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Glaubwürdigkeitsrevolution der empirischen Ökonomie

Prof. Dr. Stefan Bauernschuster hat die diesjährigen Nobelpreisträger Joshua Angrist, David Card und Guido Imbens als Doktorand kennengelernt und ist seither begeistert von deren Forschungsmethoden. Warum, das erklärt er im Podcast-Gespräch mit Student Edwin Mejía.

Edwin Mejía (im Bild rechts) studiert „International Economics and Business“ an der Universität Passau – unter anderem bei Stefan Bauernschuster, der den Lehrstuhl für Public Economics innehat. Für den „How-to-Wiwi“-Podcast der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät hat er den Professor befragt, was Nachwuchsökonominnen und -ökonomen von den Trägern des diesjährigen Wirtschaftsnobelpreises lernen können. Wir dokumentieren Auszüge aus dem Interview.

Edwin Mejía: Wo waren Sie und wie war das, als Sie vom Nobelpreis für Angrist, Card und Imbens erfahren haben?

Stefan Bauernschuster: Ich habe die Verkündung live an meinem Schreibtisch verfolgt und mich unglaublich gefreut - und gleichzeitig auch etwas Genugtuung empfunden. Von Beginn meines Doktorandenstudiums an habe ich mich voll auf die empirischen Methoden konzentriert, die im Zentrum der Arbeit der diesjährigen Nobelpreisträger stehen. Mich hat die Klarheit dieser Methoden fasziniert und ich war überzeugt von deren Relevanz. Weil diese Methoden aber zumindest auf den ersten Blick recht einfach erscheinen, haben das manche anfangs belächelt; sie dachten, je komplizierter und vielschichtiger ein ökonometrisches Modell aussieht, desto besser muss es sein. Mit der Zeit hat sich diese Ansicht aber gewaltig verändert. Und dass die Pioniere dieser vermeintlich einfachen Methoden jetzt mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden, ist einfach großartig.

Die "Bibel" des empirisch arbeitenden Ökonoms Prof. Dr. Stefan Bauernschuster, mit einer Widmung vom Nobelpreisträger: "May all your metrics be harmless" - "mögen all Deine Berechnungen unbedenklich sein", hat Josh Angrist auf die erste Seite notiert. Foto: Valentin Brandes

Die "Bibel" des empirisch arbeitenden Ökonoms Prof. Dr. Stefan Bauernschuster, mit einer Widmung vom Nobelpreisträger: "May all your metrics be harmless" - "mögen all Deine Berechnungen unbedenklich sein", hat Josh Angrist auf die erste Seite notiert. Foto: Universität Passau

Sind Sie einem der Nobelpreisträger schon persönlich begegnet? Wo?

Ja, ich habe alle drei auf verschiedenen wissenschaftlichen Konferenzen gesehen. Bei Josh Angrist habe ich 2009 sogar einen einwöchigen Doktorandenkurs im portugiesischen Braga besucht. Ich war damals schon großer Fan und habe mir deshalb sein Lehrbuch „Mostly Harmless Econometrics“ - ich nenne es „die Bibel“ - signieren lassen.

Und wie war Josh Angrist so?

Er war persönlich sehr nett zu uns Nachwuchsforschenden, total zugänglich, offen für Fragen, aber auch klar und deutlich, wenn er einen bestimmten Forschungsansatz schlecht fand. Ich kann mich erinnern, dass er uns auch viel von den Bergen erzählt hat und von seiner Passion, dem Mountainbiken. Nach einem super anstrengenden Tag voller Formeln rauchten uns immer die Köpfe. Deshalb haben wir uns abends zum Ausgleich zusammengesessen, um das ein oder andere Bier zu trinken. Das war aber nichts für Josh Angrist; er hat sich nach dem Abendessen lieber wieder an den Schreibtisch gesetzt, um weiter zu arbeiten.

Auf Twitter habe ich gesehen, dass Sie schon vor diesem Jahr exakt auf Angrist, Card und Imbens als Nobelpreisträger gewettet haben. Warum waren Sie sich da so sicher?

Die drei haben in den vergangenen 30 Jahren die komplette empirische Ökonomie, ich würde sogar sagen die empirischen Sozialwissenschaften als Ganzes, revolutioniert. Alle empirisch arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unserem Fach müssen sich heute mit deren Methoden auseinandersetzen – daran kommt man nicht mehr vorbei. Dass die drei einmal den Nobelpreis erhalten, war also nicht wirklich ein Geheimtipp; es war eher eine Frage der Zeit.

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Sprecher und Projektleiter*innen des DFG-Graduiertenkollegs 2720: "Digital Platform Ecosystems (DPE)".

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Prof. Dr. Bauernschuster gehört zu den Projektleiter*innen im neuen DFG-Graduiertenkolleg "Digital Platform Ecosystems" an der Universität Passau, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Führungskräfte von morgen für den nationalen und internationalen akademischen und nicht-akademischen Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Das interdisziplinäre Graduiertenkolleg vereint die Bereiche Wirtschaftsinformatik, Management- und Organisationsforschung, Marketing und Volkswirtschaftslehre und ergänzt diese mit einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive. Bewerben Sie sich bis 28. Februar 2022 um eine Stelle als (Post-)Doktorand*in.  

Was ist das große Thema, mit dem sie sich beschäftigt haben? Und in welchen Bereichen ist dies besonders wichtig?

Sie haben empirische Methoden entwickelt und angewendet, mit denen man Ursache- Wirkungs-Beziehungen mit Beobachtungsdaten nachweisen kann. Es geht darum, zwischen naiven Korrelationen, Scheinzusammenhängen also, und echten kausalen Zusammenhängen zu unterscheiden. Das ist ein unglaublich wichtiger Beitrag für die Sozialwissenschaften als Ganzes. Denn die Welt ist voller gesellschaftspolitischer Ursache-Wirkungs-Fragen: Welchen Effekt haben kleinere Klassen auf den Lernerfolg von Schülern? Welchen Effekt hat der Mindestlohn auf Löhne und Beschäftigung? Welchen Effekt hat der Ausbau von Kita-Plätzen
auf die Geburtenzahlen und das Wohlergehen von Kindern? Welchen Effekt hat Zuwanderung auf die Beschäftigung und Löhne von Einheimischen? Welchen Effekt hat die Maskenpflicht auf die Ausbreitung der Covid-19 Pandemie? Welchen Effekt hat eine härtere Bestrafung von Straftätern auf die Wahrscheinlichkeit wieder straffällig zu werden? Die Nobelpreisträger haben Methoden entwickelt, mit denen man diese kausalen Fragen sauber beantworten kann.

Haben Sie dafür ein Beispiel einer Arbeit, die Sie besonders beeindruckt hat?

(...)

Was ist nun so besonders an diesen Methoden, dass sie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden?

Die Schwierigkeit in den Sozialwissenschaften ist, dass wir nicht wie Physikerinnen und Physiker Experimente im Labor machen können. Könnten wir das, wäre das super: Teile die Menschen zufällig in Behandlungs- und Kontrollgruppe auf, halte alles konstant, aber gib der Behandlungsgruppe eine bestimmte Politikmaßnahme, der Kontrollgruppe nicht, und vergleiche danach das Ergebnis der Behandlungs- und der Kontrollgruppe, um den Effekt der Politikmaßnahme zu messen. Aber das geht eben leider aus diversen Gründen in den Sozialwissenschaften meist nicht. Wir haben typischerweise eher Unmengen von Daten vor uns liegen, die nicht aus Experimenten stammen, die entstehen aus super komplexen Abhängigkeiten diverser Variablen – und die Frage ist dann: „Wie können wir in diesem Wust klare Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge identifizieren?“ Vor 35 Jahren glaubten die einen, wir Ökonominnen und Ökonomen wären dazu verdammt, wie Astrologinnen und Astrologen Daten grob zu beobachten, aber nie tatsächlich hart zu analysieren, wie etwa eine Politikmaßnahme eine bestimmte Ergebnisvariable ursächlich beeinflusst. Andere dachten, wir müssen nur noch viel komplexere Modelle bauen, dann könnten wir viel erklären. Das war aber ein fataler Trugschluss, wie sich herausstellte. Häufig war es nämlich so, dass minimale Veränderungen in diesen komplexen empirischen Modellen plötzlich ganz andere Ergebnisse lieferten; große positive Effekte wurden plötzlich zu großen negativen Effekten und anders herum. Die empirische Sozialwissenschaft hatte deshalb ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.

Die Idee von Card, Angrist und Imbens war, dass wir zwar zu vielen relevanten Fragen keine Experimente machen können, dass wir aber manchmal Situationen in der Welt vorfinden, die fast aussehen wie ein Experiment, obwohl sie nie als Experiment gedacht waren. 

Prof. Dr. Stefan Bauernschuster, Universität Passau

Und dann kamen Card, Angrist und Imbens?

Genau, sie leiteten die „Glaubwürdigkeitsrevolution“ der empirischen Ökonomie ein. Ihre Idee war, dass wir zwar zu vielen relevanten Fragen keine Experimente machen können, dass wir aber manchmal Situationen in der Welt vorfinden, die fast aussehen wie ein Experiment, obwohl sie nie als Experiment gedacht waren. Und auf diese sogenannten natürlichen Experimente sollten wir uns konzentrieren und sie ganz gezielt mit spezifischen „quasi-experimentellen“ Methoden ausnutzen, um tatsächlich Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge in Beobachtungsdaten nachzuweisen.

Warum „Glaubwürdigkeitsrevolution“ der empirischen Forschung?

Mit Hilfe von sauberen natürlichen Experimenten lassen sich die Effekte, die man untersuchen möchte, oft bereits mit relativ einfachen Grafiken nachweisen und sie erweisen sich dann auch in ökonometrischen Modellen als außergewöhnlich robust. Die Annahmen dahinter sind klar offengelegt und gut verständlich. Diese Transparenz macht diese neue Art der empirischen Forschung zuverlässig und glaubwürdig, was unter anderem zur Folge hatte, dass die Empirie als Ganzes, die objektive, empirische Überprüfung von Theorien und die saubere empirische Evaluation von Politikmaßnahmen, einen unglaublichen Schub erhielt. Heute ist ein Großteil der Arbeiten in der ökonomischen Forschung empirisch – ein bemerkenswerter Unterschied zur eher theorielastigen ökonomischen Forschung von vor 35, 40 Jahren.

Welchen Einfluss haben die Nobelpreisträger auf die junge Generation von Ökonominnen?

(...)

Stichwort politikrelevant: Liefern uns die Ökonominnen und Ökonomen, die mit diesen Methoden arbeiten, auch Erkenntnisse zu derzeit diskutierten Maßnahmen – zum Beispiel zur Frage Mindestlohn ja oder nein?

Wenn Sie vor 30 Jahren eine Ökonomin oder einen Ökonomen gefragt hätten, ob der Mindestlohn zu Arbeitslosigkeit führt, hätten fast alle gesagt: „Ja, klar.“ Die theoretische Begründung: Auf dem Markt spiegeln Löhne die Produktivität von Beschäftigten wider. Hebt der Staat nun durch einen künstlichen Mindestlohn die Löhne der Niedrigverdiener, werden diese den Unternehmen zu teuer und sie werden ausgestellt. Einer der Nobelpreisträger, David Card, hat zusammen mit Alan Krueger 1994 eine Studie veröffentlicht, die quasi über Nacht diese alte theoretische Gewissheit unter Ökonominnen und Ökonomen in Frage stellte. Die beiden verglichen die Arbeitsmärkte von New Jersey und dem angrenzenden Pennsylvania über die Zeit und zeigten mit quasi-experimentellen Methoden, dass die Erhöhung des Mindestlohns in New Jersey nicht zu negativen Beschäftigungseffekten führte. Diese Studie löste eine Lawine an theoretischen Überarbeitungen und weiteren empirischen Studien zu Mindestlöhnen in der ganzen Welt aus - mit der Folge, dass die Einschätzung von Mindestlöhnen heute deutlich differenzierter ist als noch vor 30 Jahren. Friktionen auf Arbeitsmärkten können durchaus dazu führen, dass Löhne unter Produktivität bezahlt werden – in diesem Fall können moderate Mindestlöhne Löhne heben, ohne gleich zu Arbeitslosigkeit zu führen.

Was wissen wir zum Mindestlohn in Deutschland?

(...)

Das vollständige Interview von Student Edwin Mejía mit Professor Bauernschuster ist als Folge im "How to Wiwi - der Podcast der Passauer Wirtschaftsfakultät" erschienen. Hören Sie im ausführlichen Gespräch, wie die Methoden von Angrist, Card und Imbens genau funktionieren und welche Erkenntnisse die empirische Forschung zum Mindestlohn in Deutschland hat. Außerdem verrät Professor Bauernschuster, welche Arbeit ihn besonders beeindruckt hat und welchen Kurs er Studierenden an der Universität Passau empfehlen würde. Zur Folge auf Spotify

Prof. Dr. Stefan Bauernschuster

forscht zu empirischer Evaluation politischer Maßnahmen

Wie beeinflussen politische Maßnahmen Entscheidungen von Individuen und Familien?

Wie beeinflussen politische Maßnahmen Entscheidungen von Individuen und Familien?

Prof. Dr. Stefan Bauernschuster ist seit 2013 Inhaber des Lehrstuhls für Public Economics an der Universität Passau sowie Projektleiter im DFG-Graduiertenkolleg 2720. Er ist Forschungsprofessor am ifo Institut München, Research Fellow des CESifo Netzwerks, Research Fellow des IZA Bonn und Mitglied des Ausschusses für Sozialpolitik beim Verein für Socialpolitik.

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