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"Meine Forschung vereint die Lieben meines akademischen Lebens"

Von Serbien nach Passau, von wissenschaftlicher Mitarbeiterin zur Juniorprofessorin in Vertretung: Jelena Mitrović kombiniert in ihrer Forschung die uralte Kunst der Rhetorik mit Künstlicher Intelligenz. Interview: Kathrin Haimerl

Im Wintersemester 2020/2021 ist Jelena Mitrović Juniorprofessorin für Computational Rhetoric und Natural Language Processing (NLP) an der Universität Passau. Sie hat einen Master-Abschluss in Informationswissenschaft mit den Schwerpunkten Informationsrückgewinnung und NLP, sowie einen Master-Abschluss in Neugriechisch mit Nebenfächern Altgriechisch und Englisch. Sie promovierte an der Universität Belgrad in Serbien. 2016 begann sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Informatik und Mathematik an der Universität Passau. Seit den Anfängen ihrer Studienzeit interessiert sich Prof. Dr. Mitrović für Rechenverfahren in Bezug auf die Analyse nicht wörtlich zu nehmender, bildlicher Sprache - ein Interesse, das aus ihrem Studium in Griechisch und Altgriechisch herrührt. Sie hat eine Ontologie rhetorischer Figuren entwickelt, die erste ihrer Art, die eine formale Beschreibung von 98 rhetorischen Figuren aus syntaktischer und semantischer Perspektive erlaubt. Unter anderem hat Prof. Dr. Mitrović ein System entwickelt, mit dem ironische Äußerungen in Twitter auf der Basis neuer semantischer Beziehungen erkannt werden können.

War es ein Lebensziel von Ihnen, Professorin zu werden?

Absolut! An der Universität Passau hat sich für mich alles ganz gut entwickelt: Während man mich zur Juniorprofessorin in Vertretung ernannt hat, ist es mir auch gelungen, Fördermittel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) einzuwerben für ein Projekt, an dem ich in den kommenden vier Jahren arbeiten werde. Das Vorhaben heißt "CAROLL – Computergestützte Rhetorik in Social Media und Recht" und sieht vor, dass ich meine eigene Forschungsgruppe leite. Meine Forschung vereint die Lieben meines akademischen Lebens: Linguistik und Informatik. In CAROLL werden mein Team und ich Deep-Learning-Techniken in einen breiten, formalen Semantik-Ansatz integrieren und um Einsichten aus der uralten Kunst der Rhetorik erweitern. Wir streben ein tiefes Verständnis rhetorischer Argumente an, implementiert in verschiedenen Anwendungsfällen wie beispielsweise den Sozialen Medien und der Analyse juristischer Texte.

Heute ergibt das alles einen Sinn, da Informatik, Linguistik und Recht stark miteinander vernetzt sind. In ihnen allen geht es um Logik.

Jelena Mitrović, Juniorprofessorin in Vertretung für Computational Rhetoric und Natural Language Processing 

KI-Nachwuchsforschungsgruppe CAROLL: Rhetorik-geschulte Algorithmen gegen Hass im Netz

KI-Nachwuchsforschungsgruppe CAROLL: Rhetorik-geschulte Algorithmen gegen Hass im Netz

Algorithmen, wie sie Aristoteles gefallen hätten: Ein Team der Universität Passau trainiert Künstliche Intelligenz mit Erkenntnissen aus der Jahrtausende alten Kunst der Rhetorik. Dieses KI-System könnte sowohl versteckte beleidigende Sprache im Netz erkennen, als auch das juristisch bessere Argument.

Sind Sie die erste Professorin in Ihrer Familie?

Ja, ich bin die erste. Ich erfuhr zwar Inspiration durch viele starke Frauen in meiner Familie, aber auch durch meinen Großvater väterlicherseits. Er war ein beeindruckender Mensch, der selbst einen schwierigen Hintergrund hatte, aber er brachte es bis zum Strafrichter. Er wurde 1910 geboren. Strafrichter zu sein im 20. Jahrhundert, in einem Land mit einer solch ereignisreichen Geschichte wie Serbien, war definitiv eine große Sache. Angesichts seiner Laufbahn hoffte die Familie, dass ich Jura studieren würde. Wie auch immer, das Thema Recht hat mich – bis jetzt jedenfalls – nie interessiert. Aber heute ergibt das alles einen Sinn, da Informatik, Linguistik und Recht stark miteinander vernetzt sind. In ihnen allen geht es um Logik, und wir werden diese Vernetzungen in CAROLL untersuchen.

Wo kommen Sie ursprünglich her, und wie sieht Ihr akademischer Werdegang aus?

Ursprünglich stamme ich aus Užice, einer serbischen Kleinstadt. Linguistik war meine erste Liebe, also studierte ich Neugriechisch in Belgrad. Nachdem ich mein erstes Kind zur Welt gebracht hatte, (mittlerweile ein Schüler der 8. Klasse am nahe gelegenen ASG Gymnasium), beschloss ich, Informatik zu studieren. Mein Mann ist auch Informatiker. Er war es, der mich zu diesem Entschluss inspirierte. Außerdem gefielen mir Mathematik und Informatik schon in der Grundschule. Allgemein habe ich den Eindruck, dass Mädchen in Serbien eher dazu ermutigt werden, Mathematik zu wählen und in die MINT-Fächer zu gehen, als es in Deutschland der Fall ist. Nach Abschluss meines Informatikstudiums begann ich, mich auf Natural Language Processing zu konzentrieren. Es handelt sich hier um ein Teilgebiet der Informatik, das fest in der Linguistik verankert ist und einer der Bausteine der KI ist. Dies schien wie eine natürliche Erweiterung dessen, was ich davor gemacht hatte. Ich schrieb meine Diplomarbeit in NLP für die serbische Sprache. Im Gegensatz zu Englisch oder Deutsch ist Serbisch eine ressourcenarme Sprache, was bedeutet, dass es sehr schwierig ist, Algorithmen des maschinellen Lernens zu trainieren, weil nicht allzu viele Werkzeuge und Ressourcen öffentlich verfügbar sind. Meine Arbeit zielte darauf, diese Probleme zu überwinden.

Jelena Mitrović is interim Junior Professor of Computational Rhetoric at the University of Passau.

"Ich verliebte mich mehr oder weniger sofort in die malerische Stadt Passau" - Junior Professorin in Vertretung Jelena Mitrović.

Warum haben Sie sich entschieden, nach Passau zu kommen?

Deutschland bot sich an, da es hier mehr Forschungs- und Berufschancen gibt und wir unsere Familien mit dem Auto leicht besuchen können. Ich erfuhr, dass Prof. Dr. Siegfried Handschuh, früherer Inhaber des Lehrstuhls für Informatik mit Schwerpunkt Digital Libraries and Web Information Systems an der Universität Passau, auf der Suche nach Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Schwerpunkt NLP war. Also kontaktierte ich ihn auf LinkedIn, wir vereinbarten einen Skype-Anruf am nächsten Tag, und nach einem Vorstellungsgespräch bot er mir die Stelle an! Für mich war es wie im Märchen, meine Familie konnte es kaum glauben, aber mein wissenschaftliches Profil war einfach genau das, was in dem Moment gebraucht wurde, also funktionierte es eben für alle gut. Als wir 2016 ankamen, verliebte ich mich mehr oder weniger sofort in die malerische Stadt Passau. Die erste Zeit nach unserer Ankunft war allerdings etwas anstrengend, zumal meine Tochter erst zwei Jahre alt war und ich ohne Deutschkenntnisse mit der Arbeit als Vollzeit-Forscherin loslegte. Doch Bayern und Passau erwiesen sich als die perfekte Wahl für uns, da Passau eine sehr familienfreundliche Umgebung bietet.

Es muss doch schwer sein, Forschung in einer Fremdsprache zu betreiben, oder?

Die Tatsachen, dass Englisch die Hauptsprache der Informatik ist, und dass wir unsere Forschungsarbeiten fast ausschließlich in Englisch verfassen, helfen ganz gewiss. In meinem neuen Projekt CAROLL jedoch verwenden wir deutsche Texte für unsere Analyse, wie zum Beispiel das Staatsexamen am Ende des Jurastudiums. Das stellt für eine Nicht-Muttersprachlerin zwar eine Herausforderung dar, aber ich freue mich darauf, tiefer in diese Texte einzusteigen und zu verstehen. Als wir in Passau ankamen, war es für meine Familie und mich kein allzu großes Problem, dass mein Deutsch nicht so perfekt war. Auch wenn es sich nur um eine kleine Stadt in Bayern handelt, ist Passau an Tourismus aus aller Welt gewöhnt. Es gibt viele Leute, insbesondere in der Altstadt, die etwas Englisch können. 

Wie empfinden Sie die Atmosphäre an der Universität Passau?

Mir gefällt die Art, wie die Leute hier arbeiten: von Anfang an war alles nett und kollegial. Ich weiß es auch sehr zu schätzen, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit eine Selbstverständlichkeit an der Universität Passau ist, die auch davon profitiert, dass ihr Campus so klein ist. An anderen Universitäten gibt es diese physische Nähe nicht. 

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