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Sie haben Post aus dem White House

Das Präsidialbüro von US-Präsident Joe Biden bedankt sich per Mail bei Stefan Bauernschuster, Professor für Public Economics an der Universität Passau. Denn der neue US-Wirtschaftsbericht zitiert eine seiner Studien.

Die Überraschung war groß, als der Ökonom Stefan Bauernschuster eine Mail des „Executive Office of the President“ in seinem Postfach fand. Erster Gedanke: „Die Spam-Mails werden auch immer besser.“ Doch beim zweiten Blick stellte sich heraus: Die Mail war echt. Sie stammte tatsächlich aus dem Büro von US-Präsident Joe Biden und verfasst hat sie die US-amerikanische Ökonomin Cecilia Elena Rouse, Vorsitzende des Council of Economic Advisers.

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Das mit Top-Ökonominnen und -Ökonomen besetzte Gremium ist eine Art US-amerikanisches Pendant zum deutschen Sachverständigenrat, mit dem Unterschied, dass es direkt im Weißen Haus angesiedelt ist. Auch die US-Wirtschaftsweisen verfassen jährlich einen Bericht. Um diesen geht es in der Mail von Rouse an Bauernschuster: „Wir zitieren darin Ihre Arbeit. Ich melde mich bei Ihnen, um mich dafür zu bedanken, dass Sie uns bei der inhaltlichen Gestaltung des Berichts geholfen haben.“

Mehr Betreuungsplätze, mehr erwerbstätige Mütter

In dem Bericht von März 2023 verweist der Rat der Wirtschaftsberater des US-Präsidenten auf eine Studie von Prof. Dr. Bauernschuster, Inhaber des Lehrstuhls für Public Economics an der Universität Passau, und seinem ehemaligen Kollegen am ifo-Institut, Dr. Martin Schlotter, der inzwischen in der Bayerischen Staatskanzlei tätig ist. In der Studie, die 2015 im renommierten Journal of Public Economics erschienen ist, untersuchen sie den Effekt öffentlich geförderter Kinderbetreuung auf die Erwerbstätigkeit von Müttern. Die Ökonomen liefern darin den Beleg, dass der Ausbau öffentlich geförderter Betreuungsplätze dazu führt, dass mehr Mütter einer Arbeit nachgehen. 

In dem aktuellen US-Wirtschaftsbericht geht es vor allem darum, den Mangel an Arbeitskräften aufzufangen, mit dem die US-Wirtschaft infolge der Erholung nach der Covid-19-Pandemie zu kämpfen hat. Die Beraterinnen und Berater schlagen mehrere Maßnahmen vor. Eine davon: in die Betreuung von Kindern investieren. „Die überwiegende Zahl der empirischen Belege deutet darauf hin, dass Kinderbetreuungs- und Vorschulprogramme einen positiven Einfluss auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern haben“, schreiben sie unter anderem mit Verweis auf die Studie von Bauernschuster.

Zwar liege auf den ersten Blick der Zusammenhang zwischen mehr Kindergartenplätzen und besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf der Hand. Doch ganz so einfach sei es nicht. „Theoretisch ist nämlich nicht klar, ob öffentlich geförderte Kinderbetreuung die Erwerbstätigkeit von Müttern erhöht“, so Prof. Dr. Bauernschuster. Denn diese Art der Betreuung könnte auch schlicht andere Betreuungsformen wie etwa privatwirtschaftliche Betreuung oder Betreuung durch Großeltern ersetzen, ohne sich auf die Arbeitsmarktsituation der Mütter auszuwirken. Eine norwegische Studie zeigte etwa genau das.

Realexperiment durch Rechtsanspruch auf Kindergartenplatz

Bauernschuster und Schlotter wiesen mit Daten des Mikrozensus und des Sozio-oekonomischen Panels nach, dass öffentlich geförderte Kinderbetreuung in Deutschland tatsächlich eine zentrale Bedeutung bei der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielte, auch deshalb, weil ein privater Markt für Kinderbetreuung aufgrund starker Regulierungen nicht existiert. Was einfach klingt, erforderte ausgefeilte Methoden und jahrelange Arbeit. Denn allein aus der Tatsache, dass Mütter mit Betreuungsplatz eine höhere Erwerbsquote haben als Mütter ohne Betreuungsplatz, lässt sich nicht schließen, dass der Betreuungsplatz tatsächlich der Grund für die höhere Erwerbsquote ist. „Die Schwierigkeit bei uns in den Sozialwissenschaften ist, Scheinzusammenhänge von echten kausalen Zusammenhängen zu unterscheiden. Dafür brauchen wir echte Vergleichsgruppen mit gleichen Bedingungen – quasi wie in einem Experiment“, so Prof. Dr. Bauernschuster.

Wir konnten zeigen, dass jede dritte Mutter, deren jüngstes Kind drei Jahre alt war, nur aufgrund des Kindergartenplatzes arbeiten konnte.

Prof. Dr. Bauernschuster, Universität Passau

Um den kausalen Zusammenhang hieb- und stichfest nachzuweisen, arbeiteten die Ökonomen mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz im Jahr 1996. Unbewusst schuf die Politik damit ein spannendes Realexperiment für die Ökonomen: Diese Reform führte dazu, dass Kinder, die kurz vor dem Start eines Kindergartenjahrs drei Jahre alt wurden, schnell einen Rechtsanspruch hatten, während vergleichbare Kinder, die nur wenige Tage später drei Jahre alt wurden, den Rechtsanspruch erst ein Jahr später erhielten. Es gab also zwei vergleichbare Gruppen, die es Bauernschuster und Schlotter erlaubten, alle andere Einflussfaktoren auszuschließen und die kausale Wirkung des Kindergartenplatzes zu untersuchen. 

Das Ergebnis: Der Ausbau der öffentlich geförderten Betreuungsplätze hatte einen großen positiven Effekt auf die Erwerbstätigkeit von Frauen, insbesondere getrieben durch Teilzeitarbeit. „Wir konnten zeigen, dass jede dritte Mutter, deren jüngstes Kind drei Jahre alt war, nur aufgrund des Kindergartenplatzes arbeiten konnte“, fasst Bauernschuster zusammen. Aus politischer Sicht sei die Investition in Kinderbetreuung zudem günstiger als finanzpolitische Maßnahmen wie eine Kindergelderhöhung, denn: „Ein Großteil der Investitionen finanziert sich schnell von selbst, da die arbeitenden Mütter ja wiederum Steuern und Sozialabgaben zahlen“, so Prof. Dr. Bauernschuster. „Zudem konnten wir in einer weiteren Studie zeigen, dass der Ausbau der Kita-Plätze ursächlich die Geburtenziffer erhöhte, und zwar fünfmal stärker als eine vergleichbare Investition in eine Erhöhung des Kindergelds.“ Arbeiten von anderen Forscherinnen und Forschern weisen darüber hinaus nach, dass Betreuungsplätze positive Effekte auf die Entwicklung von Kindern insbesondere aus sozioökonomisch benachteiligten Familien haben.

Wirkung auf deutsche Familienpolitik

Die Studie von Prof. Dr. Bauernschuster ging aus einem Projekt aus den Jahren 2010 bis 2012 hervor, in dem das Bundesfamilienministerium gemeinsam mit dem Finanzministerium ehe- und familienbezogene Leistungen in Deutschland evaluieren ließ. Die Ökonomen präsentierten ihre Erkenntnisse damals in Berlin. Es folgten kontroverse Debatten in Politik und Medien, die den eingeschlagenen Weg der deutschen Familienpolitik durchaus bestärkt haben könnten. Denn diese habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine regelrechte Kehrtwende vollzogen: „2005 gab es de facto noch keine Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahren. Seit 2013 haben wir einen Rechtsanspruch für Kinder ab dem vollendeten ersten Jahr“, sagt Prof. Dr. Bauernschuster.

Die Mail aus Bidens Präsidialbüro jedenfalls stelle für ihn eine wertschätzende Art des Umgangs der Politik mit der Wissenschaft dar. Es freue ihn sehr, dass die Studie erneut an prominenter Stelle zitiert werde. Bestätigung habe das Papier auch in der Wissenschaft erfahren. So sei die Studie mittlerweile mehr als 300 Mal zitiert worden, unter anderem vom Wirtschafts-Nobelpreisträger James Heckman.

Text: Kathrin Haimerl

Prof. Dr. Stefan Bauernschuster

forscht zu empirischer Evaluation politischer Maßnahmen

Wie beeinflussen politische Maßnahmen Entscheidungen von Individuen und Familien?

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Prof. Dr. Stefan Bauernschuster ist seit 2013 Inhaber des Lehrstuhls für Public Economics an der Universität Passau sowie Projektleiter im DFG-Graduiertenkolleg 2720. Er ist Forschungsprofessor am ifo Institut München, Research Fellow des CESifo Netzwerks, Research Fellow des IZA Bonn und Mitglied des Ausschusses für Sozialpolitik beim Verein für Socialpolitik.

Doktorand*in gesucht für DFG-Graduiertenkolleg zu "Digital Platform Ecosystems"

Prof. Dr. Bauernschuster ist Projektleiter im DFG-Graduiertenkolleg 2720: "Digital Platform Ecosystems (DPE)" im Forschungsbereich zu sozioökonomischen und regulatorischen Dimensionen von digitalen Plattformen. Sie interessieren sich für politikrelevante Fragen in diesem Bereich und kennen sich mit mikroökonomischen Methoden aus? Dann bewerben Sie sich.

 

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