Sally Boyani Mokaya hat den Sprung ins Ungewisse gewagt: Sie ist von Nairobi, Kenia, nach Passau gezogen, um an der Universität Passau ihre Doktorarbeit zu schreiben. Mokaya ist Teil des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Graduiertenkollegs „Digital Platform Ecosystems“ (DPE), einer interdisziplinären und internationalen Gruppe junger Forscherinnen und Forscher. Betreuende sind Prof. Dr. Hannah Schmid-Petri, die sich auf die Analyse von Politikdiskursen spezialisiert hat, und Prof. Dr. Jan Krämer, der sich mit dem Marktdesign in der Plattformökonomie befasst und über gute Kontakte zu Entscheidungspersonen in Brüssel verfügt. In diesem Interview gibt Mokaya Einblicke in ihre Forschungsthemen, erste Ergebnisse - und berichtet, wie es ist, Teil einer so vielfältigen Forschungsgruppe zu sein.
In Ihrer Doktorarbeit beschäftigen Sie sich mit einem sehr aktuellen Thema: Politikdiskurs und Politikprozess in der Regulierung von Plattformen. Was genau untersuchen Sie?
Sally Boyani Mokaya: Ich führe derzeit zwei verschiedene Studien zum Politikdiskurs durch: Die erste befasst sich mit internationaler Steuerpolitik.Ich untersuche, wie internationale Organisationen den globalen Politikdiskurs zur Besteuerung multinationaler Unternehmen prägen. Ich habe beobachtet, dass sich in diesen Debatten zwei Blöcke herausbilden: Die Industrieländer, unterstützt von Organisationen wie der OECD, befürworten oft detaillierte technische Standards, die auf Transparenz und Gewinnverteilung ausgerichtet sind. Die Entwicklungsländer hingegen bevorzugen Ansätze, die in Foren wie den Vereinten Nationen vertreten werden und Fairness, einfachere Regeln und die Sicherstellung der lokalen Besteuerung von Gewinnen innerhalb ihrer Grenzen betonen. Dieser Unterschied ergibt sich in erster Linie aus wirtschaftlichen Machtverhältnissen, technischen Kapazitäten und unterschiedlichen Prioritäten bei der Generierung von Einnahmen.
Wie lassen sich diese unterschiedlichen Interessen miteinander vereinbaren?
Mokaya: Um diese Interessen in Einklang zu bringen, müssen politische Foren geschaffen werden, die die Perspektiven beider Seiten wirklich integrieren. Die Gewährleistung einer gleichberechtigten Stimme der Entwicklungsländer in Foren wie der OECD oder die Stärkung alternativer Gremien wie der UN können diese Interessen ausgleichen. Praktische Kompromisse wie hybride Regulierungsmodelle oder differenzierte Verantwortlichkeiten auf der Grundlage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit können ebenfalls dazu beitragen, Gräben zu überbrücken.
Und Ihre zweite Studie?
Mokaya: In meiner anderen Studie untersuche ich die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des kenianischen Datenschutzgesetzes (KDPA), das hinsichtlich seines Umfangs mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU verglichen wurde. Ich führe intensive und spannende Gespräche mit verschiedenen Expertinnen und Experten, neben Juristinnen und Juristen mit Vertreterinnen und Vertretern von Datenschutzbehörden und Interessenverbänden aus den Bereichen Technologie und Verbraucherschutz. Auf diese Weise hoffe ich, eine Expertenbewertung der theoretisch identifizierten Herausforderungen zu erhalten, die sich auf die Durchsetzung des KDPA auswirken, wie institutionelle Abhängigkeiten, nuancierte regulatorische Aufsicht über kleine und mittlere Unternehmen und kulturelle Barrieren im Zusammenhang mit dem Konzept des Datenschutzes.
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Im englischsprachigen Video-Porträt verrät Sally Boyani Mokaya ihr Hidden Talent und weshalb die Stadt Passau ihr dabei als Inspiration dient. Mehr Hidden Talents der DPE-Doktorandinnen und -Doktoranden
Können Sie diese Herausforderungen bei der Durchsetzung näher erläutern?
Mokaya: Man muss wissen, dass es im Kiswahili keine Begriffe wie Privatsphäre oder persönlicher Raum gibt. Und die Art und Weise, wie wir Privatsphäre verstehen, ist kulturell unterschiedlich, da Kenia meiner Meinung nach sehr gemeinschaftsorientiert ist und Informationen nicht dir gehören. Sie gehören uns allen, weil wir diese Philosophie des Ubuntu haben, die besagt: Du bist, weil ich bin. Daher ist Privatsphäre für uns ein Fremdwort. Wenn man also ein kenianisches Datenschutzgesetz entwickelt, das genau wie die DSGVO aussieht, ergibt das für die durchschnittlichen Kenianerinnen und Kenianer keinen Sinn, weil das Konzept kulturell nicht bekannt und unsensibel ist. Außerdem nutzen wir Social-Media-Plattformen in Kenia ganz anders als in Europa oder in Deutschland.
Irgendwann dachte ich: ,Du bist verrückt. Du wirst niemals jemanden finden, der dir eine so wilde Kombination in einem interdisziplinären Fachgebiet genehmigt.' Und dann sah ich eines Tages eine Anzeige der Universität Passau, und buchstäblich alles, was ich wollte, stand in dieser Anzeige.
Inwiefern?
Mokaya: Kenianerinnen und Kenianer nutzen Social-Media-Plattformen für den E-Commerce als Marktplatz, aber nicht offiziell in Form eines Shops auf Instagram. Stattdessen nutzen sie ihre Instagram-Seite. Das wirft die Frage der Verletzung der Privatsphäre auf. Hier ein Beispiel: Wenn ich über eine Seite auf Instagram ein Telefon bestelle, werden meine Informationen, meine persönlichen Daten, mein Name, mein Wohnort, meine Telefonnummer und die Transaktionsdaten erfasst, aber ich gebe diese Informationen an ein kleines oder mittleres Unternehmen weiter, das nicht bei der Datenschutzbehörde registriert ist. Verbraucherinnen und Verbraucher sind daher dem Risiko von Identitätsdiebstahl oder der missbräuchlichen Verwendung ihrer Daten ausgesetzt. In Kenia ist der elektronische Informationsaustausch nur sehr unzureichend reguliert. Wenn man in Deutschland bei Amazon bestellt, weiß man, dass dies reguliert ist, aber in Kenia haben wir es mit vielen kleinen Unternehmen zu tun, die nicht registriert sind. Und ich würde argumentieren, dass dies die größte Herausforderung für den Datenschutz ist, wichtiger als alles andere in der DSGVO.
Sie haben als Journalistin in Nairobi, Kenia, gearbeitet, unter anderem für die BBC. Warum sind Sie nach Passau gekommen, um hier Ihre Doktorarbeit zu schreiben?
Mokaya: Das erste, was mich an Passau gereizt hat, war das Programm des Graduiertenkollegs selbst, denn ich suchte nach einem Ort, an dem ich mich an der Schnittstelle zwischen Politik, digitalen Plattformen und ein bisschen Recht bewegen konnte. Irgendwann dachte ich: „Du bist verrückt. Du wirst niemals jemanden finden, der dir eine so wilde Kombination in einem interdisziplinären Fachgebiet genehmigt.“ Und dann sah ich eines Tages eine Anzeige der Universität Passau, und buchstäblich alles, was ich wollte, stand in dieser Anzeige. Und ich dachte: „Oh mein Gott, das gibt es wirklich.“ Das war ausschlaggebend für meine Entscheidung für die Universität Passau. Ich glaube, man hat dort verstanden, dass wir an einem Punkt angelangt sind, an dem wir Forschung nicht mehr isoliert von anderen Disziplinen betreiben können. Stattdessen ist es wissenschaftlich sinnvoller, aktiv mit integrierten Inputs zu forschen, wo wir den politischen Prozess der Regulierung digitaler Plattformen schon vor der Verabschiedung von Gesetzen untersuchen und gleichzeitig die Dynamik des Ökosystems verstehen können. Tatsächlich ist das Graduiertenkolleg „Digital Platform Ecosystems (DPE)" in Passau die weltweit größte Forschungsgruppe zum Thema digitale Plattformen, und ich bin sehr glücklich, ein Teil davon zu sein.
Sie werden in Kürze zu einem Forschungsaufenthalt nach Manchester aufbrechen. Worum geht es dabei?
Mokaya: Im Rahmen des Programms müssen wir im Rahmen eines Gastaufenthalts an einer Universität unserer Wahl eine Forschungsstudie im Ausland durchführen. Für mich war die Universität Manchester naheliegend aufgrund von Professor Philip Leifeld, meinem Mentor und Mercator-Stipendiat in unserer Forschungsgruppe. Er arbeitet auch eng mit meiner Doktormutter Hannah Schmid-Petri zusammen, Professorin für Wissenschaftskommunikation an der Universität Passau. Leifeld war es auch, der vorgeschlagen hat, die wissenschaftliche Methode der Diskursnetzwerkanalyse zu verwenden. Wir schreiben gemeinsam eine Arbeit, in der wir die Auswirkungen des politischen Diskurses auf die globale Besteuerung multinationaler Unternehmen (MNCs) mithilfe der Diskursnetzwerkanalyse (DNA) analysieren. Während meines Aufenthalts werden wir die gesammelten Daten auswerten und das Manuskript fertigstellen.
Inwiefern hilft Ihnen Ihr journalistischer Hintergrund bei Ihrer Forschung?
Mokaya: Der Journalismus hat mich gelehrt, komplexe Themen klar zu kommunizieren, die richtigen Fragen zu stellen und wichtige Akteure schnell zu identifizieren. Dies hat sich als wertvoll erwiesen, um Expertinnen und Experten in Kenia zum Thema Datenschutz zu interviewen und die nuancierten politischen Positionen internationaler Organisationen zu analysieren. Der Journalismus hat auch meine Fähigkeit geschärft, politische Diskurse klar und praktisch zu interpretieren und miteinander zu verknüpfen.
Passau ist klein genug, um gemütlich zu sein, aber international genug, um vielfältige Perspektiven und Interaktionen zu bieten. Und wenn man wie ich Teil einer Forschungsgruppe ist, ist man immer von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern umgeben und es gibt immer intellektuelle Diskussionen.
Wie würden Sie das Team des Graduiertenkollegs beschreiben? Welche Eigenschaften sollte eine Nachwuchsforscherin oder -forscher mitbringen, um sich dem Team anzuschließen?
Mokaya: Das Graduiertenkolleg in Passau ist interdisziplinär, hilfsbereit und aufgeschlossen. Es besteht aus Forschenden, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit Fragen der digitalen Steuerung beschäftigen. Eine junge Forscherin oder ein junger Forscher, die oder der sich diesem Team anschließen möchte, sollte intellektuell neugierig, teamfähig, methodisch flexibel und offen für andere Fachgebiete sein. Außerdem sollte sie oder er proaktiv sein und bereit, komplexe globale Probleme kritisch und praxisorientiert zu untersuchen.
Ist Passau ein guter Ort zum Leben?
Mokaya: Ja, Passau ist ein wunderbarer Ort zum Leben. Es ist sicher, landschaftlich reizvoll und entspannt, also perfekt für Forschende. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass Passau wahrscheinlich der beste Ort ist, um seine Doktorarbeit zu schreiben. Die Lebenshaltungskosten sind sehr günstig und Passau ist pendlerfreundlich. Man braucht buchstäblich zu allem nur 15 Minuten. Es gibt keinen Alltagsstress, wie man ihn in einer Großstadt erleben würde. Passau ist klein genug, um gemütlich zu sein, aber international genug, um vielfältige Perspektiven und Interaktionen zu bieten. Und wenn man wie ich Teil einer Forschungsgruppe ist, ist man immer von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern umgeben und es gibt immer intellektuelle Diskussionen.
Das Interview wurde aus dem Englischen maschinell übersetzt.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Portal Research in Bavaria in englischer Sprache.
DFG Graduiertenkolleg 2720: "Digital Platform Ecosystems (DPE)"
Das Graduiertenkolleg "Digital Platform Ecosystems" widmet sich in der Forschung dem Kernphänomen der digitalen Ökonomie und Gesellschaft und setzt hier neue Maßstäbe für die Qualifikation von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern.