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Ein hoher Grad an Empathie kann im Krisen-Management schaden

Empathische Top-Führungskräfte müssen in Krisen die richtige Balance finden. Denn Einfühlungsvermögen an der falschen Stelle kann zu absurden Entscheidungen führen – wie beispielsweise hohe Boni für diejenigen, die für die Krise verantwortlich sind.

Von Prof. Dr. Andreas König

Das ist eine der Aussagen unserer konzeptionellen Studie, die in dem international angesehenen Journal „Academy of Management Review“ erschienen ist. Wir – Andreas König (Universität Passau), Lorenz Graf-Vlachy (Universität Passau), Jon Bundy (Arizona State University) und Laura Little (University of Georgia) – untersuchen darin, wie sich die Empathie von Vorstandsvorsitzenden in Krisensituationen auswirkt [Zur Vorabveröffentlichung des Papers]

Empathie – darunter verstehen wir eine Persönlichkeitseigenschaft, die zunächst einmal positiv besetzt ist. Sie setzt sich zusammen aus (1) der Fähigkeit und Neigung, die Perspektiven anderer Menschen einzunehmen, (2) der Tendenz, die Gefühle anderer Menschen – vor allem negative Gefühle wie Sorgen, Angst und Schmerz – selbst nachzuempfinden und (3) der Neigung, Wärme und Sorge für Menschen in Stress und Not zu fühlen.

Das klingt zunächst einmal so, als sollte diese Eigenschaft jede Führungskraft, und vor allem ein/e Vorstandsvorsitzende/r, haben. Und dem ist auch so. Denn Empathie hilft in vielen Situationen, insbesondere in Krisen. Das Problem ist jedoch, dass sie auch Schaden anrichten kann.

Prof. Dr. Andreas König

Prof. Dr. Andreas König

forscht zu organisationalem Wandel und Kommunikation von Führungskräften

Wie reagieren etablierte Organisationen und deren Führungskräfte auf digitale Transformation?

Wie reagieren etablierte Organisationen und deren Führungskräfte auf digitale Transformation?

Prof. Dr. Andreas König ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Strategisches Management, Innovation und Entrepreneurship sowie Sprecher des DFG-Graduiertenkolleg 2720: "Digital Platform Ecosystems (DPE)" an der Universität Passau. Seine Forschungsergebnisse werden in weltweit führenden wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht, darunter das Administrative Science Quarterly, der Academy of Management Review und Research Policy.

Vier Thesen dazu:

1.    These: Je empathischer eine Führungskraft ist, umso schneller erkennt sie mögliche Warnsignale – wird aber auch Krisen sehen, wo gar keine sind.

Im Vorfeld einer Krise braucht es Empathie. Die Führungskraft muss Warnsignale schnell erkennen, um schnell reagieren zu können.

Zum Beispiel gab es im Falle des VW-„Dieselgate“ Skandal vielerlei Anzeichen systemischer Probleme, lange bevor diese öffentlich wurden. Ähnlich verhielt es sich in dem Skandal um die explodierte Öl-Plattform „Deepwater Horizon“ des britischen Konzerns BP.

Empathischere Führungskräfte erkennen solche Anzeichen schneller. Sie können es regelrecht erspüren, wenn im Unternehmen etwas in der Luft liegt, die Situation besonders angespannt ist.

Das Problem dabei: Je empathischer eine Führungskraft ist, desto eher und häufiger gibt sie falschen Alarm. Im Extremfall führt das dazu, dass die Belegschaft abstumpft und auch eine richtige Krise für einen falschen Alarm hält – wie in der Fabel vom Hirtenjungen und dem Wolf.

Genauso problematisch ist das andere Extrem: die gefühlskalte Führungskraft, die eine Krise selbst dann nicht erkennt, wenn sie bereits eskaliert.Es braucht etwas dazwischen: Eine Person, die nicht übersensibel ist, aber sensibel genug, um Anzeichen einer echten Krise zu erkennen. Die Empathie einer Führungskraft beeinflusst ihre Effizienz in der Erkennung von Krisen zunächst positiv. Das Verhältnis kippt aber irgendwann mit zunehmender Empathie.

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2.    These: Empathie hilft Führungskräften, in der Krise an die relevanten Informationen zu kommen, macht sie aber auch voreingenommen in der Verarbeitung dieser Informationen.

In einer Krise muss die Führungskraft Entscheidungen treffen. Das tut sie auf Basis von Informationen. Dazu braucht die Führungskraft häufig ein gewisses Maß an technischer Expertise, aber insbesondere auch Einfühlungsvermögen, damit sie überhaupt an die nötigten Informationen kommt. Denn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilen diese eher mit einer Person, von der sie glauben, dass sie Sicht wertschätzt wird und von der sie keine negativen Konsequenzen zu befürchten haben.

Es braucht also Empathie, um Informationen zu erhalten. Weniger hilfreich ist Empathie allerdings, wenn es darum geht, diese möglichst unbefangen zu verarbeiten. Denn: Empathischere Führungskräfte haben vielleicht die besseren Informationen. Doch ihnen fehlt der kühle Kopf, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Denn auch sie leiden in der Krise, sind gestresst, fühlen die Anspannung und die Not ihrer Beschäftigten. Im Zweifel gelingt es ihnen deshalb nicht, sich aus den vorhandenen Informationen ein umfassendes Bild zu machen. Sie neigen zu Entscheidungen, die die Stresssituation kurzfristig bessern, aber zu keiner langfristigen Lösung führen.

Außerdem neigen sie zu Lösungen, die Gruppen besserstellen, denen sie sich selbst nahe fühlen – zum Beispiel die Chefetage. Das erklärt Entscheidungen wie jene von Robert Benmosche, dem langjährigen Chef des US-Versicherers AIG, der in der Hochphase der Finanzkrise Boni in Millionen-Höhe an Mitarbeiter auszahlte, die für die Misere verantwortlich waren. Befragt nach seinen Motiven nannte Benmosche sein Mitgefühl für diese Gruppe.

Empathie heißt also nicht, dass diese sich gleichermaßen auf alle Beteiligten verteilt. Im Zweifel kommt sie jener Gruppe zugute, zu der sich die Führungskraft selbst zählt.  

Es gilt daher auch hier: Die Empathie einer Führungskraft und die Effektivität ihrer Entscheidungen in einer Krise stehen zunächst in einer positiven Beziehung. Das Verhältnis kippt jedoch mit zunehmender Empathie.

3.    These: Je empathischer eine Führungskraft ist, desto leichter fällt es ihr, Mitgefühl und Verständnis zu zeigen – das ist aber nicht immer richtig.

Die Kommunikation von Unternehmenskrisen ist eine der größten und verantwortungsvollsten Herausforderungen von Top-Managerinnen und -Managern. Auf der einen Seite sollte die Führungskraft aktiv in den Dialog mit den Stakeholdern treten, um deren Vertrauen wieder zu gewinnen. Sie sollte also Mitgefühl, Sorge und Verständnis zeigen.

Auf der anderen Seite muss eine Führungskraft aber auch vorsichtig sein, und im Interesse des Unternehmens und der Beschäftigten nicht voreilig zu viel Verantwortung auf sich nehmen. Sonst kippt das Bild, das Stakeholder wie die Öffentlichkeit, Analystinnen und Investoren von der Organisation haben. Sie wenden sich ab – mit möglicherweise fatalen Folgen.

Auch hier gilt also: Empathie ist ein zweischneidiges Schwert. Sie hilft Führungskräften bei der empathischen Kommunikation der Krise. Zu viel Empathie aber kann schaden.

4.    These: Je empathischer eine Führungskraft ist, desto besser gelingt es ihr, das verletzte Beziehungssystem nach einer Krise zu heilen – aber desto schwerer fällt es ihr, operativen Schaden zu beseitigen.

Am Ende einer Krise muss eine Führungskraft die Organisation zum Normalzustand zurückführen. Nur wenn sie das schafft, kann die Organisation aus der Krise auch lernen und Kraft schöpfen. Zur Herstellung des Normalzustands gehört es, das durch die Krise verletzte oder gar zerstörte Beziehungssystem der Belegschaft zu heilen.

Eine empathischere Führungskraft kann besser erkennen, wann die Belegschaft bereit ist, die Krise hinter sich zu lassen, einen Neuanfang zu wagen und aus den Erfahrungen zu lernen. Zudem hilft Empathie dabei, diesen Prozess der Heilung besser zu begleiten und zu Moderieren.

Allerdings sind häufig auch technische und operative Schwierigkeiten Teil einer Krise. Die Lösung von Krisen besteht oft in zäher, technischer Detailarbeit und dem Meistern operativer Herausforderungen. Beispielsweise musste nach dem Untergang der „Deepwater Horizon“ der entstandene Öl-Teppich eliminiert werden – ein äußerst technischer, operativer Prozess. Konzentriert sich eine Führungskraft aufgrund ihrer Empathie zu sehr auf das Beziehungsgeflecht des Unternehmens, bleibt ihr für solch operative Aspekte keine Zeit mehr.

Aus unserer Sicht braucht es aber beides, damit ein Unternehmen nach einer Krise zur Normalität zurückfinden kann. Es braucht also eine Führungskraft mit einem Blick sowohl für das gestörte Beziehungsgeflecht innerhalb des Unternehmens, als auch für den entstandenen operativen Schaden. Dementsprechend gilt auch hier: Empathie ist Segen und Fluch zugleich.

Die Kernbotschaft unserer Studie lautet: In vielen Aspekten beeinflusst Empathie das Krisenmanagement zunächst positiv. Doch es gibt einen Punkt, an dem das Verhältnis kippt. Diesen Punkt herauszufinden, wird Gegenstand künftiger Forschung sein.

So sehr wir Empathie befürworten: Wir brauchen eine kritische, nuancierte Auseinandersetzung mit Empathie bei Führungskräften.

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