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„Die beste Möglichkeit, meine Forschungsarbeit im Bereich Ökologie fortzusetzen“

Als die Finanzkrise in Brasilien Forschende dazu zwingt, ihre akademische Tätigkeit  aufzugeben und andere Laufbahnen einzuschlagen, entscheidet sich der Biologe Dr. João De Deus Vidal Júnior, weiterzukämpfen. Heute, zwei Jahre später, arbeitet er 10.000 Kilometer von zuhause entfernt an der Universität Passau als Postdoc und Humboldt-Stipendiat. Interview: Janina Körber

Dr. João De Deus Vidal Jr. hat ein Internationales Klimaschutzstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung für Postdocs mit Klimaexpertise für seinen zweijährigen Aufenthalt an der Universität Passau erhalten. Seit März 2022 ist er in Passau, um die Artenvielfalt in den Bergregionen Afrikas und die möglichen Auswirkungen des Klimawandels zu erforschen. Mit Unterstützung von Prof. Dr. Christine Schmitt, Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie mit Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Forschung, wird Dr. Vidal eine Liste der gefährdeten Pflanzen in afrikanischen Bergregionen erstellen, die für den Erhalt der Artenvielfalt wichtig sind. Bevor er nach Deutschland kam, hatte er in Brasilien an der staatlichen Universidade Estadual Paulista „Julio de Mesquita Filho“ in Biowissenschaften promoviert und anschließend als Postdoc-Stipendiat an der staatlichen Universidade Estadual de Campinas zum Thema Mangrovenwälder und ihren Anpassungen an Klimaveränderungen geforscht. Während eines Aufenthaltes 2019 an der University of the Free State in Phuthaditjhaba, Südafrika, erforschte Dr. Vidal Pflanzenendemismus und Biogeographie in afrikanischen Bergregionen. Danach arbeitete er kurzzeitig als Postdoc an seiner Heimatuniversität in Brasilien und bewarb sich anschließend für ein Stipendium in Deutschland. Dr. Vidals Forschungsinteressen liegen in der Biogeographie und umfassen Pflanzenökologie, Bergvegetation und ihre Reaktionen auf Klimaveränderungen.

Dr. Vidal, Ihnen wurde eines der renommierten Alexander von Humboldt-Stipendien verliehen, was unter Forschenden als große Ehre gilt. Wie ist Ihnen das gelungen?

Anfangs war das eigentlich eine traurige Geschichte. Aufgrund einer Finanzkrise wurden in Brasilien die meisten Forschungsetats gestrichen. Daraufhin mussten viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Land verlassen, um weiter forschen zu können, und ich war einer von ihnen. Als ich 2019 von meinem Forschungsaufenthalt in Südafrika zurück kam, wollte ich ein eigenes Ökologielabor einrichten. Leider habe ich es aber auch nach einem Jahr nicht geschafft, Geld für mein Projekt aufzutreiben, da das staatliche Wissenschaftsbudget so gering war wie seit 2004 nicht mehr. Ich hatte daher keine Wahl und begann Stellen anzunehmen, die mit Forschung nichts zu tun hatten, bis mir ein Freund vom Humboldt-Stipendium erzählte. Ich habe beschlossen, mich zu bewerben und viel Zeit in die Projektentwicklung und die Vorbereitung gesteckt. Ein Jahr lang habe ich für das Interview geübt und auch Deutsch gelernt. Als die Auswahlwoche näher rückte, war ich sehr aufgeregt und konnte kaum schlafen. Trotzdem habe ich es geschafft, eine gute Präsentation abzuliefern und erhielt gegen Ende der Woche die Rückmeldung, dass ich ausgewählt worden war. Damit hat sich mit einem Schlag mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Wegen der Situation in Brasilien hatte ich meine Forschungsarbeit beinahe aufgegeben. Jetzt freue ich mich sehr. Für mich ist das die beste Möglichkeit, meine Forschungsarbeit im Bereich der Ökologie fortzusetzen. Deutschland nimmt in der Klimawandelforschung eine Führungsrolle ein. Und ich bin hier an einer angesehenen Universität und arbeite in einem sehr positiven Umfeld.

Durch das Humboldt-Stipendium hat sich mit einem Schlag mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt.

Portrait von Prof. Dr. Christine Schmitt und Dr. João De Deus Vidal Júnior.

Internationale Zusammenarbeit für den Schutz der Artenvielfalt: Prof. Dr. Christine Schmitt und Dr. João De Deus Vidal Júnior erforschen die Biodiversität afrikanischer Bergwälder. 

Sie haben Campinas, eine Stadt in Brasilien mit 1,2 Millionen Einwohnern, verlassen und sind nach Passau, eine kleine Stadt in Deutschland, gezogen. Wie war das für Sie? Hatten Sie hier einen guten Start?

Ursprünglich wollte ich mich in Bonn bewerben, wo Professorin Schmitt gearbeitet hat, als wir das erste Mal miteinander sprachen. Als ich erfuhr, dass sie von Bonn nach Passau gezogen war, dachte ich zuerst, dass die Stadt vielleicht doch zu klein sei. Es stimmt, Campinas ist eine sehr große Stadt und es macht mir Spaß, in Restaurants oder Clubs zu gehen, mit Freunden abzuhängen und neue Leute kennenzulernen. Nach meinem ersten Forschungsaufenthalt in Südafrika, wo ich in einer Kleinstadt gelebt habe, hatte ich doch ein bisschen Angst, nochmal in eine kleine Stadt zu ziehen. Aber als ich nach Passau umgezogen bin, habe ich festgestellt, dass die Stadt zwar klein ist, aber alles hat, was man braucht. Es gibt hier viele junge Leute und ich mag die Atmosphäre, die wunderschöne Landschaft, die Architektur, die Geschichte und den Universitätscampus. Am Anfang habe ich vom Welcome Centre viel Unterstützung bekommen, vor allem von Tatiana und Pammela. Sie sind nämlich auch aus Brasilien. Schon bei meiner Ankunft hatte ich also bereits zwei Freunde. Nach Campinas war Passau doch eine große Umstellung, aber eine positive.

In den nächsten zwei Jahren werden sie im Team von Professorin Christine Schmitt arbeiten und sich der afrikanischen Bergvegetation widmen. Worum geht es in Ihrer Forschung?

Der afrikanische Kontinent beherbergt eine riesige Vielfalt an Pflanzen. Es gibt dort über 4.000 verschiedene Pflanzenarten und davon kommen 3.000 nirgendwo sonst auf der Welt vor. Ein Großteil der afromontanen Vegetation ist der Wissenschaft noch unbekannt und es werden laufend Arbeiten über neue Arten veröffentlicht. Die Pflanzen, die im Gebirge wachsen, geben wertvolle Hinweise auf den Einfluss des Klimas auf die Verbreitung der Vegetation. Bergvegetation reagiert empfindlicher auf Klimaveränderungen, weil im Gebirge ein Temperaturgefälle herrscht. Vereinfacht ausgedrückt: Es wird mit zunehmender Höhe kälter. Wenn sich das Klima verändert, kann man beobachten, wie die Pflanzen mit der Zeit nach oben oder nach unten wandern. Bergeregionen sind deshalb besonders vielversprechende Untersuchungsgebiete.

Meine Herausforderung liegt darin, alle bisherigen Publikationen zu afromontanen Pflanzen zusammenzutragen und eine Datenbank der Bergvegetation des gesamten Kontinents zu erstellen. Als Quellen werden mir afrikanische Herbarien, Pflanzenmuseen, und Online-Datenbanksysteme wie etwa die Global Biodiversity Information Facility oder Tropicos dienen. Mittels dieser Daten und unter Zuhilfenahme einiger Modellierungstools möchte ich Prognosen darüber treffen, wie die Verbreitung der Pflanzen künftig aussehen könnte, etwa bei einem Temperaturanstieg von 1,5 bzw. 2 Grad. Abschließend wollen wir die Ergebnisse dazu nutzen, Vulnerabilitätskarten und Listen gefährdeter Arten zu erstellen, die der gezielten Ausrichtung der Schutzmaßnahmen dienen.

Portrait von Prof. Dr. Christine Schmitt und Dr. João De Deus Vidal Júnior.

Dr. João De Deus Vidal Júnior

forscht zu Pflanzenökologie

Wie reagiert die Vegetation afrikanischer Bergregionen auf den Klimawandel?

Wie reagiert die Vegetation afrikanischer Bergregionen auf den Klimawandel?

Dr. João De Deus Vidal Júnior ist Inhaber eines Forschungsstipendiums der Alexander von Humboldt-Stiftung für Postdocs und erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ab März 2022 forscht er für zwei Jahre im Team von Prof. Christine Schmitt am Lehrstuhl für Physische Geographie mit Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Forschung. Dr. Vidals Forschungsinteressen liegen im Bereich der Biogeographie und umfassen Pflanzenökologie, Bergvegetation und ihre Reaktionen auf Klimaveränderungen.

Wow, das klingt nach viel Arbeit! Heißt das, Sie werden die afrikanischen Berge von Ihrem Schreibtisch in Passau aus erkunden? Oder haben Sie auch vor, auf dem afrikanischen Kontinent Feldarbeit zu betreiben?

Ich weiß, es klingt ein bisschen seltsam, dass ich als Brasilianer Afrika in Deutschland erforsche. Aber wenn man mal darüber nachdenkt war Alexander von Humboldt selbst auch ein deutscher Forscher, der seiner Forschungsarbeit in Südamerika nachgegangen ist; so etwas kommt eben vor. (lacht) Im konkreten Fall schreibt die Humboldt-Stiftung bei derartigen Projektanträgen vor, dass es keine internationale Feldprobenahme geben soll, weil der Zeitrahmen bei Stipendien wie meinem knapp ist. Damit wird auch sichergestellt, dass mir genügend Zeit bleibt, um Paper zu schreiben. Meine Forschung wird deshalb vor allem auf Daten beruhen, für die andere Forschende bereits Proben genommen haben. Ich werde weiterhin mit Ihnen zusammenarbeiten.

Wie bekannt ist das Problem des Artenverlusts bereits in afromontanen Regionen? Ist das ein neues Thema?

Die Forschenden sprechen bereits von Veränderungen in der Artenvielfalt der Bergregionen weltweit, aber nur wenige beziehen sich auf die afromontanen Regionen. Im Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) aus dem Jahr 2019 gab es erstmals ein Kapitel über Bergökosysteme, aber es enthielt keine Angaben zu Afrika. Das hatte man versäumt. Erfreulicherweise beinhaltet der IPCC-Bericht aus dem Jahr 2022 einige entsprechende Daten. Langsam beginnt man die afrikanischen Bergregionen als wichtiges Schutzgebiet anzuerkennen. Wir werden unsere Ergebnisse nutzen, um weitere Argumente dafür vorzubringen, diese Regionen in den Fokus zu rücken.

Langsam beginnt die Forschung, die afrikanischen Bergregionen als wichtiges Schutzgebiet anzuerkennen.

Sie werden die nächsten zwei Jahre in Deutschland leben und forschen. Worin liegt dabei die Herausforderung?

Für mich persönlich ist es schwierig, meine Familie in Zeiten wie diesen, in denen die Pandemie noch nicht überstanden ist, zurückzulassen. Im Rahmen des Humboldt-Stipendiums ist es einem während des Studienaufenthaltes nicht erlaubt, nach Hause zu reisen. Deshalb werde ich Weihnachten zwei Jahre lang nicht mit meiner Familie verbringen können. Was mein Projekt anbelangt, besteht die schwierigste Aufgabe in der Handhabung dieser gewaltigen Datenmengen. Ich werde Informationen aus vielen verschiedenen Quellen zusammentragen müssen. Bei einem so großen Datenvolumen muss man immer darauf bedacht sein, die Qualität aufrechtzuhalten. Gleichzeitig muss man sicherstellen, dass die erlangten Erkenntnisse so vermittelt werden, dass sie auch für die Allgemeinheit und nicht nur für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verständlich und zugänglich sind.

Janina Körber ist studentische Hilfskraft im Referat Forschungskommunikation

Prof. Dr. Christine Schmitt im Portrait vor dem Panorama des Inns und der Stadt Passau.

Prof. Dr. Christine Schmitt

forscht zu Vegetationsgeographie und Mensch-Umwelt-Beziehungen

Wie kann ich Schutz und Nutzung von natürlichen Ressourcen und Biodiversität vereinbaren?

Wie kann ich Schutz und Nutzung von natürlichen Ressourcen und Biodiversität vereinbaren?

Prof. Dr. Christine Schmitt ist seit April 2021 Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie mit Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Forschung an der Universität Passau. Sie ist im Beirat der Gesellschaft für Tropenökologie (gtö) und des BayWISS-Kollegs Life Sciences und Grüne Technologien aktiv und hat Erfahrung in der Politikberatung auf internationaler Ebene.

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