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Virtuelle Räume des Rechts und der Rechten

Vier Forschende, vier Disziplinen, ein Thema: Die Politologin Lea Raabe, der Jurist Christian Aldenhoff, der Bildungswissenschaftler Benjamin Heurich und der Geograph Jörg Scheffer geben Einblicke in ihre Arbeit, die sie auf einer interdisziplinären Tagung des DFG-Graduiertenkolleg 1681/2 "Privatheit und Digitalisierung" im Oktober 2017 vorstellten.

Für den schnellen Überblick:

  • Die Politologin Lea Raabe beschäftigt sich mit rechten Teilöffentlichkeiten im Netz, darunter dem Auftritt des Online-Magazins „Blaue Narzisse“. Ihr Fazit: Der Neuen Rechten sei es gelungen, eine Gegenöffentlichkeit zu etablieren. Das zeige auch das Ergebnis der Bundestagswahl im September 2017. Raabe dazu: „Man kann sagen, dass die Positionen der Neuen Rechten auf einen immer breiteren Konsens treffen.“
  • Der Jurist Christian Aldenhoff befasst sich mit dem EU-Datenschutzrecht. Ihn treibt die Frage um, wie sich sicherstellen lässt, dass personenbezogene Daten nicht ohne Einwilligung an Dritte weitergegeben werden. Das Kopplungsverbot im EU-Datenschutzrecht könnte hier eine Chance sein.
  • Der Bildungswissenschaftler Benjamin Heurich erforscht Vertrauen in die digitale Kommunikation und die Folgen, wenn dieses Vertrauen in Misstrauen umschlägt. Beispielsweise im Zusammenhang mit Überwachungsszenarien und Manipulationsversuchen.
  • Der Geograph Jörg Scheffer beschäftigt sich mit Rückzugsmöglichkeiten in Räumen, darunter auch virtuellen. Er möchte ein kritisches Bewusstsein für die Wirkung gesammelter Daten schaffen und fordert Sozialisationsforschung in virtuellen Räumen.

Die Politologin Lea Raabe beschäftigt sich mit rechten Teilöffentlichkeiten im Netz, darunter etwa dem Auftritt des Online-Magazins „Blaue Narzisse“.

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„Blaue Narzisse“ klingt harmlos. Was steckt dahinter?

Die „Blaue Narzisse“ ist ein Magazin, dem man eine neurechte Ausrichtung bescheinigen kann. Die Neue Rechte ist eine Strömung, die ein elitäres und nationalistisches Gesellschaftsbild vermittelt, die sich gegen eine liberale Demokratie stellt, die mehr plebiszitäre Elemente und zum Beispiel auch einen starken Staat nach außen fordert. Die „Blaue Narzisse“ und ihr Herausgeber Felix Menzel bilden einen wichtigen Teil des jungen Nachwuchses für die Neue Rechte.

Ist es der Neuen Rechten gelungen, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen?

Über ausgeklügelte diskursive Strategien versucht die Neue Rechte, in die Köpfe der Menschen zu dringen und die öffentliche Meinung immer weiter nach rechts zu verschieben. Diskursive Strategien wären zum Beispiel, den Rahmen des Sagbaren zu erweitern. Oder etwa die Argumentation, wonach in Deutschland ein Klima der politischen Korrektheit herrsche, wodurch sich Deutschland letztlich selbst zugrunde richte. Die Neuen Rechten stellen sich in ihren Aussagen als Verkünder einer Wahrheit dar, einer Wahrheit, die eben nur sie aussprechen würden. Die Neue Rechte hat es geschafft, eine Gegenöffentlichkeit zu etablieren. Das sieht man auch am Ergebnis der letzten Bundestagswahl. Man kann sagen, dass die Positionen der Neuen Rechten auf einen immer breiteren Konsens treffen.

Inwiefern spielen die Möglichkeiten der Digitalisierung den Neuen Rechten in die Hände?

Ich denke, dass die Möglichkeiten der Digitalisierung eine große Rolle spielen. Denn dadurch haben politische Akteure die Möglichkeit, ihre Inhalte zu verbreiten – unabhängig von journalistischen Gatekeepern. Das hilft natürlich enorm. Es hat immer schon rechtsgerichtete Publikationen gegeben. Die haben sich jetzt aber potenziert und auch an Bedeutung gewonnen. Das liegt sicherlich auch an Phänomenen wie Echokammersystemen und Filterbubbles, durch die die Internetnutzerinnen und –nutzer immer wieder ihrer eigenen Weltansicht ausgesetzt sind und immer wieder mit Informationen gefüttert werden, die das eigene Weltbild unterstützen und bestätigen. Das kann letztendlich zu einer Radikalisierung führen.

Der Jurist Christian Aldenhoff setzt sich in seiner Forschung mit dem neuen Datenschutzgrundrecht auseinander.

Jurist Christian Aldenhoff

Was kommt mit dem neuen EU-Datenschutzrecht auf uns zu?

Ich werfe ganz konkret einen Blick auf das sog. Kopplungsverbot, das nun auf EU-Ebene eine neue Gestalt bekommt. Kopplungsverbot bedeutet:

Wenn ich online einen Vertrag abschließe, dann darf der Vertragsabschluss nicht automatisch an die Einwilligung in die Weitergabe von Daten gekoppelt sein, die für die Durchführung dieses Vertrags nicht notwendigerweise weitergegeben werden müssen.

Das heißt, wenn ich im Internet einen Pullover kaufe …

… dann schließen Sie mit dem Online-Händler einen Vertrag, der die Herausgabe gewisser Daten erfordert – zum Beispiel müssen Sie eine Adresse angeben, damit der Pullover verschickt werden kann. Viele Anbieter wollen aber darüber hinaus Daten über Sie erheben, beispielsweise Ihr Such- und Kaufverhalten, um Ihnen personalisierte Angebote oder Werbung Dritter einzublenden. Es stellt sich daher die Frage, ob man eine Zustimmung zu solcher oder darüber hinausgehender Datennutzung noch als freiwillig qualifizieren kann, wenn man den Vertrag ansonsten gar nicht abschließen könnte.

Worin besteht hier aus juristischer Sicht die Herausforderung?

Die zentrale Frage ist sicherlich: Wie können wir grundsätzlich sicherstellen, dass Verbraucherdaten den Kontext, in dem sie ursprünglich weitergegeben wurden, nicht verlassen. Besonders problematisch ist dabei der Verkauf oder die Weitergabe von personenbezogenen Daten oder ganzer Nutzungsprofile an Dritte, die diese Daten möglicher Weise in einem völlig anderen Zusammenhang nutzen möchten, als sie ursprünglich erhoben wurden. Als Beispiel: Nicht alle Nutzer möchten, dass ihr Arbeitgeber Kenntnis davon erlangt, welche Beiträge sie im letzten Monat in einem sozialen Netzwerk gelesen haben. Das Kopplungsverbot kann ein Mittel sein, um Nutzern in diesen Fällen mehr Entscheidungsfreiheit zurückzugeben.

Der Bildungswissenschaftler Benjamin Heurich beschäftigt sich mit „Vertrautheit und Vertrauen in der Digitalität“.

Bildungswissenschaftler Benjamin Heurich

Herr Heurich, warum ist dieses Thema für die Privatheitsforschung interessant?

Vertraute Handlungsmuster und aufgebautes Vertrauen in Institutionen sind bei den Menschen im Kontext digitaler Überwachungsszenarien und Manipulationsversuchen mitunter in Misstrauen, Widerstand und Unsicherheit umgeschlagen. Neben dieser Entwicklung sind den Menschen im digitalen Wandel zudem tradierte Konventionen und Werte aus vergangenen gesellschaftlichen Erfahrungen verlorengegangen, an denen sie bislang ihre sozialen Entscheidungen orientieren konnten. Auf dieser Grundlage kann sich auch ein normativer Privatheitsanspruch nicht problemlos aus der real gelebten Gegenwart in die Digitalität integrieren oder erweitern.

In welchen Situationen wird dies beispielsweise spürbar?

In der Digitalität vernetzt man sich beispielsweise mit Vorgesetzten, entfernten Bekannten oder sogar Fremden und wundert sich mitunter über negative Konsequenzen und aufrüttelnde Ereignisse, die digitale Kommunikationsakte dann am Arbeitsplatz oder im Bekanntenkreis nach sich ziehen. Das Vertrauen in die eigenen Mitmenschen und gesellschaftlichen Systeme, sie würden sich doch weiterhin in ihren Relevanzkontexten bewegen und Informationen entsprechend auswerten – oder auch gar nicht erst aufnehmen – wird somit erschüttert. Dies hat zur Folge, dass man weniger Beziehungen eingeht oder von Kommunikation in bestimmten Kontexten vollständig absieht. Eine solche Beeinträchtigung der Motivation zur digitalen Kommunikation und gesellschaftlichen Teilhabe hat weitreichende Konsequenzen. Bereits im Volkszählungsurteil des BVerfGE von 1983 wurde in diesem Zusammenhang festgehalten, wie wichtig es für die Selbstbestimmung der Menschen sei, stets zu wissen, „wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß“.

Sie zeigen in Ihrem Vortrag, wie es uns dennoch bereits zum Teil gelungen ist, wieder Vertrauen in digitale Gemeinschaften zu entwickeln. Was brauchen Menschen, was brauchen Gesellschaften, damit das gelingen kann?

Etwas Zeit, Digitalkompetenz und den Willen zu partizipieren. Die genannten Zonen sind vor allem deshalb gemäßigt, weil hier zunächst nur eine Art beständige Basisvertrautheit geschaffen wurde, auf der sich im nächsten Schritt dann Vertrauen, aber auch Misstrauen, entwickeln kann. Durch eine tägliche Interaktion innerhalb dieser Zonen und die Einbindung der diskursiven Ergebnisse in die persönliche Entscheidungsfindung beweisen sich die Gesellschaftsmitglieder gegenseitig die Relevanz und Vertrauenswürdigkeit der verwendeten Strukturen und Mechanismen. In zukünftigen technologiegetriebenen, disruptiven Momenten können sich die Menschen dann auf die Suche nach diesen Oasen der entschleunigten und selbstreflexiven Entscheidungsfindung machen; nach dem gemeinsamen Nenner, den die Menschen selbstständig gefunden und gepflegt haben.

Der Geograph Dr. Jörg Scheffer analysiert, wie in Räumen – darunter auch virtuellen – Privatheit hergestellt wird.

Geograph Dr. Jörg Scheffer

Herr Dr. Scheffer, in welcher Weise beschäftigt sich die Geographie mit dem Thema Privatheit?

Die Geographie beschäftigt sich mit „Räumen“ jeder Art, dazu zählen in jüngerer Zeit auch zunehmend virtuelle Räume. Privatheit wird durch räumliche Arrangements hergestellt, wenn z. B. die gebaute Umwelt oder räumlich wirksame Regeln zu Abgrenzungen führen. Auch der virtuelle Raum liefert Rückzugsmöglichkeiten. Seine Nutzer können theoretisch all jene Eigenschaften verbergen, die ihnen im Realraum Nachteile gebracht haben, Kontakte knüpfen, die sich sonst vielleicht nie ergeben hätten und individuelle Interessen verfolgen, die ihnen sonst im Alltag verstellt sind. Insofern kann man Privatheit im virtuellen Raum als strategische Ressource begreifen, die nicht zuletzt für den sozialen Aufstieg genutzt werden kann.

Welches Problem thematisieren Sie in Ihrem Vortrag „Im Versteck des Privaten? Virtuelle Kontakte und soziale Räume“?

Das „Versteck des Privaten“, wie es als Perspektive des Internetnutzers beschrieben wurde, ist eine Chimäre. Jede Nutzung des Internets kostet. Sie kostet in der Regel kein Geld, sie wird aber mit personenbezogenen Daten bezahlt. Die Daten werden für individuelle Angebote genutzt, die den virtuellen Raum durchsetzen. Man sieht zunehmend das, was man auf der glänzenden Oberfläche des Smartphones sieht, wenn man es ausschaltet: Sich selbst. Privatheit, die Chance, seine soziale Herkunft, seine Schwächen oder seinen Habitus gezielt zu verbergen, ist in Zukunft immer weniger möglich. In Kontakt mit sich selbst und seinesgleichen, werden Milieus vielmehr permanent reproduziert.

Wo sehen Sie die Verantwortung der Wissenschaft bei diesem Thema?

Mir ist es besonders wichtig, ein kritisches Bewusstsein für die Wirkung der gesammelten Daten zu schaffen. Sämtliche Studien belegen gerade bei jüngeren Menschen einen unbekümmerten Umgang mit dem Internet. Dass Daten zu einer neuen Währung geworden sind, hat sich an Schulen kaum herumgesprochen. Dass sie jeden spezifisch konfrontieren und dabei zugleich Vieles vorenthalten, ist den Nutzern gar nicht bewusst. Es spricht daher viel für eine Sozialisationsforschung in virtuellen Räumen, wie man sie aus einer geographischen Perspektive gut verfolgen und vermitteln kann.

Die vier Forschenden stellen ihre Arbeit auf der interdisziplinären Tagung „Digitalität und Privatheit“ vor. Die Veranstaltung findet von Donnerstag, 26.10., bis Samstag, 28.10., an der Universität Passau statt.

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