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Netzwerker und Pionier der Netzwerkforschung

Stefan Glock, Juniorprofessor für Diskrete Mathematik, ehrt mit einer neuen Vortragsreihe den tschechischen Mathematiker Svatopluk Poljak. Wer er war und warum sein Vermächtnis weiterwirkt.

Prof. Dr. Jan Schumann, Vizepräsident für Forschung an der Universität Passau, begrüßt die Gäste im Hörsaal 9 Audimax zum Auftakt der neuen Vortragsreihe.

Wenn Mathematik es schafft, durch Klarheit und Tiefgang zu faszinieren, dann ist das oft das Verdienst einzelner Persönlichkeiten, die einen ungewöhnlichen Blick auf komplexe Probleme haben. Der tschechische Mathematiker Svatopluk Poljak war eine solche Persönlichkeit.

Ein Forschungsgebiet, das er maßgeblich prägte, ist das sogenannte Max-Cut-Problem. Dabei geht es darum, einen Graphen – also eine Menge von Knoten und Verbindungslinien – so in zwei Gruppen zu unterteilen, dass möglichst viele der Kanten zwischen den Gruppen verlaufen. Dieses vermeintlich einfache Problem hat es in sich: Es ist ein klassisches Beispiel für ein sogenanntes NP-vollständiges Problem, für das keine effizienten Algorithmen zur exakten Lösung bekannt sind. Vermutlich gibt es diese auch gar nicht, dies ist eines der größten ungelösten Probleme der Mathematik und Informatik. Die Bedeutung des Max-Cut-Problems geht jedoch über die reine Theorie hinaus: In Netzwerktechnik, Statistik, in Bereichen der künstlichen Intelligenz oder auch in der physikalischen Modellierung komplexer Systeme spielt es eine zentrale Rolle. Umso wichtiger ist es, effiziente Näherungsverfahren zu entwickeln.

Brückenbauer zwischen Disziplinen

Prof. Dr. Stefan Glock bei der Begrüßung der Teilnehmenden der ersten "Poljak lecture".

Initiator der neuen Vortragsreihe: Prof. Dr. Stefan Glock.

Poljak wählte eine neue Herangehensweise an das Problem: Er kombinierte diskrete Strukturen mit Methoden der kontinuierlichen Optimierung. Mit diesem interdisziplinären Ansatz gelang es ihm, neue Schranken und Näherungsverfahren für Max-Cut-Probleme zu entwickeln. Seine Arbeit schlug eine Brücke zwischen kombinatorischer Mathematik und konvexer Optimierung – ein Weg, der heute selbstverständlich erscheint, damals jedoch visionär war.

Dieser Pioniergeist war es, der Prof. Dr. Stefan Glock, Juniorprofessor für Diskrete Mathematik an der Universität Passau, inspirierte, eine neue Vortragsreihe nach Poljak zu benennen – die „Poljak lecture“. Sie steht unter dem Motto „illustrare – promovere – inspirare“. Das Ziel der Vorträge ist es, die Schönheit der mathematischen Forschung und ihre Bedeutung für unsere Gesellschaft zu veranschaulichen, die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern und die nächste Generation von Forschenden zu inspirieren. Glock war bei Recherchen in seinem Forschungsgebiet auf Poljaks Werk gestoßen, der in seiner kurzen Zeit als Professor für Mathematik an der Universität Passau wichtige Publikationen initiierte, die teilweise erst nach seinem Tod erschienen. Poljak kam 1995 im Alter von nur 43 Jahren bei einem tragischen Autounfall ums Leben.

Witwe und Weggefährten erinnern an Poljak

Anlässlich des 30. Todestags startete Prof. Dr. Glock die erste Ausgabe der Poljak Lecture an der Universität Passau. Nach der Begrüßung der Gäste durch Prof. Dr. Jan Schumann, Vizepräsident für Forschung an der Universität Passau, und Prof. Dr. Fabian Wirth, Prodekan der Fakultät für Informatik und Mathematik, setzte Jana Poljaková einen emotionalen Akzent. Die Witwe des Mathematikers zeigte Bilder aus dem Leben des Forschers, berichtete unter anderem von seiner Kindheit und davon, wie die Eltern – selbst ohne mathematische Bildung – über die Begabung ihres Sohnes staunten. 

Jana Poljaková, die Witwe des Mathematikers, zeigte Bilder aus dem Leben des Forschers.

Jana Poljaková machte in ihrem Vortrag den Mathematiker als Menschen greifbar.

Sie sprach über seine Aufbruchstimmung nach dem Zerfall des Ostblocks. Er habe den Kopf voller Pläne gehabt und die Prager Intellektuellenszene in ihre Wohnung eingeladen. Doch nicht alle hätten seinen Enthusiasmus geteilt. So konzentrierte er sich auf die Mathematik und unternahm mit der Familie viele Reisen, unter anderem nach Bonn, wo er als Stipendiat der renommierten Alexander von Humboldt-Stiftung gefördert wurde. Poljaková zitierte ihren Mann mit den Worten: „Ich mache Mathematik, um zu reisen und großartige Menschen zu treffen.“ In ihrem Vortrag wurde der Mathematiker als Mensch greifbar - voller Energie, Weltoffenheit und Ideen.

1994, ein Jahr vor seinem tragischen Unfalltod, nahm er den Ruf an die Universität Passau an - auch dies eine Pionierleistung angesichts der kurzen Zeitspanne nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Prof. Dr. Franz Brandenburg, der damals Mitglied der Berufungskommission war, schilderte, dass es durchaus politischen Gegenwind gab, einen Beamten aus den früheren Ostblockstaaten zu berufen.

Zu Poljaks Weggefährten, die ebenfalls vor Ort im Hörsaal 9 im Audimax zu Gast bei der Auftaktveranstaltung waren, zählte der Mathematiker Dr. Daniel Turzík von der Universität für Chemie und Technologie in Prag. Dieser war nicht nur beruflich ein Kollege. Er habe bei dem Autounfall vor 30 Jahren auch seinen besten Freund verloren. Ein weiterer Weggefährte war Prof. Dr. Franz Rendl aus Graz. Er berichtete von seinen ersten Begegnungen mit Poljak im Rahmen ihrer gemeinsamen Forschung am Max-Cut-Problem: Er habe wenig darüber gewusst. In Erinnerung aber sei ihm geblieben, wie geduldig Poljak ihm die Details der Vermutung erklärt habe. Seine Begeisterung für das Thema sei ansteckend gewesen. Per Videobotschaft würdigten mit Prof. Dr. Michel X. Goemans vom Massachusetts Institute of Technology und Prof. Dr. Ryan O’Donnell von der Carnegie Mellon University führende Wissenschaftler aus den USA sowie Prof. Dr. Monique Laurent vom Centrum Wiskunde & Informatica Amsterdam und der Universität Tilburg Poljaks Verdienste in dem Forschungsgebiet.

Wissenschaft im Geiste Poljaks

Prof. Dr. Jaroslav Nešetřil von der Karls-Universität Prag war ebenfalls ein Weggefährte von Svatopluk Poljak.

Den wissenschaftlichen Höhepunkt der Veranstaltung bildete der Gastvortrag von Prof. Dr. Jaroslav Nešetřil von der Karls-Universität Prag, der ebenfalls mehrere Artikel gemeinsam mit Poljak verfasst hatte und seit 50 Jahren zu den führenden Forschern der Diskreten Mathematik weltweit zählt. In seinem Vortrag „Subgraphs, orderings and homomorphisms“ führte er das Publikum in aktuelle Fragestellungen der strukturellen Graphentheorie und Komplexitätstheorie ein. Dabei ging es um die Frage, wie schwierig es aus algorithmischer Sicht ist, bestimmte Teilstrukturen in komplexen Netzwerken zu erkennen. Dieses Thema knüpfte direkt an Poljaks Forschungsinteresse an: die innere Ordnung von Netzwerken und die Möglichkeit, diese mathematisch zu beschreiben. Unter anderem berichtete Nešetřil über eines seiner neuen Resultate, welches ein jahrzehntelang offenes Problem löst, nämlich dass das Erkennungsproblem bestimmter geordneter Graphen, wie auch das Max-Cut-Problem, NP-vollständig ist.

Die Poljak Lecture trägt zur Sichtbarkeit des Bereichs Diskrete Mathematik an der Fakultät für Informatik und Mathematik der Universität Passau bei, der mit der Berufung von Prof. Dr. Glock auf die mit Mitteln aus der Hightech Agenda Bayern geschaffene Juniorprofessur an Profil gewonnen hat. Prof. Dr. Glock leitet eine Emmy-Noether-Nachwuchsforschungsgruppe zum Thema Struktur und Zufall in der Mathematik. Damit fördert die DFG herausragende Forscherinnen und Forscher in einer frühen Karrierephase. Die Poljak Lecture soll künftig jährlich stattfinden – als Bühne für exzellente Forschung und als lebendige Erinnerung an einen Mann, der die Mathematik mit Leidenschaft und Weitblick geprägt hat.

DFG Emmy Noether-Nachwuchsforschungsgruppe zu Struktur und Zufall in der Mathematik

DFG Emmy Noether-Nachwuchsforschungsgruppe zu Struktur und Zufall in der Mathematik

Eine Emmy Noether-Nachwuchsforschungsgruppe der DFG um den Mathematiker Prof. Dr. Stefan Glock von der Universität Passau erforscht die mathematischen Grundlagen solcher Strukturen, auf denen beispielsweise die digitale Welt aufbaut: Netzwerkstrukturen, die ins Unendliche gehen.

Bluesky

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