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„Unternehmen brauchen agile, flexible Geschäftsmodelle“

„Deutschland hat wirtschaftlich ein blaues Auge kassiert“, sagt die Passauer Ökonomin Professor Dr. Carolin Häussler. Die Coronakrise macht Schwachstellen sichtbar und gibt Hinweise, wo Unternehmen ansetzen können, um krisenfester zu werden. Interview: Nicola Jacobi

 


Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 4/2020 des Transfermagazins „TRIOLOG. Wissenschaft – Wirtschaft – Gesellschaft in Ostbayern“ mit dem Schwerpunkt Krise und Chance. Der Hochschulverbund Transfer und Innovation Ostbayern (TRIO) ist ein Projekt der sechs ostbayerischen Hochschulen, an dem auch die Universität Passau beteiligt ist. Das Projekt wird aus dem Programm "Innovative Hochschule" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert und hat eine Laufzeit von fünf Jahren. TRIO sieht sich als Impulsgeber für Innovationen in Ostbayern. Ziel von TRIO ist es, Wissens- und Technologietransfer auszubauen und aktiv zu gestalten und den Austausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in der Region zu verstärken. 


Welche Problemstellen hat die aktuelle Krise besonders deutlich aufscheinen lassen?

Prof. Dr. Carolin Häussler: Die zwei wichtigsten Aspekte meiner Meinung nach sind Digitalisierung und Souveränität. Die Krise hat gezeigt, dass die Digitalisierung uns Möglichkeiten eröffnet, mit der Pandemie und damit verbundenem social distancing besser umgehen zu können. Jedoch ist in Deutschland die Verfügbarkeit von flächendeckendem schnellem Internet und digitaler Infrastruktur noch nicht da, wo sie sein sollte. Da muss unbedingt aufgerüstet werden. Wir haben einen Crashkurs in Sachen Digitalisierung hinter uns und die Offenheit für Homeoffice, Homeschooling und digitale Meetings ist enorm gestiegen.

Der zweite Punkt sind Abhängigkeiten in der kritischen Infrastruktur, zum Beispiel bei der Herstellung von Medikamenten oder medizinischer Ausrüstung. Hier kommt es immer wieder zu Engpässen. Natürlich kann in einer globalen Wirtschaft nicht alles hier in Deutschland produziert werden, aber es sollte eine gewisse Souveränität bestehen. Gerade ein Exportland wie Deutschland muss deshalb das Thema Technologiesouveränität differenziert und geostrategisch betrachten. Auch in den Wertschöpfungsketten von Unternehmen haben sich diese Schwachstellen gezeigt, wenn sich etwa ein Zulieferer als weniger zuverlässig als gedacht erwiesen hat.

Prof. Dr. Carolin Häussler

Prof. Dr. Carolin Häussler

forscht zu Zusammenarbeit und Innovation

Wie können wir die Innovationskraft fluider Organisationen nutzen und stärken?

Wie können wir die Innovationskraft fluider Organisationen nutzen und stärken?

Prof. Dr. Carolin Häussler ist seit 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation, Technologiemanagement und Entrepreneurship und DFG-Vertrauensdozentin an der Universität Passau. Sie ist außerdem Projektleiterin im DFG-Graduiertenkolleg 2720: "Digital Platform Ecosystems (DPE)" an der Universität Passau. Sie ist Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung. Mit dem International Center for Economics and Business Studies lockt sie Forscherinnen und Forscher aus aller Welt nach Passau.

Welche Lehren können Unternehmen kurz- und längerfristig aus der Krise ziehen, um für eine mögliche weitere Krise besser gewappnet zu sein?

Häussler: Wie stark ein Unternehmen von der Krise betroffen ist, hängt sehr stark von der Branche ab. Aber auch in betroffenen Branchen haben es einige Unternehmen besser geschafft, durch die Krise zu kommen als andere. Von hoher Bedeutung sind dabei vor allem die Sicherung der Liquidität und die Resilienz. Das heißt, ein finanzielles Polster für Krisenzeiten zu haben und krisenfest zu sein. Krisenfestigkeit, also Resilienz, lässt sich einerseits durch Digitalisierung aufbauen, die ein orts- und zeitunabhängiges Arbeiten möglich macht, aber auch durch sichere Bezugsquellen oder eine Ersatzquelle für den Krisenfall. Allerdings muss immer abgewogen werden, denn Ressourcen, die für ein Polster zurückgehalten oder für Backups ausgegeben werden, können nicht mehr anderweitig im Unternehmen investiert werden. Das führt zu einem Spannungsfeld: Ressourcen für Krisenvorsorge oder für Wachstum einzusetzen.

Liquidität und Resilienz sind von hoher Bedeutung. 

Prof. Dr. Carolin Häussler

Frau Professorin Dr. Carolin Häussler, eine große Frau mit langem, braunen Haar, lehnt lässig an einem Geländer. Sie trägt einen strahlend gelben Blazer und lächelt freundlich in die Kamera.

Prof. Dr. Carolin Häussler lehrt an der Universität Passau und berät als Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation die Bundesregierung. Foto: Universität Passau

Welche Voraussetzungen braucht ein Unternehmen grundsätzlich, um dauerhaft einigermaßen krisenfest zu sein?

Häussler: Unternehmen bewältigen eine Krise meist dann ganz gut, wenn sie ein agiles und flexibles Geschäftsmodell aufweisen. Oft wird in diesem Zusammenhang von zwei Phasen bzw. Aspekten gesprochen, der Creation-Phase und der Capture-Phase. In der ersten geht es um das Produkt, das ein Unternehmen aufbaut. Ziel ist es, etwas Innovatives zu entwickeln, das einen Mehrwert für Kundinnen und Kunden hat. In der zweiten Phase muss es dem Unternehmen gelingen, den geschaffenen Wert auch für sich abzuschöpfen. Indem es beispielsweise das Neue schützt und somit Nachahmer ausschließen kann oder indem es gelingt, findige Mitarbeiter*innen ans Unternehmen zu binden. Gerade in Krisenzeiten ist es außerdem wichtig, dass sich das Geschäftsmodell flexibel an veränderte Umstände anpassen lässt.

Als Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation beraten Sie die Politik. Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach sinnvoll und zukunftswirksam?

Häussler: Für Branchen und Unternehmen, die unverschuldet hart von der Krise getroffen wurden und ohne Hilfe nicht überleben könnten, sind kurzfristige Hilfen zur Liquiditätssicherung sinnvoll. Für junge, innovative Unternehmen, denke ich da zum Beispiel an Venture Debt, Wagnis(fremd)kapital, wie es in anderen Ländern schon viel häufiger vergeben wird. Langfristig aber geht es vor allem darum, Innovationen und Technologien zu fördern, die zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Und es geht darum, Maßnahmen zu ergreifen, die neben dem Klimawandel das zweite aktuelle Strukturproblem, die weltweit steigende soziale Ungleichheit, angehen.

Welche Rolle spielt die Wissenschaft beim Thema Krisenbewältigung?

Häussler: Die Krise hat gezeigt, wie wichtig die Wissenschaft ist, nicht nur die Epidemiologie und Medizin. Meiner Meinung nach muss die Wissenschaft noch viel mehr als bisher ihre Erkenntnisse und ihr Wissen allgemein verständlich aufbereiten und in die Gesellschaft tragen. Für den Mittelstand ist die Nähe zu Hochschulen sicher von Vorteil, wenn es zum Beispiel darum geht, ein passendes agiles Geschäftsmodell zu finden oder neue Technologien einzusetzen. Wo wir an der Uni Passau viel schaffen können, ist der Bereich Künstliche Intelligenz, um Geschäftsmodelle zu analysieren und neu aufzustellen. Gerade im B2B-Sektor sehe ich da viele Möglichkeiten.

Das Interview führte Nicola Jacobi.

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