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Altes Wissen in neuem Licht

Netzwerkforschung ist eine tragende Säule der Digital Humanities. Dreh- und Angelpunkt für die auf Vernetzung ausgerichtete Disziplin ist das Labor für Kulturgutdigitalisierung, in dem Schriften und kulturelle Artefakte für die Datenanalyse erfassbar gemacht werden.

Bei seiner Einrichtung im Jahr 2013 war der Lehrstuhl für Digital Humanities noch einer von ganz wenigen in Europas Wissenschaftslandschaft. Inzwischen ist die Disziplin an der Schnittstelle von Geisteswissenschaften und Informationstechnologie gewachsen und bekannter geworden – mehr als nur ein Hauch von Pioniergeist ist jedoch geblieben, und er weht auch durch den Raum 105, das Labor für Kulturgutdigitalisierung in der Hans-Kapfinger-Straße. Hier stehen Gerätschaften in Reih und Glied, die mit ihren Scheinwerfern und Hebeln, Lämpchen, Kameras und Skalen eine Atmosphäre erzeugen, die irgendwo zwischen Seziertisch, Fotostudio und Rechenzentrum liegt.

Prof. Dr. Malte Rehbein und sein Mitarbeiter Sebastian Gassner beugen sich über eine Sammlung imposanter Pfeilspitzen, Armbrustbolzen und Lanzenspitzen, die säuberlich aufgereiht in der Mitte der Tischplatte liegen. Gefunden in Julbach im Inntal, gefertigt im späten Mittelalter. In Kürze wird sich die Kuppel der RTI-Apparatur über den Objekten schließen, um sie aus 64 Beleuchtungswinkeln zu fotografieren. Der Computer wird diese später zu einem mehrdimensionalen digitalen Bild zusammensetzen, das die Zeiten ebenso überdauern soll wie die Originale.

 

Jelena Mitrović is interim Junior Professor of Computational Rhetoric and NLP at the University of Passau.

Von Serbien nach Passau, von wissenschaftlicher Mitarbeiterin zur Juniorprofessorin in Vertretung: Jelena Mitrović kombiniert in ihrer Forschung die uralte Kunst der Rhetorik mit Künstlicher Intelligenz.

Im Labor werden die verschiedenen Verfahren, mithilfe derer zwei- und dreidimensionale Kulturgüter digitalisiert werden können, systematisch erprobt und verfeinert – denn welches Verfahren geeignet ist, hängt vom Artefakt selbst sowie vom Erkenntnisinteresse ab. In der Skalierung ist technisch grundsätzlich vieles möglich: Was mit den Julbacher Pfeilspitzen geht, lässt sich auch auf eine ganze Burganlage anwenden. „Kulturgutdigitalisierung ist eine tragende Säule unserer Arbeit“, sagt Rehbein und richtet sich auf. „Ob wir Datenanalyse betreiben, historische Netzwerke erforschen oder die Auswirkungen der Digitalisierung auf Wissenschaft und Gesellschaft von der Meta-Ebene aus reflektieren – alles beginnt hier, wo wir in Berührung mit den Artefakten und Schriften, mit den Quellen unserer Kultur, treten.“

Geisteswissenschaftliches Forschungs- und Lehrlabor

Dieser Ansatz macht die Passauer Digital Humanities dann doch wieder ein bisschen zum Sonderfall: In der deutschen Universitätslandschaft ist ein geisteswissenschaftliches Forschungs- und Lehrlabor dieser Art bislang einmalig. „Es ist schon was Besonderes“, sagt Malte Rehbein nicht ohne Stolz.

Prof. Dr. Malte Rehbein im Labor für Kulturgutdigitalisierung

Blick in die Kuppel der RTI-Apparatur, die die Objekte aus 64 verschiedenen Beleuchtungswinkeln fotografieren kann.

Prof. Dr. Malte Rehbein und Mitarbeiter Sebastian Gassner im Labor für Kulturgutdigitalisierung

Prof. Dr. Malte Rehbein und sein Mitarbeiter Sebastian Gassner betrachten eine Sammlung imposanter Pfeilspitzen, Armbrustbolzen und Lanzenspitzen. Gefunden wurden diese in Julbach im Inntal. Sie stammen aus dem späten Mittelalter. 

Für die historische Forschung nutzen Rehbein und sein Team hauptsächlich Metadaten, die Eigenschaften der digitalisierten Objekte beschreiben: Material, Farbe, Größe, Funktion, Alter, Herkunft, Urheber – all diese Informationen lassen sich verknüpfen, in Beziehung setzen und in größere Wissensnetzwerke einordnen. In einem anderen Forschungsschwerpunkt beschäftigt sich das Team mit Netzwerken historischer Personen und zieht die dafür benötigte Information aus der Digitalisierung schriftlicher Quellen im Labor: „Wir wollen herausfinden, wer mit wem auf welche Weise verwandt beziehungsweise in Verbindung war, also strukturelle Konstellationen der Vergangenheit erforschen. Hierbei ist der methodische Ansatz ähnlich der der sozialen Netzwerkanalyse", erklärt Rehbein.

Die Forschung an den Netzwerken ist dabei ihrerseits selbst auf Netzwerke angewiesen.

„Die Digital Humanities funktionieren nicht ohne die Fachwissenschaften, insbesondere die Geschichtsforschung. Man könnte sagen, interdisziplinäre Netzwerkarbeit ist die Basis für das, was wir tun“, betont Rehbein.

Sichtbar wird dies beispielsweise im Projekt ViSIT, das mit mehr als zwei Millionen Euro aus dem INTERREG V-A Programm „Österreich – Bayern 2014-2020“ der Europäischen Union gefördert wird. Neben Rehbeins Lehrstuhl arbeiten hier fünf weitere
Lehrstühle der Universität Passau mit:

Gemeinsam entwickeln die Kulturwissenschaftler und Informatiker nun eine digitale Infrastruktur, die zukünftig die gemeinsame, grenzübergreifende Geschichte der Burganlagen zwischen Passau und Kufstein erlebbar macht – unabhängig davon, auf welcher Burg man sich gerade befindet. Beteiligt sind außerdem weitere wissenschaftliche Partner, mehrere Institutionen des kulturellen Gedächtnisses sowie Kommunen. Längerfristiges Ziel ist auch hier wieder ein Netzwerkgedanke: „Wir wollen für diesen Teil unserer gemeinsamen Geschichte ein digitales Verbundsystem schaffen, eine Art virtuelles Museum, das den beteiligten Institutionen neue Präsentationsmöglichkeiten und damit auch neue Publikumskreise erschließt.“

Vor diesem Hintergrund erweist sich das Passauer Labor einmal mehr als Schnittstelle, an der eine Transferleistung möglich wird, die für die kulturbewahrenden Institutionen eine große Bereicherung darstellt, wie Dr. Bernhard Forster, Kulturreferent der Stadt Passau, unterstreicht: „Digitalisierung ist ein Mega-Thema natürlich auch für die Kulturarbeit der Stadt Passau. Deswegen freuen wir uns sehr über die Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl ‚Digital Humanities‘, sei es im Rahmen des Projekts ‚ViSIT‘ des Oberhausmuseums, sei es bei der Digitalisierung von Dokumenten im Stadtarchiv wie dem Nachlass von Eduard Hamm. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um unsere Bestände langfristig zu erhalten und sie gleichzeitig in virtueller Form der Öffentlichkeit wesentlich leichter zugänglich zu machen.“

Dieser Beitrag stammt aus dem Campus Magazin (02/2017) 

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