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Fortschritt auf Schienen – die Eisenbahn als Zukunftsmodell?

Vor dem Hintergrund des Klimawandels erlebt die Eisenbahn gerade ein Revival. Um sie jedoch tatsächlich zu einem Verkehrsmittel der Zukunft zu machen, sind noch einige Schritte nötig, so die beiden Passauer Professoren Dr. Stefan Katzenbeisser und Dr. Urs Kramer. Von Barbara Weinert


Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 5/2021 des Transfermagazins „TRIOLOG. Wissenschaft – Wirtschaft – Gesellschaft in Ostbayern“ mit dem Schwerpunkt "Mobilität". Der Hochschulverbund Transfer und Innovation Ostbayern (TRIO) ist ein Projekt der sechs ostbayerischen Hochschulen, an dem auch die Universität Passau beteiligt ist. Das Projekt wird aus dem Programm "Innovative Hochschule" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert und hat eine Laufzeit von fünf Jahren. TRIO sieht sich als Impulsgeber für Innovationen in Ostbayern. Ziel von TRIO ist es, Wissens- und Technologietransfer auszubauen und aktiv zu gestalten und den Austausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in der Region zu verstärken. 


Herr Professor Katzenbeisser, als Inhaber des Lehrstuhls für Technische Informatik beschäftigen Sie sich mit Sicherheitskonzepten der Deutschen Bahn.  Fahren Sie selber mit einem sicheren Gefühl Zug?

Katzenbeisser Ja, immer. Ich habe mich dabei noch nie unwohl gefühlt. Ich weiß, dass die Eisenbahnen relativ viel unternehmen, um das Bahnfahren sicher zu machen. Wobei man natürlich unterscheiden muss zwischen der Zuverlässigkeit, also der funktionalen Sicherheit, und der IT-Sicherheit. Ich beschäftige mich primär mit der IT-Sicherheit, insbesondere in der Leit- und Sicherungstechnik. Auf diesem Gebiet ist es tatsächlich so, dass man erst jetzt beginnt, sich Gedanken zu machen, wie man diese Systeme gegen Angriffe von außen absichert. Bisher handelte es sich meist um proprietäre, in sich geschlossene Systeme, bei denen vom Stellwerk, über das Kabel, bis hin zur Weichenantrieb und dem Signal alles von einem Hersteller kam. Solche Systeme sind natürlich teuer. Die Bahn will deshalb hin zu modular aufgebauten Systemen, bei denen man Komponenten verschiedener Hersteller kombinieren kann.

Um welcherlei Angriffe kann es sich dabei handeln?

Katzenbeisser Stellwerke, die für die Koordinierung von Weichen, Signalen und Ähnlichem verantwortlich sind, sollen zukünftig ferngesteuert werden. Es gibt dann eine Kommunikation zwischen einem Fahrdienstleiter, der weit entfernt sitzen kann und dem Stellwerk. Die Stellbefehle werden über ein Netzwerk übermittelt, und hier muss sichergestellt werden, dass diese Kommunikation nicht abgefangen und modifiziert wird.

Prof. Dr. Stefan Katzenbeisser

Prof. Dr. Stefan Katzenbeisser

forscht zu Cybersicherheit und technischem Datenschutz

Wie lassen sich kritische Infrastrukturen in einer vernetzten Welt gegen Cyber-Attacken schützen?

Wie lassen sich kritische Infrastrukturen in einer vernetzten Welt gegen Cyber-Attacken schützen?

Prof. Dr. Stefan Katzenbeisser ist Inhaber des Lehrstuhls für Technische Informatik an der Universität Passau. Er forscht zur Cybersicherheit von eingebetteten Systemen, zu sicheren kritischen Infrastrukturen sowie zum technischen Datenschutz. Er ist Sprecher des neuen, vom Bayerischen Wissenschaftsministerium geförderten Forschungsverbunds „ForDaySec - Sicherheit in der Alltagsdigitalisierung“, in dem Forscherinnen und Forscher aus der Informatik, der Rechtswissenschaft und der Soziologie neuartige technische Verfahren für die Absicherung des digitalen Alltags erarbeiten. Darüber hinaus beteiligt er sich an der vom Fraunhofer HHI koordinierten Forschungsinitiative „6G Research and Innovation Cluster (6G-RIC)“ mit dem Ziel, Mobilfunksysteme der sechsten Generation über alle Technologiegrenzen hinweg zu entwickeln, sowie an Forschungsprojekten zur sicheren Mobilität.

Das sind spannende Aufgabenstellungen.

Katzenbeisser Auf jeden Fall – und gleichzeitig begeben wir uns auch auf völliges Neuland. Das betrifft zum Beispiel auch die Zulassungsprozesse: Die klassische Bahntechnik ist darauf ausgelegt, dass die Systeme 30, 40 Jahre funktionieren und auch nicht adaptiert werden müssen. In der funktionalen Sicherheit sagt man, wenn ein System einmal sicher ist, dann ist es das auch noch in 20 Jahren. In der IT-Sicherheit stellt sich das komplett anders dar. Die Rahmenbedingungen ändern sich täglich, manchmal sogar stündlich. Das heißt, ein System, das heute noch sicher ist, kann morgen schon unsicher sein. Es ist eine unglaubliche Herausforderung, diesen Aspekt in die klassischen Zulassungsprozesse zu integrieren.

Herr Professor Kramer, Sie sind Inhaber der Lehrprofessur für Öffentliches Recht. Die Eisenbahn stellt auch einen Schwerpunkt Ihrer Arbeit dar, jedoch in einer ganz anderen Disziplin ...

Kramer Genau, ich schaue mir das Ganze aus der rechtlichen Perspektive an. Um bei dem eben genannten Beispiel der Sicherheit zu bleiben: Mein juristischer Fokus lag hier bisher auf der technischen Sicherheit. Früher war es so, dass die Eisenbahn eine staatliche Behörde war, die sowohl die Strecken als auch die Züge bereitgestellt hat. Heute ist das stark diversifiziert, so dass es etwa, wenn man einen Güterwagen bewegt, ein Unternehmen gibt, das der Eigentümer des Güterwagens ist. Ein anderes Unternehmen befördert den Güterwagen, und einem wiederum anderen Unternehmen gehören die Gleise. Des Weiteren gibt es eine Werkstatt, die den Wagen unterhält, und möglicherweise noch viele andere, die sozusagen hinten dranhängen. Wann wird das nun relevant? Wenn zum Beispiel ein Unfall passiert, wie im italienischen Viareggio 2009, bei dem ein Güterzug entgleist ist und in der Folge bei der Explosion von Gaskesseln auf dem Zug schlimme Folgen eingetreten sind. Wer ist dann zur Verantwortung zu ziehen und muss vor allem auch in Zukunft für mehr Sicherheit sorgen? Das „Gleisunternehmen“? Das „Zugunternehmen“? Oder die Werkstatt? Mit solchen Fragen befasse ich mich häufiger. Aber auch ganz andere Bereiche spielen bei meiner Forschung eine Rolle: Da geht es um den Neubau oder die Stilllegung von Strecken. Ich habe hier übrigens nicht nur mit der Deutschen Bahn AG, dem Eisenbahn- Bundesamt oder Ministerien zu tun, sondern durchaus auch mit ausländischen und kleineren Bahnunternehmen oder Bürgerinitiativen, die um eine rechtliche Klärung bitten.

Die Stilllegung von Bahntrassen ist besonders in ländlichen Regionen wie dem Bayerischen Wald ein Thema. Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Streckensituation in den nächsten Jahren entwickeln?

Kramer Die Entwicklungen hier sind recht unterschiedlich. Vor einigen Jahren steuerte es ganz klar auf einen Rückzug der Bahn aus der sogenannten Fläche hin. Mittlerweile hat sich das gewandelt, aber in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. Der Freistaat Bayern etwa ist nicht so progressiv, was die Reaktivierung angeht, dafür wird interessanterweise in den Erhalt bereits bestehender Strecken investiert. Der große Streitpunkt sind hier immer die für eine Reaktivierung nötigen sogenannten Personenkilometer pro Kilometer Betriebslänge. Das ist eine Kenngröße, mit der man die Auslastung beziffern kann. Wenn man die Latte hier hochhängt, haben die kleineren Bahnstrecken natürlich schlechte Überlebenschancen, gleichwohl sie nach meinem Dafürhalten durchaus eine Daseinsberechtigung haben.

Prof. Dr. Urs Kramer ist Inhaber der Lehrprofessur für Öffentliches Recht an der Universität Passau und Dekan der Juristischen Fakultät. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist das deutsche und europäische Eisenbahnrecht.

Katzenbeisser Ich glaube, dass sich auch im Zuge der Digitalisierung in den kommenden Jahren einiges tun wird. Das Problem der kleinen Regionalbahnen ist ja, dass die Betriebsführung teuer und personalintensiv ist. Hier versucht man anzusetzen, indem man Betriebsverfahren einsetzt, die mit wenig Personal auskommen.

Ist die Eisenbahn ein Verkehrsmittel der Zukunft?

Katzenbeisser Das glaube ich schon, ja. Der Rückzug, den wir in den letzten 20 Jahren gesehen haben, ist weitgehend gestoppt. Ich kann mir vorstellen, dass wir zukünftig auch wieder einen Ausbau beobachten. Gerade bei den Strecken rund um die Ballungszentren werden wir einen Zuwachs sehen. Was die kleinen Nebenstrecken im ländlichen Raum betrifft, muss man schauen, inwiefern autonome Fahrzeuge, wie Busse, hier eine wirkliche Konkurrenz darstellen können.

Der Rückzug der Bahn, den wir in den letzten 20 Jahren gesehen haben, ist weitgehend gestoppt.

Kramer In der Personenbeförderung sehe ich für die nächsten Jahre auch Potenzial. Alternative Antriebstechniken, wie der Hybridzug, kommen in diesem Bereich. Schwieriger wird es wahrscheinlich im Güterverkehr. Das Problem der Eisenbahn liegt insbesondere dort, wo die Strecke nicht elektrifiziert ist, sondern ein Zug noch mit „stinkenden“ Dieselmotoren angetrieben wird.  Solange es noch keine Hybridlok gibt, die stark und zugleich preiswert genug ist, um ganze Güterzüge auf nichtelektrifizierten Strecken wirtschaftlich zu ziehen, wird der Güterverkehr abseits der elektrischen Strecken erstmal ein Sorgenkind bleiben.

Katzenbeisser Ich fürchte, der Einzelgüterwagenverkehr ist generell zum Sterben verurteilt, wenn nicht neue Innovationsschritte kommen. Es gibt durchaus sehr viele innovative Ansätze in diesem Bereich. Die Frage ist, wie schnell man diese letztlich auf die Schiene bringen kann. Erfreulicherweise ist Deutschland – neben der Schweiz – ein Innovationstreiber auf diesem Gebiet.

Vielen Dank für das Gespräch!

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