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Wettbewerb in digitalen Märkten gestalten

Die Internet-Giganten brauchen kluge Regulierung, sagt der Passauer Wirtschaftsinformatiker Prof.Dr. Jan Krämer. Mit seinem Team entwickelt er dafür Modelle.

Die Zukunft der digitalen Märkte wird offline entworfen. In einem Raum am Lehrstuhl von Prof. Dr. Jan Krämer an der Universität Passau skizzieren eine Doktorandin und ein Doktorand Formeln an einem Whiteboard und diskutieren. Am Rand des Whiteboards steht: „Research never sleeps“ – Forschung schläft nie. 

Es herrscht Startup-Mentalität hier am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt Internet- und Telekommunikationswirtschaft, kurz „iBusiness“. Das Team besetzt eine Nische im Bereich der Wirtschaftsinformatik. „Ich spreche gerne von Volkswirtschaftsinformatik“, sagt Prof. Dr. Krämer. In Brüssel, wo er im Think Tank CERRE (Centre on Regulation in Europe) aktiv ist, nennen sie ihn „Digital Economist“. Krämer und sein Team erforschen die Gesetze in digitalen Märkten. 

Gerade startet an seinem Lehrstuhl das DFG-Projekt „Plattformneutralität und datengetriebene Geschäftsmodelle: Daten als Gegenleistung für eine prominente Platzierung von Anbietern auf Onlineplattformen“, in dem es darum geht, wie das Bezahlen mit Daten die Kräfteverhältnisse verändert. Janina Hofmann ist die neue Mitarbeiterin, die im Rahmen des Projekts zum Thema promovieren wird.

Video zum Projekt (auf Englisch)

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Data Sharing für prominente Platzierung

Große Online-Plattformen wie Amazon, Facebook oder Google vermitteln zwischen Unternehmen und Kundschaft, indem sie Produkte so platzieren, dass die Nutzerinnen und Nutzer diese schnell finden. Neuerdings bieten die Plattformen den Unternehmen diesen Service gegen den Austausch von Daten an. 

Ein Beispiel für einen solchen Dienst ist das Google Projekt Accelerated Mobile Pages. Webseiten, die diesen Turbo-News-Dienst nutzen, erhalten - wegen der sehr viel geringeren Ladezeiten - eine prominente Platzierung in den Ergebnissen der mobilen Websuche. Die Suchmaschine bekommt im Gegenzug Zugang zu Verbindungsdaten und Nutzungsstatistiken der Webseite. Ein ähnliches Modell steckt hinter „Fulfillment by Amazon": Online-Shops können über diesen Dienst die komplette Versandabwicklung an Amazon auslagern. Der weltgrößte Onlinehändler erhält dafür außerhalb seines Marktplatzes wertvolle Einblicke in Geschäfte, Beliebtheit von Produkten und das Verhalten der Kundschaft.
 

Prof. Dr. Krämer und Doktorandin Janina Hofmann machen eine Übersicht auf einem Whiteboard zum DFG-Projekt: Plattformneutralität und datengetriebene Geschäftsmodelle: Daten als Gegenleistung für eine prominente Platzierung von Anbietern auf Onlineplattformen“

Prof. Dr. Jan Krämer und Doktorandin Janina Hofmann

Komplexe Auswirkungen auf Wettbewerb und Wohlfahrt

„Das Perfide daran ist, dass das unternehmerische Risiko komplett auf die einzelnen Händlerinnen und Händlern ausgelagert wird", sagt Prof. Dr. Krämer. Die großen Online-Plattformen können beobachten, was funktioniert, und erfolgreiche Produkte selbst anbieten. Das Teilen von Daten hat also sehr viel komplexere Auswirkungen auf Wettbewerb und Wohlfahrt als das Bezahlen mit Geld.

Prof. Dr. Krämer hat erkannt, dass hier Bedarf an Grundlagenforschung ist, und erfolgreich Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeworben, mit der sich die Promotionsstelle von Janina Hofmann finanzieren lässt. Hofmann hat in Nürnberg und Mannheim Volkswirtschaftslehre studiert und sich in Ihrer Masterarbeit mit der Modellierung von rationaler Ignoranz aus Unternehmenssicht beschäftigt.  Konkret mit den Trade-Offs, die ein Unternehmen hat, wenn es in neue Produkte investieren möchte. Zunächst können Informationen gegen Unsicherheiten bei der Entscheidung helfen. Ab einem bestimmten Punkt aber muss das Unternehmen abwägen: Profitiert es noch von zusätzlichen Informationen, oder ist der damit verbundene Aufwand, also sind die (Opportunitäts-)kosten zu hoch?
 

Neue Gesetzmäßigkeiten in digitalen Märkten

Die Entscheidung, in gewisser Hinsicht uninformiert zu bleiben, wird in der Volkswirtschaftslehre als rationale Ignoranz bezeichnet. Solche Kosten-Nutzen-Abwägungen gibt es auch in digitalen Märkten, allerdings verändern Algorithmen und große Datenmengen den Analyseprozess. In den nächsten zwei Jahren entwickelt Hofmann Gedankenspiele für die komplexe Beziehung zwischen digitalen Plattformen, kleineren Online-Unternehmen sowie Nutzerinnen und Nutzern. Zunächst geht es auch für sie darum, sich zu informieren, sich ins Thema einzulesen. Dann folgt das Modellieren. Prof. Dr. Krämer nennt dies „die Gabe von Ökonominnen und Ökonomen“: komplexe, gesellschaftlich-technische Systeme so sehr auf die wesentlichen Effekte zu abstrahieren, dass deutlich wird, wo die entscheidenden Stellschrauben sind.

Hofmann profitiert vom bereits vorhandenen Wissen am Lehrstuhl und der ZD.B-Nachwuchsforschungsgruppe Data Policies, die eng an das Team um Professor Krämer angebunden ist. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen sich mit der Zukunft der digitalen Märkte, manche haben ihren Schwerpunkt stärker auf der Wirtschafsinformatik, andere im Bereich Volkswirtschaft. Eine internationale Ausrichtung ist dem Team wichtig: Die Lehrveranstaltungen finden auf Englisch statt. Derzeit zu Gast am Lehrstuhl ist Professor Marc Bourreau, Wirtschaftswissenschaftler am Institut Polytechnique de Paris. Mit ihm zusammen entwickeln Professor Krämer und Hofmann einen ersten Entwurf des Modells.

Janina Hofmanns Start fiel mit dem halbjährlichen Offsite-Event des Lehrstuhls in Oberösterreich zusammen, einer Mini-Konferenz mit Teambuilding-Effekt. Drei Tage lang präsentierten alle acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Themen. Jede und jeder hatte einen Slot von zwei Stunden, erst Vortrag, dann Diskussion. Für Hofmann war es ein intensiver Crash-Kurs: „Es war total spannend“, sagt sie. „Ich habe auf einen Schlag einen Überblick bekommen, was hier am Lehrstuhl so läuft.“ 

Gerade bei der Frage nach Regulierung haben viele den Reflex, etwas machen zu müssen. Aber wir wollen die Sache ja verbessern und nicht verschlimmern.

Prof. Dr. Jan Krämer, Universität Passau

Nah dran an EU-Wettbewerbspolitik

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Inspiration für die Themen holt sich „Digital Economist“ Krämer direkt aus Brüssel: Der Think Tank CERRE ist nah dran an den dortigen politischen Fragestellungen. „Man merkt, wo Forschungslücken sind“, sagt Krämer. „Ich nehme hier viele Impulse mit nach Passau.“ Die Erkenntnisse aus Passau wiederum speist er in die Debatten in Brüssel ein. „Gerade bei der Frage nach Regulierung haben viele den Reflex, etwas machen zu müssen“, so Prof. Dr. Krämer. „Aber wir wollen die Sache ja verbessern und nicht verschlimmern.“ 

Damit das gelingt, setzt das Team in Passau auf jene Tools, die auch die Entwicklerinnen und Entwickler im Silicon Valley verwenden: Whiteboards und offene Türen.

Bleiben Sie über Twitter bei den Projektentwicklungen, offenen Positionen und anderen Neuigkeiten des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt Internet- und Telekommunikationswirtschaft auf dem Laufenden.

Text: Kathrin Haimerl

Prof. Dr. Jan Krämer

Prof. Dr. Jan Krämer

forscht zur Plattform-Ökonomie und zur Regulierung des Internets

Welche Rahmenbedingungen schaffen Wettbewerb und Innovation im Internet?

Welche Rahmenbedingungen schaffen Wettbewerb und Innovation im Internet?

Prof. Dr. Jan Krämer ist Inhaber des Lehrstuhls für Internet- und Telekommunikationswirtschaft und Sprecher des DFG-Graduiertenkollegs 2720: "Digital Platform Ecosystems (DPE)" an der Universität Passau. Er ist zudem Joint Academic Director am „Centre on Regulation in Europe“ (CERRE), einem Think Tank mit Sitz in Brüssel. 

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