Prof. Dr. Robert Obermaier
Wie lassen sich Unternehmen durch eine Krise steuern?
Wie lassen sich Unternehmen durch eine Krise steuern?
Prof. Dr. Robert Obermaier ist Vizepräsident für Forschung an der Universität Passau und Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Accounting und Controlling. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Controlling, Unternehmensbewertung, Produktion und Entscheidungstheorie.
Zunächst einmal zeigen uns Schocks, wie sie der Ukraine-Krieg und die Corona-Pandemie ausgelöst haben, vor allem eines: Wie sehr wir uns an die Sonnenschein-Situation in der Wirtschaft gewöhnt haben. Jahrelang sind wir damit verwöhnt worden. Jetzt gilt es, über Resilienz zu sprechen.
Resilienz bezeichnet die Widerstandsfähigkeit der Unternehmen in Krisenzeiten. Diese lässt sich an drei Punkten festmachen.
Erstens: finanzielle Ressourcen. Sie helfen, um auf nachfrageseitige Schocks zu reagieren. Wem von heute auf morgen der Umsatz wegbricht, z.B. weil er das Geschäft zusperren muss, aber weiter die Fixkosten zu tragen hat, braucht dafür ein finanzielles Polster.
Zweitens: materielle Widerstandskraft durch Lagerhaltung. Diese braucht es bei angebotsseitigen Schocks, wenn die internationale Lieferkette ins Stocken gerät oder ganz zusammenbricht. Das zeigt sich aktuell etwa an fehlenden Kabelbäumen aus der Ukraine, die bei uns manche Bänder in der Automobilindustrie stillstehen lassen.
Drittens: strategische Widerstandskraft durch Fertigungstiefe. Damit beschreiben wir in der Betriebswirtschaftslehre den Umfang, den ein Unternehmen am Gesamtprodukt selbst herstellt um damit weniger auf Lieferanten spezifischer Vorprodukte angewiesen zu sein.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden diese drei Bereiche sehr stark in eine ganz bestimmte Richtung getrimmt: Es ging darum, Kosten zu senken. Weg von Lagerhaltung, hin zu Just-in-Time-Belieferung, weg von Fertigungstiefe, hin zu kleinteiligen internationalen Lieferketten. Dieses Gebilde kann aber sehr schnell ins Stocken geraten. Da braucht es nur an einer Stelle der Kette Ausfälle. Für die deutsche Maschinenbaubranche konnten wir in unserer Forschung zeigen, dass vor allem jene Unternehmen gut durch Krisen kommen, die gegen diesen Trend agieren, die also nicht in diesem Sinne komplett kostenminimierend produzieren, sondern eine überdurchschnittliche Fertigungstiefe aufweisen sowie die Pufferwirkung der Lagerhaltung nutzen.
Es sieht aber schon seit einiger Zeit so aus, als hätte das Pendel der internationalen Vernetzung und Arbeitsteilung den optimalen Wert überschritten, so dass es nun – durch die Krise verstärkt – zurückschwingt.
Prof. Dr. Robert Obermaier, Universität Passau
Aktuell stehen wir vor einer Situation der angebots- und inflationsbedingten Knappheit. Neben Grundstoffen wie Mehl und Öl betrifft es auch wieder Toilettenpapier. Das kennen wir Deutschen aus der Corona-Pandemie. Da war es allerdings ein Nachfrageschock: Die Leute begannen zu horten, die doppelten Mengen zu kaufen. Die Produktion kam nicht nach, konnte nicht so schnell gesteigert werden. Jetzt ist es ein angebotsseitiges Problem. Durch die steigenden Energiepreise stellen die Hersteller zum Teil die Produktion ein. Das ist eine unmittelbare betriebswirtschaftliche Entscheidung, weil sich die Produktion nicht mehr rentiert. Eine solche Situation kann zu einem Bullwhip-Effekt führen, sie kann sich aufpeitschen, eskalieren, etwa wenn die Kunden aus Panik wieder beginnen, die Regale leer zu kaufen und zu horten. Ausgehend von Grundstoffen kann sich dies in weitverzweigten Lieferketten schnell ausbreiten.
Es sieht aber schon seit einiger Zeit so aus, als hätte das Pendel der internationalen Vernetzung und Arbeitsteilung den optimalen Wert überschritten, so dass es nun – durch die Krise verstärkt – zurückschwingt.
Ist also unabhängiges Wirtschaften, Autarkie, das Modell der Zukunft? Nein, ganz im Gegenteil. Das zeigt auch ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte.
In Zeiten des Kolonialismus hatte die Wirtschaft schon einmal ein bis dato unbekanntes Ausmaß an Globalisierung erreicht. Sie fand jedoch ein abruptes Ende im Ersten Weltkrieg. In der Zwischenkriegszeit hatte Deutschland notgedrungen ein gewisses Maß an Autarkie entwickelt, das dann in Adolf Hitlers nationalsozialistisches Autarkie- und Rüstungsprogramm mündete, den Vierjahresplan. Es ging darum, die deutsche Wirtschaft binnen vier Jahren autark und letztendlich kriegsfähig zu machen mit all den bekannten Folgen.
Autarkie ist ein Modell der Vergangenheit. Es schneidet internationale Beziehungen ab und ist zudem teuer. Unreflektierte Autarkie-Bestrebungen halte ich deshalb auch für hochgefährlich.
Internationaler Austausch und Kooperation sind weiterhin das Modell der Zukunft. Doch es wird künftig darum gehen, die internationalen Beschaffungsrisiken besser zu diversifizieren, sich also nicht abhängig zu machen von einigen wenigen Lieferanten und von einigen wenigen Ländern. Und es wird auch darum gehen, bestimmte Schlüsseltechnologien in der eigenen, der europäischen Einflusssphäre zu halten.“
Welche Fragen haben Sie zum Angriff auf die Ukraine? Schreiben Sie uns: frag-die-wissenschaft@uni-passau.de - wir leiten Ihre Fragen weiter und veröffentlichen an dieser Stelle zeitnah Antworten von Forschenden.