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Auf die Bürger kommt es an

Was macht die AfD so stark? Es ist eine Gemengelage aus globalen, nationalen und spezifisch ostdeutschen Gründen, die das Aufkommen und den Aufstieg der Partei befördert hat. Ob dieser Erfolg von Dauer ist, hängt an einem entscheidenden Faktor.
Von Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig

Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig ist Inhaberin der Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau. Sie ist außerdem Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und erforscht neben antiker Philosophie unter anderem auch die totalitären Diktaturen im Europa des 20. Jahrhunderts. Aktuell beschäftigt sie sich im Rahmen eines BMBF-Forschungsprojekts mit den Ideenwelten von politisch Verfolgten und Verfolgern in der DDR. Für das Digitale Forschungsmagazin der Universität Passau hat sie einige Gedanken zu den letzten Wahlergebnissen der AfD aufgeschrieben.

Die Gründe für die letzten Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) sind zweifellos vielfältig. Dass sie nicht ausschließlich nationalen Ursprungs sind, zeigt sich daran, dass man seit Jahren in den meisten europäischen Staaten ein Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien beobachten kann. Der Niedergang der Sozialdemokratie und der Aufstieg des Rechtspopulismus in vielen europäischen Ländern bezeugt, dass den Bürgerinnen und Bürgern offenbar andere Themen als bisher auf den Nägeln brennen.

Geballte Entgrenzungsprozesse, die Ängste auslösen

Wenn man als das große Thema der Linken die soziale Gerechtigkeit ausmacht (was immer sie darunter versteht), dann ist das große Thema der Rechten die kulturelle Identität (was immer sie damit meint). Diese Identität ist verstärkt in den Fokus gerückt, seit die Globalisierung nationale Grenzen immer unbedeutender werden lässt, die Migration die Bürger mit fremden Kulturen konfrontiert und das Internet alle Raum-Zeit-Schranken aufhebt. Derartige Entgrenzungsprozesse, noch dazu, wenn sie so geballt auftreten, lösen Ängste aus und erzeugen das Bedürfnis, sich des Eigenen wieder stärker zu versichern und sich darauf zurückzuziehen – als ließe sich damit der Lauf der Dinge aufhalten.

Spezifisch deutscher Grund: konservatives Vakuum

Professorin Barbara Zehnpfennig

Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig, Inhaberin der Professur für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau.

 

Ein spezifisch deutscher Grund, weshalb die AfD in der letzten Zeit solche Triumphe feiert, mag das Vakuum sein, das die Christdemokratie im Hinblick auf ihre konservative Klientel geschaffen hat. Der Kurs der CDU unterschied sich nicht fundamental von dem, den Rot-Grün präferierte, ja, es war eine bewusste Strategie, durch eine „asymmetrische Demobilisierung“  Stimmen von Rot-Grün zu erobern und jene Wählerinnen und Wähler der CDU, die etwa mit dem Atomausstieg oder der Flüchtlingspolitik nicht einverstanden waren, mangels Alternative zur Wahlenthaltung zu bringen.

Volkspädagogik anstelle von neutraler Berichterstattung

Das Potential des Unmuts vergrößerte sich durch eine mediale Berichterstattung, die mehrheitlich ebenfalls die genannte Linie vertrat und sich volkspädagogisch über ihre Rezipienten erhob, indem sie nicht nur die Nachrichten lieferte, sondern auch die Anweisung, wie diese korrekt zu bewerten wären. Dazu gehörte – was dann in den allgemeinen Sprachgebrauch überging –, dass man den Kampf „gegen Rechts“ aufnehmen müsse, so als wären konservative Positionen ebenso illegitim wie rechtsradikale oder rechtsextremistische. Ein vergleichbarer Aufruf zu einem Kampf „gegen Links“ ist kaum denkbar, was die Einseitigkeit der Perspektive verdeutlicht.

Tabu der NS-Vergangenheit lustvoll zerstört

Die geschilderte Gemengelage hat dem Aufkommen einer Partei, die sich selbst als Alternative zu den als Einheitsblock wahrgenommenen „Altparteien“ bezeichnet, zweifellos sehr genützt, wenn es auch noch andere Gründe für ihr Erstarken geben mag. Auf jeden Fall ist es der AfD gelungen, sich zur Stimme all derer, die sich durch die anderen Parteien nicht repräsentiert sehen, zu stilisieren. Und sie hat das Tabu, das aufgrund der deutschen Vergangenheit bisher über dem Bekenntnis zur Nation lag, lustvoll zerstört, indem sie nicht nur legitime patriotische Gefühle mobilisierte, sondern auch nationalistische und rassistische Töne anschlug. Virtuos bediente sie sich dabei des Internets, jenes Mediums, in dem man ganz hemmungslos seine niedersten Instinkte zur Geltung bringen kann. Indem sie den Hass vom Internet auf die politische Bühne übertrug, hat sie zu einer Verrohung in der politischen Auseinandersetzung beigetragen, die mittlerweile die Meinungsfreiheit bedroht.

Nachwirkung radikaler Dichotomien aus der DDR

Mit ihren Strategien hat die AfD in den westlichen Bundesländern zunehmend Erfolg, besonders aber in den ostdeutschen. Was könnte dafür ausschlaggebend sein? Wer als Bürger der DDR sozialisiert wurde, hat gelernt, in radikalen Dichotomien zu denken. Es gibt nur Gut (der Kommunismus) und Böse (der Kapitalismus), dazwischen gibt es nichts. Das pluralistische Offenhalten der Wahrheitsfrage, der deliberative Umgang mit politischen Themen, die Toleranz gegenüber anderen Positionen konnten in der DDR nicht eingeübt werden. Solche mentalen Prägungen sitzen tief. Das für viele DDR-Bürger typische gespaltene Bewusstsein, sich einerseits vom ideologisch motivierten Schwarz-Weiß-Denken infizieren zu lassen, andererseits den offiziellen Verlautbarungen keinesfalls zu glauben, wirkt ebenfalls fort. Ein tiefes Misstrauen gegenüber allen Formen etablierter Macht und auch gegenüber den Publikationsorganen (Lügenpresse!) hat den Untergang der DDR überlebt.

Hinzu kommt, dass es eine Partei gab, die Linke, die den alten Gegensatz zwischen Ost und West auch nach der Wiedervereinigung ständig wachzuhalten versuchte, die den durch manche westliche Überheblichkeit, aber auch durch die wirtschaftliche Unterlegenheit gekränkten ostdeutschen Stolz dadurch aufpäppelte, dass sie ein „ostdeutsches“ Sonderbewusstsein proklamierte.

Die starke politische Polarisierung, die Kompromisslosigkeit in der Auseinandersetzung, die Totalopposition gegen die „Mächtigen“ – diese Muster bedient die AfD besser als die anderen und gibt zugleich vor, den Vernachlässigten und Entrechteten eine Stimme zu geben.

Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig, Universität Passau

An all diese Strukturen konnte die AfD anknüpfen. Sie geriert sich als die neue „ostdeutsche“ Partei, nachdem die Partei der Linken ins Abseits geraten ist. Dass die Linke – neben der AfD – in Thüringen so stark werden konnte, ist gegen den Trend und wohl durch das pragmatische, landesväterliche Agieren ihres Spitzenkandidaten Bodo Ramelow zu erklären. Die starke politische Polarisierung, die Kompromisslosigkeit in der Auseinandersetzung, die Totalopposition gegen die „Mächtigen“ – diese Muster bedient die AfD besser als die anderen und gibt zugleich vor, den Vernachlässigten und Entrechteten eine Stimme zu geben.

Entscheidender Faktor in der Demokratie

Ob sie damit auf Dauer Erfolg haben wird? Das hängt davon ab, ob die anderen Parteien wieder den Weg zum Bürger finden, den sie tatsächlich etwas aus dem Auge verloren haben. Und es hängt von den Bürgern selbst ab. Denn sie sind in der Demokratie der entscheidende Faktor. Wie sie die Demokratie leben – pluralistisch oder polarisiert, tolerant oder dogmatisch – bestimmt, welche Zukunft Parteien beschieden ist, die politische Gegnerschaft zu existentieller Feindschaft verkommen lassen.

BMBF-Teilprojekt "Diktatur und Gewissen" erforscht Verfolgung in der DDR

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Das BMBF-geförderte Forschungsprojekt "Landschaften der Verfolgung" erarbeitet eine Datenbank nach dem Muster der Holocaust-Opfer-Datenbank der Gedenkstätte Yad Vashem. Damit können erstmals exakte Aussagen zur Gesamtzahl der politischen Häftlinge und der aus politischen Gründen Getöteten, Deportierten und Verletzten in SBZ und DDR getroffen werden.

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