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Wie das Narrativ der „Outside Agitators“ die Proteste in den USA diffamiert

Medien sollten solche Aussagen von Trump und anderen Politikern nicht unkommentiert stehen lassen. Denn sie tragen damit einen Kampfbegriff weiter, der eine historische Tradition hat. Von Dr. Viola Huang

Dr. Viola Huang (Ph. D. , Columbia University Teachers College) ist Historikerin und Amerikanistin an der Universität Passau. In ihrer Forschung befasst sie sich mit den Civil Rights und Black Power Movements, sowie der Darstellung dieser Bewegungen in Medien, Öffentlichkeit und Geschichtskultur. Sie ist Mitarbeiterin im interdisziplinären Projekt SKILL.de, das angehende Lehrkräfte darauf vorbereitet, mit Schülerinnen und Schülern den digitalen Wandel zu gestalten und etwa Informationen im Netz kritisch zu hinterfragen. In ihrem Blog greift sie aktuelle Debatten um rassistische Gewalt auf und ordnet diese historisch ein. Dieser Beitrag ist ein Auszug aus ihrem Blog.

Seit Beginn der aktuellen Proteste gegen rassistische Polizeigewalt in den USA behaupten US-Präsident Donald Trump und andere Politiker sowie Vertreter der Polizei, die Proteste gingen von „Outside Agitators“ aus, seien gesteuert von externen Krawallmachern. Mal beschuldigen sie Linksradikale, mal zugereiste Protest-Touristen.

Die Absicht dahinter ist klar: Die Trump-Regierung will den Protesten die Legitimation absprechen und die Demonstrantinnen und Demonstranten als radikale Linke diffamieren. Die Bezeichnung „Outside Agitators“ hat eine lange Tradition – und zwar als Kampfbegriff gegen antirassistische Bewegungen. Es ist wichtig, diesen Vorwurf historisch einzuordnen.

Freedom Riders: Alles andere als “Outsiders

Im Frühjahr 1961 beispielsweise machten sich die Freedom Riders per Bus auf den Weg von Washington D.C. nach New Orleans. Ihr Ziel war es, die Entscheidung des Supreme Courts über das Verbot der Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln durchzusetzen. Die Freedom Riders hatten sich dem gewaltfreien Widerstand verpflichtet. Heute werden sie als mutige Visionäre gefeiert.

Ganz anders der Tenor in der Berichterstattung in den 1960er Jahren: Zwar kommentierten Presseberichte die Abschaffung der Rassentrennung überwiegend positiv, die Freedom Riders aber stellten sie als „Outside Agitators“ dar, die Unruhe, Gewalt und Chaos verursachen wollten. Die Protestmethode wurde als zu radikal, gefährlich oder auch als dumm und naiv bezeichnet. Die Berichterstattung und die damit verbundene Delegitimierung dieser Protestform zeigte Wirkung: Während 66 Prozent der befragten US-Amerikanerinnen und -Amerikaner laut einer Gallup-Umfrage aus dem Jahr 1961 die Entscheidung des Supreme Courts befürworteten, dass Segregierung in öffentlichen Verkehrsmitteln verboten sein sollte, unterstützten lediglich 24 Prozent die Freedom Riders, die sich für eine Durchsetzung genau dieser Entscheidung einsetzten.

Bild von Dr. Viola Huang, Universität Passau

Dr. Viola Huang, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Didaktik der Geschichte der Universität Passau

Die Behauptung, wonach die Freedom Riders aus dem Norden seien und im Grunde nichts mit der Situation im Süden zu tun hätten, war nicht haltbar. So zeigt der Historiker Raymond Arsenault in seiner umfassenden Geschichte über die Freedom Riders, dass etwa 40 Prozent der Aktivistinnen und Aktivisten aus der schwarzen Bevölkerung der Südstaaten kamen und somit alles andere als „Outsiders“ waren.

Einer, der ebenfalls aus den Südstaaten stammt, ist der schwarze Bürgerrechtler Reverend Dr. Martin Luther King Jr. Aus heutiger Sicht mutet es geradezu absurd an, dass er sich ebenfalls als „Outside Agitator“ bezeichnen lassen musste.

Wie Martin Luther King verunglimpft wurde

1965 hatten sich in Selma, Alabama Tausende Schwarze versammelt, um zu einem der berühmten Selma-nach-Montgomery-Märschen aufzubrechen. Es war einer der Kulminationspunkte der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Anlass des ersten Marsches war der Tod von Jimmy Lee Jackson, der bei einer Bürgerrechtsdemonstration von Sicherheitskräften erschossen worden war. Doch der Sheriff von Dallas County in Alabama setzte andere Beweggründe in die Welt: Er behauptete, der Protest ginge auf „Outside Agitators“ wie Martin Luther King zurück. Die schwarze Bevölkerung seiner Stadt würde sich nicht an diesen Protesten beteiligen, sie sei mit ihrer Situation zufrieden. Stattdessen würde sie von King dazu genötigt, an den Protesten teilzunehmen; es sei Kings Taktik, Unruhe und Chaos in die Bevölkerung zu bringen.

Damals wie heute dient das Narrativ der „Outside Agitators“ nicht nur dem Ziel, dem Protest die Legitimation abzusprechen. Es soll auch Zweifel säen, ob es überhaupt einen Grund dafür gibt, auf die Straße zu gehen. Letztendlich schreiben Trump und die lokalen Verantwortlichen jene zynische Argumentation fort, die bereits Befürworter der Rassentrennung zu Zeiten der Jim-Crow-Gesetze vortrugen: Demnach seien Schwarze als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse glücklich und hätten somit keinen Grund zu protestieren.

Früher Kommunismus, heute Antifa

Damit eng verbunden ist die Strategie, die „Outside Agitators“ nicht nur als Außenseiterinnen und Außenseiter an den Rand zu drängen, sondern sie als radikale Linke zu diffamieren. Auch das ist nicht neu, lediglich die Begrifflichkeiten ändern sich: So wurden in den 1960ern weiße wie afroamerikanische Vertreterinnen und Vertreter der US-Bürgerrechtsbewegung als Kommunistinnen und Kommunisten verunglimpft. Der bereits erwähnte Sheriff behauptete weiter, ein Viertel der Demonstrantinnen und Demonstranten seien Kommunisten, die Hälfte davon zumindest pro-kommunistisch:

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Eine White Supremacy Organisation verbreitete im Süden der USA mehr als 200 Plakate, die Dr. Martin Luther King Jr. mit dem Kommunismus in Verbindung brachten.

Heute sind es Begriffe wie „Linksradikale“, „Anarchisten“ und „Antifa-Terroristen“, die ins Feld geführt werden, um die Bewegung zu spalten und in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Plakate braucht es heute nicht mehr, es reichen Tweets und andere Posts auf sozialen Netzwerken, die zum Teil in verschiedenen Medienberichten unkritisch aufgegriffen werden.

In den Augen der breiten Öffentlichkeit soll der Protest delegitimiert werden, während andererseits rechte und rechtsradikale Kräfte gegen die Demonstrationen mobilisiert werden. 

Dr. Viola Huang, Universität Passau

Heute wie damals haben diese Unterstellungen dieselbe Funktion: In den Augen der breiten Öffentlichkeit soll der Protest delegitimiert werden, während andererseits rechte und rechtsradikale Kräfte gegen die Demonstrationen mobilisiert werden. Darüber hinaus geht es darum, die soziale Bewegung selbst zu spalten, indem Zweifel über die Motive der verschiedenen beteiligten Akteure gesät wird: Schwarzen soll eingeredet werden, dass ihr Anliegen von weißen Radikalen übernommen worden ist und der Protest damit nicht mehr der ihre ist. Und die gemäßigte weiße Bevölkerung soll zugleich von der Beteiligung an den Demonstrationen abgeschreckt werden.

Behauptungen ohne jegliche Grundlage

Dabei stehen Fakten diesen Behauptungen entgegen. So ergaben Recherchen von Journalistinnen und Journalisten vor Ort, etwa die des lokalen NBC-Partners KARE 11, dass die überwiegende Mehrheit der in Minneapolis und St. Paul festgenommenen Demonstrantinnen und Demonstranten ihren Wohnsitz im Staate Minnesota haben, und nur einige wenige aus Nachbarstaaten wie Wisconsin stammen. Auch ein interner Report des F.B.I.s fand keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antifa wesentlich in die Proteste in Washington, D.C. involviert war. Zweifellos sind derzeit auch weiße (wie nicht-weiße) linke und radikale Aktivistinnen und Aktivisten in die Proteste involviert. Die Behauptung aber, wonach diese oder angebliche Außenseiterinnen und Außenseiter die treibende Kraft hinter den Protesten seien, entbehrt jedoch jeglicher empirischer Grundlage.

Trotzdem finden sich in vielen Medienberichten Formulierungen wie diese: „Derweil wird in den USA weiter diskutiert, warum die Proteste so eskaliert sind – und wer möglicherweise dahintersteckt. Trump machte die Antifa und radikale Linke verantwortlich.“ Diese Art der Berichterstattung verbreitet kritiklos Spekulation darüber, dass jemand hinter den Protesten stecken muss – ganz so, als sei es unvorstellbar, dass die erneute Tötung eines Afroamerikaners durch Polizisten Grund genug für die Proteste sei. Darüber hinaus werden Trumps haltlose Einlassungen unkritisch weitergetragen.

Was bei der Berichterstattung helfen kann

Medien, die so berichten, sind nicht neutral, sondern helfen dabei, gezielte Desinformation zu verbreiten und Zweifel am legitimen Anliegen der Proteste zu streuen. Journalistinnen und Journalisten stehen heute mehr denn je unter Druck – aufgrund der Hektik des Tagesgeschäfts, der Schnelllebigkeit der Nachrichten. Doch bei allem Verständnis für den Zeitdruck wäre es gerade bei diesem Thema so wichtig, diese vermeintlich neutralen, unverfänglichen Absätze nochmals kritisch gegenzulesen und einen einordnenden Satz anzufügen. Ein erster Schritt kann sein, sich bisweilen mit Menschen abseits der weißen Dominanzkultur auszutauschen, um die Wirkmacht solcher Narrative zu erkennen.

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