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12.01.2022

"Ich bin Überzeugungstäterin"

Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig, Politologin und Totalitarismusforscherin an der Universität Passau, ist eine von vielen mutigen Frauen in der Wissenschaft. Von Nicola Jacobi

Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig.

Dass sich Barbara Zehnpfennig in ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit Hitlers Mein Kampf auseinandersetzt, war so etwas wie ein dringendes Bedürfnis, eine Notwendigkeit: „Ich habe keine befriedigende Antwort auf die mich bedrängende Frage nach der Ursache des Judenmordes bekommen. Dieses Thema ist ein Lebensthema für mich“, sagt die Politologin, die an der Universität Passau die Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte innehat.

Nach den Grundlagen zu fragen

Extremismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen, ob nun Links- oder Rechtsextremismus, Islamismus oder andere Formen extremen Denkens, sind ein Schwerpunkt ihrer Forschung. Ein Thema, das Angriffsfläche bietet. Aber es geht Zehnpfennig um die Sache, um eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Sichtweisen, auch mit solchen, die ihr selbst fern sind. Damit eckt sie an, in der Öffentlichkeit, aber auch in der Wissenschaft. „Ich suche den Streit nicht, aber ich habe den starken Willen, tiefer zu dringen und nach den Grundlagen zu fragen, auch was Denkweisen betrifft. Das führt zwangsweise zu Auseinandersetzungen und Konflikten.“

Dennoch: Direkten Gegenwind, so erzählt sie, habe sie nur wenig erfahren. Was allerdings im Hinter- oder Untergrund oder in den sozialen Medien läuft, das wisse sie nicht und interessiere sie auch nicht weiter. „Ich kann gar nicht anders, als das zu machen, was ich mache, und es so zu machen, wie ich es mache. Ich bin eine Überzeugungstäterin“, sagt Zehnpfennig. In diesem Begriff steckt etwas, das die Politologin immer wieder betont: die Überzeugung. Wenn Mut etwas mit Angst zu tun hat, dann sei das beste Mittel gegen Angst, sich in der Sache sicher zu sein.

Wissenschaft muss ergebnisoffen arbeiten, sie muss es zulassen, widerlegt zu werden. Wissenschaftliche Ergebnisse dürfen nicht an vorgegebene Ziele und nicht an eine politische Agenda gebunden werden.

Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig, Universität Passau

Wissenschaftsminister Bernd Sibler und Frau Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig (Foto: StMWK/Axel König)

Zur Person

Seit 1999 hat Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig die Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau inne. Sie studierte Philosophie, Soziologie, Germanistik und Geschichte in Berlin und promovierte an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg mit einer Arbeit über Hitlers Mein Kampf. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. Totalitarismus, Extremismus und aktuelle Entwicklungen der politischen Kultur. Zehnpfennig ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 2021 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Im Dialog bleiben

Dass es in der Wissenschaft immer öfter vorkommt, dass zu bestimmten Themen nicht mehr geforscht wird, weil die Forschung möglicherweise von Gesellschaft und Politik unerwünschte Ergebnisse hervorbringt, dass Andersdenkende nicht mehr gehört werden, kontroverse Veranstaltungen nicht mehr stattfinden, macht ihr Sorge. Diese sogenannte „Cancel Culture“ hält Zehnpfennig für eine sehr gefährliche Entwicklung. Deshalb hat sie das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ mitgegründet. „Ziel des Netzwerkes ist es, den Debattenraum wieder zu öffnen. Es geht darum, die argumentative Auseinandersetzung wieder in den Mittelpunkt zu stellen“, sagt Zehnpfennig. „Wissenschaft muss ergebnisoffen arbeiten, sie muss es zulassen, widerlegt zu werden. Wissenschaftliche Ergebnisse dürfen nicht an vorgegebene Ziele und nicht an eine politische Agenda gebunden werden. Dafür darf an der Universität kein Raum sein.“ Das Netzwerk wird öffentlich immer wieder heftig kritisiert. Barbara Zehnpfennig hält das nicht davon ab weiterzumachen – und den Dialog auch mit Vertretern extremer Meinungen zu suchen. Gibt es da für sie auch Grenzen? Ja, sagt sie. Bei extremistischen Ansichten, etwa bei antisemitischen, rassistischen oder islamistischen, bei all denjenigen, die „ihrerseits jede Freiheit des Geistes ablehnen und das Dialogangebot nur für Propagandazwecke nutzen“. Aber es komme auf den Rahmen an. In Buchform zum Beispiel sei auch eine Beschäftigung mit solchen Überzeugungen möglich und nötig. Allen Anfeindungen zum Trotz.


Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 6/2021 des Transfermagazins „TRIOLOG. Wissenschaft – Wirtschaft – Gesellschaft in Ostbayern“ mit dem Schwerpunkt Krise und Chance. Der Hochschulverbund Transfer und Innovation Ostbayern (TRIO) ist ein Projekt der sechs ostbayerischen Hochschulen, an dem auch die Universität Passau beteiligt ist. Das Projekt wird aus dem Programm "Innovative Hochschule" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert und hat eine Laufzeit von fünf Jahren. TRIO sieht sich als Impulsgeber für Innovationen in Ostbayern. Ziel von TRIO ist es, Wissens- und Technologietransfer auszubauen und aktiv zu gestalten und den Austausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in der Region zu verstärken. 


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