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„Es wäre töricht, sich nicht zusammenzutun“

Eine Formel, ein Bauteil, eine Maschine, ein Mensch oder auch eine Kooperation – Transfer, die „dritte Mission“ der Universitäten, hat viele unterschiedliche Facetten, aber stets ein und dasselbe Ziel: Das Wissen, das aus der Forschung heraus entsteht, zu nutzen und für Wirtschaft und Gesellschaft nutzbar zu machen. Prof. Dr. Carola Jungwirth, Prof. Dr. Tomas Sauer und Dr. Günther Hribek im Gespräch über Neugier, Vertrauen und die Kunst, Brücken zu bauen. 

Titel-Interview aus der Ausgabe 02/2018 des Campus Passau Magazin zum Thema "Die Dritte Mission - Wissens- und Technologietransfer an der Universität Passau".

 

Wie wird Transfer an der Universität Passau verstanden? 

Prof. Dr. Carola Jungwirth: Die Universität Passau hat eine stark sozial- und geisteswissenschaftliche Ausrichtung. Deshalb ist unser Transferbegriff sehr umfassend und beinhaltet jede Übertragung von Wissen, das an der Universität entsteht, in die Gesellschaft hinein. Natürlich zählen wir dazu auch die Gewinnung von technischem Wissen aus den universitären Forschungsergebnissen. 

Prof. Dr. Tomas Sauer: Ich würde Transfer ganz ähnlich definieren. Es geht um Forschung, die wir an eine Adressatin oder einen Adressaten außerhalb der Universität transferieren. Aus meiner Sicht wird beim Transfer oft unsere Fähigkeit als Universität unterschätzt, Wissen zu generieren. Viele meiner Kooperationsprojekte bestehen darin, dass wir von unseren Partnern Aufgabenstellungen bekommen, die sie mit ihren Mitteln bisher nicht bearbeiten konnten. Wir können dann für sie, dank unserer wissenschaftlichen Vorteile, Methoden entwickeln, die ihnen helfen, einen entsprechenden Qualitätsvorsprung zu erzielen. 

Dr. Günther Hribek: An dieser Stelle sollte unbedingt auch die sogenannte Bidirektionalität als Merkmal von Transfer genannt werden. Das heißt, wir als Universität transferieren Wissen in die Gesellschaft, gleichzeitig werden aber auch Impulse und Anforderungen von externen Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft in die Universität hineingetragen. Transfer ist also keine Einbahnstraße. Ich verwende deshalb gern das Bild der Brücke für den Wissens- und Technologietransfer.

C. Jungwirth: Transfer ist eine so zentrale strategische Aufgabe der Universität, weil sich Wissen, wie Dr. Hribek sagte, in zwei Richtungen formt. Wir als Universität haben jenseits aller Legitimationsfragen ein ganz vitales Interesse daran, unser Wissen weiterzuentwickeln und aktuell und zukunftsorientiert auszurichten, indem wir die Gesellschaft auch dabei unterstützen, bestimmte Fragestellungen zu beantworten und Herausforderungen zu lösen. Ich erlebe eine ganz große Nachfrage nach den Transferangeboten, die unsere Universität zu bieten hat, gerade auch vor dem Hintergrund der Digitalisierung und dem damit einhergehenden Wandel der Unternehmen. 

Greifen wir das Bild der Brücke nochmal auf: Wie schwierig ist es denn, diese Brücke stabil zu bauen und das Gegenüber dann auch dazu zu bringen, darüber zu gehen?

G. Hribek: Wenn wir Wissenschaft und Wirtschaft vergleichen, dann sprechen wir in der Tat von unterschiedlichen Kulturen. Es gilt also, erst einmal Verständnis für die andere Seite zu schaffen. Ein ganz einfaches Beispiel: Unternehmen wollen meist, dass Projekte schnell abgearbeitet werden. Eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler kann sich einer entsprechenden Anfrage mitunter aber erst im folgenden Semester annehmen, was für die Unternehmen meist viel zu spät ist. Es muss auch darüber gesprochen werden, was sich das Unternehmen von der Kooperation verspricht und welche Leistung es von der Universität genau erwartet. Ob und wie leicht die Anbahnung derartiger Transferprojekte gelingt, hängt ganz stark davon ab, wie viel Erfahrung das Unternehmen und die Forschenden schon in diesem Bereich haben. 

T. Sauer: Jemanden wie Dr. Hribek zu haben, der einen hierbei unterstützt, ist wirklich eine große Hilfe. Das muss man ganz deutlich sagen.

Dr. Günther Hribek, Präsidentin Prof. Dr. Carola Jungwirth und Prof. Dr. Tomas Sauer

Ist Transfer etwas, das man als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler erst lernen muss?

T. Sauer: Ja! Wir als FORWISS-Institut sind mittlerweile in der glücklichen Lage, dass Firmen an uns herantreten, weil sie Projekte mit uns realisieren wollen. Aber, um beim Bild der Brücke zu bleiben: Manchmal ist das Schwierigste, beide Seiten überhaupt in die Mitte der Brücke zu bekommen, damit sie vernünftig miteinander reden können. Und manchmal muss man eben auch erkennen, dass man trotz bester Vorsätze nicht zusammenkommen kann.

Ist Transfer innerhalb des universitären Wissenschaftsbetriebes als Teil der „gemeinsamen Mission“ mittlerweile genauso anerkannt wie Forschung und Lehre? 

C. Jungwirth: Es ist eine strategische Entscheidung der Universitätsleitung, Transfer ebenso anzuerkennen wie Lehre und Forschung. Gleichzeitig muss der Universitätsleitung klar sein, dass nicht jede Kollegin oder jeder Kollege gleichermaßen Transfer, Lehre und Forschung machen kann. Es kommt darauf an, dass jede Fakultät ein gesundes Bündel aus allen drei Säulen hat, und es ist unser erklärtes Ziel, alle Kompetenzen in dieser Hinsicht an der Universität Passau entsprechend zu stärken und zu würdigen. 

T. Sauer: Wer Transfer machen will, braucht meiner Ansicht nach eine gewisse intrinsische Motivation. Unter denjenigen, die es wollen, muss man dann im zweiten Schritt diejenigen identifizieren, die es auch können. Dazu gehört nicht nur die Kommunikation mit den Transferpartnern und das Verstehen ihrer Probleme, sondern auch, dass man seine Wissenschaft entsprechend anpasst. Wer das nicht kann oder will, sollte besser keinen Transfer betreiben, denn Partnerschaften sind schnell kaputtgemacht, wenn irgendwas nicht funktioniert. Davon würde auch die Universität nicht profitieren. 

Herr Dr. Hribek, wie unterstützen Sie von Seiten des Transferzentrums gerade junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um erfolgreichen Transfer zu realisieren?

G. Hribek: Ein großer Vorteil des Transferzentrums ist, dass wir ein umfangreiches Netzwerk in die Region hinein haben, von dem unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler profitieren können. Zudem haben wir viel Erfahrung im Umgang mit Unternehmen und können bei Bedarf in Gesprächen als „Übersetzer“ fungieren. Ich erkenne zum Beispiel ganz gut, wenn ein Unternehmensvertreter kurz vorm Abbruch eines Gespräches ist und kann entsprechend vermitteln. Wir unterstützen die Forschenden außerdem bei der Anbahnung ihrer Transferprojekte und insbesondere bei der Konsortienbildung, welche für viele sonst einen immensen zusätzlichen Zeitaufwand bedeuten würde. 

Nährboden für rege Transferkultur

Das Transferzentrum der Universität Passau, das im Rahmen des Ausbauprogramms Technik Plus gegründet wurde, übernimmt als Service- und Koordinierungsplattform eine Vermittlerfunktion zwischen Wissenschaft und Praxis. 

Es steht als zentrale Einrichtung allen Fakultäten und Disziplinen offen und soll den Wissens- und Technologietransfer auch in interdisziplinären Kontexten fördern und organisieren.

Menschengruppe bei einer Veranstaltung

Das Transferzentrum ist Ansprechpartner von privaten und öffentlichen Einrichtungen, die mit der Universität Passau kooperieren möchten und trägt deren Anfragen sowie relevante Fragestellungen aus Wirtschaft und Gesellschaft zielgerichtet an teilnehmende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heran. Es unterstützt und berät auf Wunsch umgekehrt auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Passau, die Forschungsergebnisse in private oder öffentliche Einrichtungen oder allgemein in die Gesellschaft transferieren oder Kooperationen mit derartigen nichtwissenschaftlichen Einrichtungen herstellen möchten. Und: Es ist eine verlässliche „Keimzelle“ für zahlreiche Start-ups, die aus der Universität und ihrer Umgebung heraus gegründet werden.

Primäre Aufgabe des Transferzentrums ist die Verlängerung der universitären Wertschöpfungskette von der Wissensgenerierung (Forschung) hin zur gezielten Vermittlung, Anwendung und gegebenenfalls auch dem Schutz und der Verwertung von Wissen. Ziel ist der Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Praxis, indem wissenschaftliche und technologische Erkenntnisse in die wirtschaftliche Nutzbarkeit überführt werden bzw. zu einem gesellschaftlichen Nutzen beitragen. Das Transferzentrum steht allen Fakultäten und Disziplinen offen und soll den Wissens- und Technologietransfer gerade in interdisziplinären Kontexten fördern und organisieren.

Zum Aufgabenspektrum des Transferzentrums gehören die Bereiche Wissenstransfer, Gründungsförderung und Weiterbildung („drei Säulen“). Im Bereich des Wissenstransfers beschäftigt sich das Zentrum mit den Transferaktivitäten über Fach-, Fakultäts- und Hochschulgrenzen hinaus. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Anbahnung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten. Die Leistungen richten sich dabei an Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen. Darüber hinaus beinhaltet der Wissenstransfer auch die Beteiligung an transferrelevanten Förderprogrammen auf Bundes- und EU-Ebene.

Im Bereich der Gründungsförderung ist das Zentrum gründungsinteressierten Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Passau bei allen wichtigen Fragen rund um die Gründung eines eigenen Unternehmens behilflich. Das Angebot reicht hierbei von einer persönlichen Beratung bis hin zu verschiedenen Förderprogrammen und dem „Gründerzentrum Digitalisierung Niederbayern“.

Die dritte Säule bilden Weiterbildungsaktivitäten, die auf die wissenschaftlichen Kompetenzen und Forschungsergebnisse an der Universität zurückgreifen. Die Universität Passau hat hierzu ein Gesamtkonzept entwickelt, an dem sich alle Angebote zur Weiterbildung für externe Teilnehmerinnen und Teilnehmer orientieren. Dazu wird die Kooperation mit anderen Hochschulen, Verbänden und Kammern angestrebt, um den Standort Niederbayern attraktiver zu machen. Das Transferzentrum der Universität Passau ist zudem an weiteren Transferprojekten sowie am Hochschulverbund „Transfer und Innovation Ostbayern“ (TRIO) beteiligt.

Welche Zutaten gehören Ihrer Meinung nach in ein Rezept für gelingenden Transfer?

T. Sauer: Meiner Ansicht nach sind drei Dinge unerlässlich: Neugier von Seiten der Forschenden, sich auf die Probleme oder Fragestellungen der Partner einzulassen, aber auch die Bereitschaft der Partner, auf die Universität zuzugehen. Das Zweite ist Vertrauen. Man muss miteinander vertrauensvoll und auf Augenhöhe umgehen. Beide Seiten stellen Informationen zur Verfügung und lassen den anderen nicht am ausgestreckten Arm verhungern. Gerade wenn es um langfristige Kooperationen geht, muss man mit offenen Karten spielen. Das Dritte ist Infrastruktur. Als Wissenschaftler brauche ich jemanden, der die Rahmenbedingungen kennt: Was steht im EU-Beihilferahmen? Ist das Projekt mehrwertsteuerpflichtig? Wie viel Geld kann und muss ich verlangen? Als Wissenschaftler, der sich vor allem um seine Forschung kümmern will, fühlt man sich von all diesen Dingen häufig erstmal überfahren. Deshalb brauche ich das Transferzentrum an meiner Seite. 

G. Hribek: Man könnte als weitere Zutaten noch Individualität, Flexibilität und Problemlösungsorientierung ergänzen. Wenn die Unternehmen sich mit einer Fragestellung an die Universität oder das Transferzentrum wenden, ist meist noch überhaupt nicht klar, ob daraus eine Bachelorarbeit, eine Promotion, ein mit Fördermitteln gestütztes Projekt oder eine Auftragsforschung wird. Das gilt es zu entwickeln und dabei muss man sehr flexibel sein. 

Ist es für Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftler heute einfacher, Transfer zu betreiben – oder ist dies vielleicht sogar anspruchsvoller geworden als jemals zuvor?

C. Jungwirth: Ich vermute, beides trifft zu. Auf der einen Seite ist es anspruchsvoller geworden, weil gerade in großen Unternehmen ein sehr starkes Kosten-Nutzen-Kalkül herrscht und es keinen exklusiven Charakter mehr hat, mit einer Universität zu kooperieren. Auf der anderen Seite haben sich die institutionellen Abläufe professionalisiert und es ist für die Forschenden heute deutlich einfacher geworden, entsprechende Infrastrukturleistungen und Unterstützung zu bekommen. Während die Abläufe früher viel weniger stringent und zufallsabhängiger waren, gibt es heute ein klar strukturiertes Vorgehen, das es beiden Parteien erlaubt, fair und auf Augenhöhe miteinander zu verhandeln. 

G. Hribek: Ich denke, dass die Digitalisierung für den Transfer ungeahnte Potentiale mit sich bringt. Es gibt Unternehmen, bei denen ich schon viel früher Kooperationsmöglichkeiten mit der Universität gesehen habe, aber es hat sich nichts ergeben. Dann entstanden durch die Digitalisierung plötzlich so viele inhaltliche Anknüpfungspunkte, dass es jetzt auf der Hand liegt, dass man zumindest einmal miteinander reden muss. Und dadurch kommen dann oft auch Projekte zustande. 

Die transferorientierten Verbundprojekte INDIGO und TRIO bringen Hochschulen und Universitäten Ostbayerns an einen Tisch, die oftmals auch in Konkurrenz zueinander stehen. Wo liegt der Mehrwert derartiger Kooperationen? 

C. Jungwirth: Wir sind als Universität Passau eine mittelgroße Universität, die nicht das gesamte Fächerspektrum anbietet. Um ein gutes Transferangebot machen zu können, ist es wichtig, dass wir uns mit anderen Hochschulen und Universitäten vernetzen. Damit wir überhaupt ein gemeinsames Angebot machen können, müssen wir uns in bestimmten Bereichen synchronisieren. An diesem Punkt docken das Verbundprojekt Transfer und Innovation Ostbayern – kurz TRIO – und der Hochschulverbund INDIGO an. Beiden geht es darum, die Transferaktivitäten der ostbayerischen Hochschulen und Universitäten aufeinander abzustimmen und zu synchronisieren. 

G. Hribek: Hochschulen können sich mit ihren verschiedenen Disziplinen in Verbünden wunderbar ergänzen, und ich denke auch, dass es von Seiten der Fördermittelgeber eine Tendenz gibt, gerade diese Interdisziplinarität besonders stark zu fördern. Aus Sicht der Unternehmen bietet ein derartiger Hochschulverbund immense Vorteile: Nehmen wir an, eine Firma wendet sich mit einer Fragestellung an die Universität Passau, die wir hier aber fachlich nicht beantworten können. Statt diese Firma dann wegschicken zu müssen, könnten wir sie an andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unserem Hochschulnetzwerk vermitteln. 

T. Sauer: Das Zentrale bei diesen Gemeinschaftsprojekten ist, dass alle erkennen, dass der jeweils andere genau das kann, was man selber nicht leisten kann. Es wäre also töricht, sich nicht zusammenzutun. 

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