Map und eigene Darstellung. Die Berechnungen stammen von Matthias Kaeding auf Basis der RWI-GEO-GRID-Daten (Doi 10.7807/microm:suf:V8).

Auch CO2-Emissionen könnten durch ein Tempolimit auf Autobahnen sinken. Während in anderen Bereichen der CO2-Ausstoß in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren teils deutlich zurückging, sind die CO2-Emissionen des Pkw-Verkehrs in diesem Zeitraum sogar gestiegen. Berechnungen des Umweltbundesamts zeigen, dass bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 Stundenkilometern die CO2-Emissionen in einem Ausmaß zurückgehen würden, welches einer Reduktion des Pkw-Verkehrs in Städten um 13 Prozent entspricht.

Darüber hinaus zeigen wir in unserem Beitrag noch weitere Effekte auf, die ein Tempolimit haben könnte:

  • Schneller am Ziel: Ein Rückgang der Geschwindigkeit bedeutet für jene, die aktuell deutlich schneller als Richtgeschwindigkeit fahren, einen Zeitverlust. Doch für die Mehrheit der Verkehrsteilnehmenden, die sich bereits jetzt an die Richtgeschwindigkeit, halten, würde sich ein Zeitgewinn einstellen. Denn das Tempolimit würde die Zahl der Unfälle durch hohe Geschwindigkeit reduzieren. Infolgedessen sinkt auch der Zeitverlust durch Staus, Sperrungen und Umfahrungen.
  • Beschleunigte Verkehrswende: Ein Tempolimit könnte Elektroautos attraktiver machen. Denn der Energieverbrauch von Elektroautos steigt bei hohen Geschwindigkeiten deutlich stärker als bei Verbrennungsmotoren. Durch ein Tempolimit fiele dieser Nachteil weg. Außerdem würden durch Rückgang der Varianz und des Mittels der Geschwindigkeiten Anreize für die Weiterentwicklung autonomen Fahrens gesetzt.
  • Veränderung der Fahrkultur: Ein Tempolimit könnte einen Beitrag zu einem Kulturwandel hin zu einer sicherheitsorientierten Fahrkultur leisten. Durch die Reduktion der Varianz der Geschwindigkeiten würde ein Tempolimit Brems- und Überholvorgänge reduzieren und zu einem Rückgang von Stressfaktoren beim Fahren führen. Dies könnte zum Wechsel auf andere Verkehrsmittel bzw. Straßenverbindungen führen oder auch dazu, dass Autobahnen attraktiver werden für jene Verkehrsteilnehmer, die sie aktuell meiden.

Neben besseren Daten sind für eine fundierte, unideologische Debatte auch Untersuchungsdesigns wichtig, die über einen naiven Vergleich von Streckenabschnitten mit und ohne Tempolimit hinausgehen.

In unserem Überblicksartikel nutzen wir die wenigen, vorhandenen Daten aus Deutschland und kombinieren sie mit internationalen empirischen Forschungsarbeiten. Mit unseren Erkenntnissen wollen wir die oft emotional geführte Debatte versachlichen. Leider beschränkt sich die öffentliche Diskussion bislang häufig auf wenig sinnvolle Äpfel-Birnen-Vergleiche, wie beispielsweise zwischen Abschnitten mit Geschwindigkeitsbegrenzung und Abschnitten ohne. Diese Vergleiche sind aber nicht aussagekräftig, denn die Strecken unterscheiden sich ja nicht nur hinsichtlich des Tempolimits, sondern auch mit Blick auf die Gefährlichkeit.

Es fällt auf, dass die Datenlage in Deutschland tatsächlich schwach ist. So gibt es beispielsweise keine repräsentativen, aktuellen Daten zur Geschwindigkeit auf Autobahnen. Neben besseren Daten sind für eine fundierte, unideologische Betrachtung auch Untersuchungsdesigns wichtig, die über einen naiven Vergleich von Streckenabschnitten hinausgehen. Vor diesem Hintergrund können wir die Forderung des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesverkehrsministeriums nach einer stärker evidenzbasierten deutschen Verkehrspolitik nur untermauern.

Interessant ist, dass die letzte systematische Evaluationsstudie zum Tempolimit vom Bundesverkehrsministerium vor mehr als 45 Jahren in Auftrag gegeben wurde. Dieses beeindruckende Feldexperiment ist auch heute noch sowohl inhaltlich als auch methodisch interessant. Doch die Erkenntnisse von damals sind nicht ohne Weiteres auf heutige Verkehrsverhältnisse zu übertragen. Die Autos sind einerseits sicherer geworden, aber auch schneller, größer und schwerer; die Autobahnstrecken selbst haben sich verändert; zudem hat das Verkehrsaufkommen zugenommen. Wir schlagen daher eine (um Aspekte wie Emissionen und Gesundheit erweiterte) Neuauflage des Feldexperiments aus den 1970er Jahren vor, was auch ein attraktiver Kompromiss in einem politischen Streit wäre, der sich nach der Bundestagswahl 2021 ergeben könnte.

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