Symbolbild von Adobe Stock, generiert mit Hilfe von KI.
Prof. Dr. Florian Töpfl ist seit 2020 Inhaber des Lehrstuhls für Politische Kommunikation mit Schwerpunkt auf Osteuropa und die postsowjetische Region an der Universität Passau. In der ERC-Consolidator Forschungsgruppe RUSINFORM erforscht er mit seinem Team seit fünf Jahren die Auswirkungen der Digitalisierung auf Russlands informationellen Einfluss im Ausland. In einem neuen bidt-Projekt, das im April 2025 startet, befasst er sich mit der Frage, wie Russland und andere Autokratien die Entwicklung von Large Language Models (LLMs), großen generativen Sprachmodellen, regulieren und kontrollieren. Im Gespräch erklärt er, wie es ist, Forschung zu betreiben und Repressionen fürchten zu müssen, wie der Kreml auch die Wissenschaft als Einflusskanal nutzt und was sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs verändert hat.
Woran genau forscht Ihre Gruppe in RUSINFORM?
Wir befassen uns damit, welche digitalen Strategien der Kreml nutzt, um Öffentlichkeiten im Ausland zu beeinflussen. Das machen wir auf ganz unterschiedliche Art: So haben wir etwa Zehntausende Treffer in den Suchmaschinen Google und dessen russischen Gegenstück Yandex ausgewertet, um zu analysieren, wie Kreml-gesteuerte Verschwörungsmythen zur Corona-Pandemie mit Suchmaschinen verbreitet werden. Ein weiterer Bereich sind soziale Medien: Wie nutzt Russland Facebook, um Propaganda in anderen Ländern zu streuen, wie nutzt es VKontakte, um das eigene Volk zu erreichen? Ein Doktorand untersucht die Arbeitsweise der St. Petersburger Trollfabrik. Als drittes haben wir uns auch deutsche Teilöffentlichkeiten angeschaut: So hat eine Doktorandin untersucht, welche Verbindungen es zwischen deutschen sogenannten „alternativen“, häufig rechtspopulistisch oder rechtsextremen Medien wie Politically Incorrect oder Compact zu russischen Eliten gibt. Eine weitere Forscherin hat Interviews ausgewertet, die sie mit russischsprachigen Deutschen zu deren Mediennutzung und Vertrauen geführt hat. Sie hat dazu mehr als 40 vor und 28 Gespräche nach Kriegsbeginn geführt.
Hat sich etwas verändert mit Beginn des russischen Angriffskriegs?
Die Interviews offenbaren eine Typologie von problematischen Wahrheitsverständnissen, wobei sich die Polarisierung der einzelnen Typen mit Kriegsbeginn noch einmal verschärft hat. Einige Interviewte geben an, dass die Wahrheit wohl irgendwo in der Mitte zwischen den vom Kreml und westliche Medien berichteten „Fakten“ liegen muss. Das ist hochproblematisch. Nehmen wir als Beispiel die Kriegsverbrechen in Butscha. Wenn eine Person glaubt, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte zwischen den von der Ukraine und von Russland behaupteten „Tatsachen“ liegt, dann heißt das, dass aus Sicht dieser Person sowohl die russische Armee als auch die ukrainische Armee dort Kriegsverbrechen begangen hat, oder begangen haben könnte. Das ist erwiesenermaßen falsch. Es gibt intersubjektiv erfahrbare Sachverhalte und damit Aussagen, deren Wahrheitsgehalt sich zweifelsfrei bestimmen lässt.
ERC Consolidator Grant RUSINFORM 2019 - 2024
ERC Consolidator Grant „Die Auswirkungen des Internets auf Russlands informationellen Einfluss im Ausland (RUSINFORM)“ 2019 – 2024: Die Forschungsgruppe untersucht, wie russische Eliten über neue Medien Öffentlichkeiten in Deutschland, Weißrussland oder Estland beeinflussen.
Waren wir rückblickend zu naiv, was die Einflussnahme Russlands im Ausland betrifft?
Ich glaube, wir haben zu spät erkannt, wie skrupellos und mit welchen langfristigen Zielen die derzeitige russische Führung agiert. Es war schon richtig, in den 2010er Jahren noch nach Möglichkeiten der Verständigung zu suchen, aber zugleich hätten wir viel wachsamer sein und auf vielen Ebenen viel entschiedener handeln müssen. Nehmen wir als Vorbild die Ukraine. In unseren Studien ist die Ukraine das Land, in dem wir nach Analyse der Google-Treffer feststellen, dass sich die Kreml-gesteuerten Verschwörungsmythen dort am wenigsten verbreiten konnten. Das lag daran, dass die Ukraine seit der Krim-Annexion gezielt russische Netzwerke und die russische Suchmaschine Yandex blockiert hat. Nichtregierungsorganisationen haben das seinerzeit scharf kritisiert, weil das natürlich einen gezielten Eingriff in die Pressefreiheit darstellt. Rückblickend betrachtet war dieser Eingriff aus meiner Sicht gerechtfertigt. Wenn man vom eigenen Nachbarn militärisch bedroht wird, dann ist der Schutz der nationalen Öffentlichkeit und der eigenen Souveränität sicherlich als das höhere Gut zu werten.
Bei uns stehen im Februar 2025 Wahlen an. Wie zeigt sich der Einfluss russischer Propaganda in Deutschland?
Russland wird mit Sicherheit nach besten Kräften – nicht ausschließlich, aber auch mit verdeckten Mitteln und unter Einsatz von gezielter Fehlinformation und Täuschung – versuchen, jene Akteure in der deutschen Politik im Wahlkampf zu unterstützen, die für eine Politik stehen, die Russlands nationale Interessen und politische Ziele befördert. Dabei wird man wie bisher auf eine Vielzahl von Kanälen zurückgreifen: geschickt lancierte offizielle Stellungnahmen, Posts von russischen Politikerinnen und Politikern auf sozialen Netzwerken, verdeckt unterstützte Nachrichtenwebseiten, Trollfabriken, Sabotageakte, Repressionen gegen und Einschüchterung von Kritikerinnen und Kritikern, Kontaktaufbau und -pflege zu Akteuren an den politischen Rändern oder potentiell ko-optierbaren Eliten. Als Parteien, deren Positionen den russischen Interessen sehr nahestehen, sind hier an erster Stelle das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) zu nennen, an zweiter Stelle die Alternative für Deutschland (AfD).
Im Grunde genommen geht es der russischen Führung dabei zum einen darum, den Prozess der demokratischen Meinungsbildung an der größtmöglichen Zahl von Einflussstellen auf ihre Interessen und politische Zielen hin auszurichten. Zum anderen ist es ein Ziel, das Vertrauen in unsere Demokratie und ihre Institutionen, wie beispielsweise Medien, Parlamente, Justiz und Universitäten, zu untergraben, bestehende Konflikte zwischen Gruppierungen zu befeuern, etwa in der Migrations- oder der Sozialpolitik, und so unser liberales Gemeinwesen als Ganzes zu schwächen. Drittens beobachte ich eine zunehmend antiliberale Ausrichtung der Auslandskommunikation als Selbstzweck. Es geht also darum, gegen liberale Werte wie die Gleichberechtigung der Frau oder LGBT-Rechte zu agitieren.
Sie forschen zu einem Thema, dessen Relevanz und Aktualität sich durch den Krieg regelrecht überschlagen hat. Wie ist Forschung zu einem autoritären Regime unter diesen Umständen möglich?
Man hat natürlich die möglicherweise folgenden Droh- und Belästigungsemails im Hinterkopf, wenn man sich öffentlich äußert, und das hat sich mit Beginn des Angriffskriegs verschärft. Der Militärexperte Prof. Dr. Carlo Masala hat beispielsweise in einem Interview geäußert, dass ihn nach jedem öffentlichen Auftritt eine Vielzahl von Hassmails erreichen. Ich selbst bekomme nach öffentlichen Äußerungen gelegentlich auch Emails, die mich beleidigen und mir mit Gewalt drohen. Das führt dazu, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der öffentlichen Kommunikation zurückhalten, was ganz im Sinne der russischen Einflussnahme ist.
Theoretisch wäre es sogar möglich, dass Russland einen internationalen Strafbefehl gegen mich beantragt, der dann von einem befreundeten Staat vollstreckt werden kann.
Viele Forschende in den Osteuropastudien haben enge persönliche Verbindungen nach Russland, zum Teil auch familiäre. Im Juli 2024 wurde die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) mit ihren mehr als tausend Mitgliedern von der russischen Regierung zu einer „extremistischen Organisation“ erklärt. Gleichzeitig wurden die Server der Organisation gehackt, und es ist davon auszugehen, dass alle Mitgliedsdaten abgeflossen sind. In Russland kann nach § 282.2 des Strafgesetzbuches die „Organisation der Aktivitäten einer extremistischen Organisation“ mit einer Haftstrafe von bis zu zwölf Jahren geahndet werden. Ich bin auch Mitglied der DGO. Gerade auch wegen meines in seiner Anlage sehr Kreml-kritischen Forschungsthemas steht für mich fest, dass ich unter den derzeitigen Bedingungen nicht nach Russland reisen kann. Theoretisch wäre es sogar möglich, dass Russland einen internationalen Strafbefehl gegen mich beantragt, der dann von einem befreundeten Staat vollstreckt werden kann. Das ist natürlich sehr unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen. Das Umfeld ist derzeit für Forschende repressiver als zu Zeiten des Kalten Krieges. Damals war die Osteuropawissenschaft nicht in ihrer Gänze und pauschal als „extremistisch“ kriminalisiert.
Wie steht es um die Wissenschaft in Russland?
Im aktuellen Academic Freedom Index, einem weltweiten Ranking der Wissenschaftsfreiheit, nimmt Russland einen Platz unter den 10 bis 20 Prozent der am schlechtesten bewerteten Wissenschaftssysteme ein. Die Repressionen sind enorm. Sogar Forschende, die im Ausland ihre Arbeit fortsetzen, berichten von Bedrohungen, zum Teil auch gegen Familienmitglieder. Gleichzeitig werden im Inland etwa in den Geistes- und Sozialwissenschaften klare Anreize gesetzt, um Forschungsarbeiten anzuregen, die die politischen Ziele des Kremls befördern. Es wurde beispielsweise in den 2010ern an einigen russischen Elite-Universitäten ein Anreizsystem ins Leben gerufen, wonach russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in internationalen Top-Journals publizieren, viele Tausende Dollar als Prämien erhalten. Das sind massive Geldbeträge und Anreize, die dazu geführt haben, dass russische WissenschaftlerInnen nicht unerfolgreich dabei waren, international zu publizieren. Gleichzeitig gab und gibt es keine unabhängige Forschungsförderung mehr. Das russische Pendant zur Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) hat ein Aufsichtsratsgremium, dessen Mitglieder vom Präsidenten persönlich ernannt und jederzeit abberufen werden können. In den international veröffentlichten Artikeln wurden – vor allem auch aufgrund der gleichzeitig drohenden Repressionen – vielfach Kreml-kritische Inhalte oder Aspekte ausgeblendet. Stattdessen herrschte eine Art „Sugar Code“. Durch dieses komplexe System aus Anreizen und Repressionen entstand auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur meines Erachtens in der Summe ein eher geschöntes Bild der Lage im Land.
Was tun?
Es braucht ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass der Kreml unsere Demokratie über eine Vielzahl von Kanälen bedroht, dass er explizit beabsichtigt, deren Stabilität und das Vertrauen in ihre Institutionen und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt zu beschädigen, und dass die russische Herrschaftselite, um ihre Ziele zu erreichen, auch den Einsatz von List und Täuschung als legitimes Mittel betrachtet. Wir müssen unsere demokratische Öffentlichkeit stärken und schützen. Es braucht auch eine systematische Beobachtung der Einflussversuche und Bedrohungen, die Forschende ausgesetzt sind, die sich mit repressiven Regimen beschäftigen. Demokratische Politikerinnen und Politiker – auch in der Bildungspolitik – dürfen die Repressionen gegen internationale Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen nicht dulden und müssen klar für die Wissenschaftsfreiheit Stellung beziehen. Und auch das Wissenschaftssystem selbst muss in Deutschland starken Schutz für Forschende bieten.
Über RUSINFORM
Das ERC-Consolidator-Projektes RUSINFORM erforscht die Auswirkungen der Digitalisierung auf Russlands informationellen Einfluss im Ausland. Im Vordergrund steht die Frage, wie und mit welchen Konsequenzen neue internetbasierte Technologien zur Entstehung neuer Ressourcen, Techniken und Prozesse beigetragen haben, mit denen politische Eliten in Moskau Medienpublika im Ausland beeinflussen können. Das Projekt mit einer Laufzeit von fünf Jahren (2019-2024) wird vom Europäischen Forschungsrat (ERC) gefördert und ist angebunden an den Lehrstuhl für Politische Kommunikatiion mit Schwerpunkt auf Osteuropa und die postsowjetische Region an der Universität Passau. Die ERC-Forschungsgruppe besteht aus dem Projektleiter, Prof. Dr. Florian Töpfl, sowie weiteren Forscherinnen und Forschern. Außerdem beteiligen sich verschiedene Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler über kürzere Zeiträume am Projekt.
Prof. Dr. Florian Töpfl
Wie beeinflusst Moskau mit Hilfe internetbasierter Technologien Medienpublika im Ausland?
Wie beeinflusst Moskau mit Hilfe internetbasierter Technologien Medienpublika im Ausland?
Prof. Dr. Florian Töpfl ist Inhaber des Lehrstuhls für Politische Kommunikation mit Schwerpunkt auf Osteuropa und die postsowjetische Region an der Universität Passau. Er leitet das ERC-Consolidator-Projekt The Consequences of the Internet for Russia’s Informational Influence Abroad (RUSINFORM) an der Universität Passau. Bevor Prof. Dr. Töpfl im Jahr 2020 an die Universität Passau berufen wurde, forschte er als Leiter einer Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe an der Freien Universität Berlin (2014-2019) und als Marie Curie Postdoctoral Fellow an der London School of Economics and Political Science (2012-2014).