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Innovative Labore und Werkstätten in der Passauer Lehrkräftebildung: Integration von Wissenschaft und Praxis

Die Lehrkräftebildung sieht sich mit systemischen Herausforderungen konfrontiert, die in der Forschungsliteratur als Segmentierung und Fragmentierung bezeichnet werden: Die unterschiedlichen Phasen (Studium, Berufspraxis) und studierten Fächer werden wenig miteinander und wenig mit der zukünftigen Tätigkeit in Verbindung gebracht. Studierende nehmen das Studium oftmals als eklektizistisch und praxisfern wahr. Der Wunsch nach stärkerer Praxisorientierung im Studium ist entsprechend weit verbreitet. 

Angesichts der aktuellen Lehrkräftemangellage (Porsch & Reintjes 2023) lässt sich zudem beobachten, dass Studierende auch als Aushilfslehrkräfte eingesetzt werden. Diese Entwicklung begünstigt allerdings Prozesse der De-Professionalisierung: Praxiserfahrungen werden ohne Unterstützung erworben, Haltungen und Unterrichtsskripts unreflektiert als „Rezeptwissen" übernommen. Dies kann einerseits eine trügerischen „Kompetenzentwicklung" (vgl. Rothland 2018) im unterrichtlichen Handeln zur Folge haben, die sich in einer Überschätzung der eigenen Erfahrungen oder einer Geringschätzung von Forschungserkenntnissen äußert (vgl. Ulrich et al. 2020). Solche Tendenzen stehen im Widerspruch zu den Zielen einer universitären Lehrkräftebildung, die auf professionelle critical practitioners setzt.

Universitäten stehen also vor der herausfordernden Aufgabe, adäquate Lerngelegenheiten zur Theorie-Praxis-Relationierung zu schaffen und strukturell mit ihren definierenden Aufgaben - Forschung, Lehre, Transfer - zu integrieren. Die Universität Passau zeichnet sich durch einen innovativen Ansatz aus, der die Verzahnung von akademischen Wissen mit Praxiswissen mittels eines Netzwerks aus fach- und themenspezifischen Lernwerkstätten sowie Lehr- und Forschungslaboren adressiert. Wir definieren diese Labore als Orte, in denen Fragen aus der unterrichtsbezogenen Forschung und schulischen Praxis anhand fachspezifischer Konzepte und Forschungsansätze bearbeitet werden. Die Universität Passau hat ein Netzwerk solcher Einrichtungen aufgebaut und dieses Konzept als zentrales Element ihrer Lehrkräftebildung definiert.

  • Die Lernwerkstatt Grundschulpädagogik (https://www.sobi.uni-passau.de/erziehungswissenschaft-diversitaet-bildungsraum/studium-und-lehre/lernwerkstatt-nk-404) bietet eine breite Palette an Fachzeitschriften, Büchern, Materialien, Baukästen und Funktionsmodellen, um bei der Gestaltung von Unterricht und Seminaren zu unterstützen. Hier können Studierende unter anderem Experimentierkästen, Lehrwerke, Lernspiele, Diagnoseverfahren und Materialien zum Lehrplan PLUS ausleihen.
  • Die Lernwerkstatt Religionsunterricht (https://www.geku.uni-passau.de/religionspaedagogik/lernwerkstatt-ru) ist an der Theorie-Praxis-Schnittstelle angesiedelt und dient der Entfaltung einer berufsorientierten Wissenschaftlichkeit: Religionspädagogische Theorien werden auf konkrete Praxisfelder hin konkretisiert; die praktische Umsetzung und Umsetzbarkeit wird wiederum theoriegestützt reflektiert (Mendl / Sitzberger 2023). Dies erfolgt in speziellen Veranstaltungen, in denen die Studierenden als Teilnehmende selbst aktiv werden und aus denen heraus schließlich ein Praxis-Theorie-Projekt entwickelt werden muss, das Teil einer Modulprüfung ist. Studierende können sich zudem freiwillig im Team der Lernwerkstatt aktiv einbringen und die Veranstaltungen mit vorbereiten und leiten. Darüber hinaus verfügt die Lernwerkstatt RU über einen eigenen Raum, in dem Materialien vom klassischen Schulbuch über Schatzkisten zu den Weltreligionen bis hin zu iPads gesichtet, erprobt und ausgeliehen werden können.
  • Die Lernwerkstatt Mathematik (https://www.fim.uni-passau.de/didaktik-der-mathematik/didaktische-angebote/lernwerkstatt-mathematik/) ist ein Treffpunkt für Seminare, Netzwerkveranstaltungen, Workshops und Projekte rund um den Mathematikunterricht. Sie bietet eine vielfältige Sammlung an Anschauungsmaterialien, Lehrmitteln, Schulbüchern, Fachliteratur, Arbeitsutensilien und digitalen Möglichkeiten.
  • Die Didaktischen Innovationslabore (https://www.dilab.uni-passau.de/) stellen Lerngelegenheiten zur Erprobung problembasierter, innovativer Lehr-Lernsettings bereit. Sie stehen symbolisch für zentrale Handlungsfelder von Lehrpersonen: Fokus auf Lernprozesse im Klassenzimmer, Fokus auf Planung und Analyse von Lehrprozessen im Lehrer*innenzimmer und Fokus auf die kollaborative Erstellung von (digitalen) Unterrichtsmaterialien im Community Lab und im ZLF-Studio. Gemeinsam unterstützen sie die Planung, Organisation und Evaluation von Lehr-Lern-Prozessen und zielen auf die Etablierung einer neuen Haltung bei Lehramtstudierenden.
  • Das Sprach- und Kognitionslabor (SKoLa) (https://www.uni-passau.de/skola) widmet sich in empirischen Studien insbesondere der Verarbeitung von sprachlichen und nichtsprachlichen Stimuli. Es wird genutzt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur, der Professur für Psychologie mit Schwerpunkt Lehren und Lernen mit digitalen Medien, des Lehrstuhls für Psychologie mit Schwerpunkt Mensch-Maschine-Interaktion und des Lehrstuhls für Deutsche Sprachwissenschaft. Forschungsprojekte mit Bezug zur Lehrkräftebildung adressieren etwa den regelbasierten Schriftspracherwerb und unterschiedliche Themen am Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur.
  • Das Labor für Leistungsdiagnostik des Sportzentrums (mailto:https://www.sportzentrum.uni-passau.de/forschung/labor) ermöglicht es Studierenden sportwissenschaftliche Inhalte in der Praxis zu erproben und zu erleben. Auch im Rahmen von Studien- und Zulassungsarbeiten kann das Labor genutzt werden. Neben den Studierenden sind auch regelmäßig Schülerinnen und Schüler des Leistungsfaches Sport sowie Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen zu Gast. Zudem werden unter anderem Forschungsfragen zur Weiterentwicklung des Sportunterrichts untersucht.

Mendl, H. & Sitzberger, R. (2023): Rollenwechsel: Studierende als Akteure der Lernwerkstatt Religionsunterricht, in: P. Kihm, M. Kelkel & M. Peschel (Hrsg.), Interaktionen und Kommunikationen in Hochschullernwerkstätten: Theorien, Praktiken, Utopien, Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt 2023, 274-286.

Porsch, R. & Reintjes, C. (2023): Teacher shortage in Germany: Alternative routes into the teaching profession as a challenge for schools and teacher education. In: P. Hohaus & J.-F. Heeren (Hrsg.): The Future of Teacher Education. Innovations across Pedagogies, Technologies and Societies. 7. Auflage: Brill, 339-363.

Rothland, M. (2018): Yes, we can! Anmerkungen zur trügerischen „Kompetenzentwicklung" von Lehramtsstudierenden im Praxissemester. In: Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung 36 (3), 482-495. Online unter: www.pedocs.de/frontdoor.php. (Abrufdatum: 30.04.2023).

Ulrich, I. & Klingebiel, F. & Bartels, A. & Staab, R. & Scherer, S. & Gröschner, A. (2020): Wie wirkt das Praxissemester im Lehramtsstudium auf Studierende? Ein systematischer Review, Band 9. In: I. Ulrich & A. Gröschner (Hrsg.): Praxissemester im Lehramtsstudium in Deutschland: Wirkungen auf Studierende. Wiesbaden: Springer Fachmedien (Edition ZfE), 1-66.

Projektleitung an der Universität Passau Dr. Hannes Birnkammerer (Didaktische Innovationslabore (DiLab))
Bluesky

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